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Medizin-Workshop
Abtreibungen richtig lernen

Schwangerschaftsabbrüche können nach einer Beratung innerhalb der ersten zwölf Wochen straffrei durchgeführt werden, bleiben laut Strafgesetzbuch aber rechtswidrig. Im Lehrplan vieler Universitäten kommen Abtreibungen auch deshalb kaum vor. Studierende wollen diese Lücke jetzt durch Workshops schließen.

Von Vanessa Loewel |
    Eine Broschüre zur pränatalen Diagnostik
    Im 9. Semester wird im Rahmen der Pränataldiagnostik das Thema Schwangerschaftsabbruch an der Charité behandelt - gerade mal zehn Minuten, beklagen Studierende. (picture alliance / dpa / Marijan Murat)
    Der Schwangerschaftsabbruch ist der häufigste chirurgische Eingriff in der Gynäkologie. Darauf werden Studierende der Medizin allerdings kaum vorbereitet. Im Studium kommt das Thema Abtreibung so gut wie nicht vor, sagt Alicia Baier. Sie hat gerade ihr Medizinstudium an der Charité in Berlin abgeschlossen.
    "Es kommt nur in einem einzigen Seminar vor, im 9. Semester. Das ist ein Seminar zu Pränataldiagnostik, da wird es in den letzten zehn Minuten angesprochen. Das ist eine Farce."
    Vor zwei Jahren hat Alicia Baier in Berlin eine Gruppe der weltweiten Organisation "Medical Students for Choice" gegründet.
    Lernen, wie Abtreibungen durchgeführt werden
    "Gerade, weil ich das gemerkt habe, dass so viele Kommilitoninnen und Kommilitonen darüber noch nie nachgedacht haben, kann das zu so einer Ignoranz führen, die gefährlich ist, weil man muss es auch nicht selber machen als Gynäkologie. Wenn man davon nie gehört hat, sich nie damit beschäftigt hat, dann sagt man halt, ach, ich mach's einfach nicht."
    Deshalb organisieren sie die sogenannten "Papaya-Workshops", in denen die Studierenden der Medizin lernen können, wie Abtreibungen durchgeführt werden und welche Methoden es gibt. An diesem Abend sind 18 Studierende der Medizin sind gekommen. Franziska, die ihren Nachnamen nicht nennt, möchte Frauenärztin werden.
    "Ich denke, dass es ein Eingriff ist, der immer vorkommen wird und es ist das Recht der Frau, darauf einen guten Zugang zu haben und die Sicherheit zu haben, dass es Menschen gut können."
    Vor ihr auf dem Tisch liegt eine Papaya. Die Früchte eignen sich, um die Absaugmethode zu üben: Sie haben die Form einer Gebärmutter. Die Kerne stellen den Embryo dar, das Fruchtfleisch Schleimhaut und Gewebe. Vier erfahrene, praktizierende Gynäkologinnen leiten die Studierenden an - ehrenamtlich und mit viel Engagement.
    "Was braucht ihr?
    "Wir würden das jetzt absaugen."
    "Das legst Du dir hin, dann ziehst Du die Gebärmutter zu dir ran, dann gehst Du vorsichtig rein."
    Christiane Tennhardt sticht das Röhrchen in die Papaya. Jetzt ist Franziska dran. Sie steckt den Sauger auf.
    "Wenn Du es richtig dran hast, dann löst du das Vakuum"
    Mit dem Unterdruck soll sie die Kerne durch das Röhrchen aus der Frucht saugen.
    Auch die vier Gynäkologinnen beklagen, dass Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland nur unzureichend gelehrt werden: Das hat Folgen. In ländlichen Regionen fehlt es schon jetzt an Nachwuchs. Außerdem sind viele Ärzte nicht auf dem neuesten Stand der Wissenschaft, sagt Gabriele Halder.
    "Irgendwie ist es geregelt, aber dass da viele Frauen diese Etappe von der ungewollten Schwangerschaft schlechter als es sein müsste durchlaufen, das kommt nicht raus."
    "Es wird immer noch viel zu viel küretiert. Das heißt, man kratzt in der Gebärmutter rum wie zu Kaiserszeiten."
    Keine Pflicht der Universitäten, Schwangerschaftsabbrüche zu lehren
    Abtreibungen sind in Deutschland im Strafgesetzbuch geregelt. Sie bleiben innerhalb der ersten zwölf Wochen und nach einer Beratung straffrei, sind aber illegal. Für die Lehre bedeutet das: Die Universitäten sind nicht verpflichtet, Schwangerschaftsabbrüche zu unterrichten. Ob und in welchem Umfang sie das zu tun, entscheidet jede selbst. Oberarzt Jan-Peter Siedentopf ist Lehrbeauftragter an der Klinik für Geburtsmedizin an der Charité und hat die Lehrveranstaltung im 9. Semester, in der Abtreibung thematisiert wird, mit konzipiert:

    "Wir sprechen an, welche Methoden zum Schwangerschaftsabbruch möglich sind, von medikamentös über die verschiedenen operativen Vorgehensweisen. Aber eben auch - und insbesondere - die ethischen Besonderheiten, die da eine Rolle spielen"

    Franziska und Lisa, die beide gerade ihr Medizinstudium an der Charité abgeschlossen haben, haben andere Erfahrungen gemacht:
    "Auf jeden Fall wurde es zu wenig behandelt. Wenn, dann wurde es ethisch besprochen, was ja auf jeden Fall wichtig ist."
    "Der Großteil des Seminars, also ich würde sagen 80 Prozent, ging eigentlich um Prenataldiagnostik. Das heißt, es wurde eigentlich gar nicht behandelt.
    Der Workshop möchte diese Lücke schließen.
    "Das hat mir gebracht, dass ich eine bessere Vorstellung habe, wie ein Schwangerschaftsabbruch genau funktioniert. Also nicht so viel Angst davor."