Viviane Tabar ist Neurochirurgin am Memorial Sloan Kettering Cancer Center in New York. Sie operiert mehrmals pro Woche Tumoren, die im Gehirn von Patienten heranwachsen. Egal wie gut sie ihre Arbeit macht, restlos entfernen kann sie die Krebsgeschwüre praktisch nie:
"Die Tumoren, die wir behandeln, dringen fast immer ins umliegende Gewebe ein. Das führt zu kleinen Tumorherden, die wir durch eine Operation nicht entfernen können. Deshalb brauchen wir die Bestrahlung. Auch bei Leukämiepatienten muss man häufig das Gehirn bestrahlen, weil sich dort Leukämiezellen einnisten können. Wenn wir dabei wirklich alle Tumorzellen erreichen und abtöten wollen, können wir nicht vermeiden, dass auch gesundes Gewebe durch die Bestrahlung beschädigt wird."
Geringerer IQ nach Behandlung
Die Folgen sind inzwischen bekannt. Viele Patienten berichten, dass ihr Kurzzeitgedächtnis sie im Stich lässt, oder dass sie ihre Bewegungen nicht mehr so gut kontrollieren können wie früher. Bei Kindern und Jugendlichen fällt die Therapie außerdem mitten in die Zeit der Hirnentwicklung. Sie bezahlen den Sieg über die Krebserkrankung oft mit einem geringeren IQ oder anderen Einschränkungen. Der Schaden ist offensichtlich. Was genau durch die Bestrahlung im Gehirn ausgelöst wird, ist allerdings noch nicht geklärt. Doch vieles spricht dafür, dass die Zellen, die die eigentlichen Nervenzellen mit einer Schutzschicht aus Myelin umgeben, die sogenannten Oligodendrozyten, dabei eine wichtige Rolle spielen.
"Wir haben in unserem Gehirn einen Pool an Vorläuferzellen, die sich teilen und zu solchen Oligodendrozyten ausreifen können. Mithilfe dieser Zellen kann das Gehirn Schäden reparieren, die im Laufe des Lebens in der Myelinschutzschicht auftreten. Wir vermuten, dass dieser Zellpool durch die Bestrahlung praktisch leer geräumt wird. Das fällt dann erst einmal gar nicht auf. Aber wenn im Laufe der Zeit solche Reparaturen notwendig werden, wird offensichtlich, dass das Material dafür fehlt. Für den Patienten spürbar wird das erst einige Monate oder sogar ein Jahr nach der Bestrahlung."
Vorläuferzellen aus embryonalen Stammzellen
Es ist eine typische Langzeitfolge, und dazu ein Schaden, den der Körper aus eigener Kraft nur schwer wieder ausgleichen kann. Was wäre, fragte die Forscherin, wenn man diesen Pool nach der Behandlung wieder auffüllen könnte. Solche Vorläuferzellen aus embryonalen Stammzellen herzustellen, ist heute möglich. Die Forscherin und ihre Kollegen machten nun den Test, und zwar am Tiermodell: Sie bestrahlten Ratten und wiesen nach, dass die Tiere Schäden davontrugen, die denen menschlicher Patienten ähnlich sind. Dann transplantierten sie den Tieren die im Labor gezüchteten Vorläuferzellen.
"Die Zellen überstanden die Transplantation, und sorgten tatsächlich dafür, dass die Myelinschutzschichten erneuert wurden. Dann testeten wir das Verhalten der Tiere und konnten sehen, dass sich ihre Fähigkeiten körperlich und geistig verbesserten. Nach einiger Zeit verhielten sie sich wieder fast wie Artgenossen, die nie bestrahlt worden waren."
Schritt in die richtige Richtung
Der Ansatz scheint also zu funktionieren. Um die Möglichkeiten dieser Methode wirklich abzuschätzen, ist es aber noch viel zu früh, sagt Charles ffrench Constant von der Universität von Edinburgh in Großbritannien.
"Vielversprechend ist vor allem, dass die Kollegen tatsächlich zeigen können, dass sich das Verhalten der Tiere verbessert. Aber ob man diese Idee auf menschliche Patienten übertragen könnte, ist wirklich noch offen."
In jedem Fall ist es einer der ersten Vorschläge, um die Schäden, die bei der Krebstherapie entstehen, nicht nur zu behandeln oder zu mildern, sondern tatsächlich zu heilen. Selbst wenn es dieses eine konkrete Konzept nicht bis in die Klinik schafft, die Richtung, die die Forscher damit einschlagen, stimmt.