Zimperlich geht es nicht zu, wenn eine Armee kriegerischer Ameisen gegen Termiten zu Felde zieht. Der Verhaltensökologe Erik Frank hat schon einige solche Scharmützel miterlebt, bei sogenannten Matabele-Ameisen, die in Westafrika leben.
„Diese Ameisen, die verletzen sich auf dem Schlachtfeld. Da ist es dreckig, da wird ein Bein abgehackt...“
Und fatalerweise infiziert sich die klaffende Wunde dann auch noch schnell, zum Beispiel mit Pseudomanos aeruginosa, einem gefährlichen Krankheitsrreger.
„Dieses Bakterium ist übrigens auch ein großes Problem bei uns Menschen, also bei unseren eigenen Kriegseinsätzen. Wenn sich bei uns jemand verletzt in Afghanistan und Irak, ist Pseudomonas aeruginosa einer der Hauptfaktoren einer Blutvergiftung.“
Die Ameisen überleben die Infektion
Blieben die versehrten Ameisen sich selbst überlassen, würden 90 Prozent von ihnen an der Infektion sterben, schätzt der Forscher von der Universität Würzburg, der schon viele Male in Afrika war. Doch es ist ganz anders. Fast alle der Tiere überleben, wie Frank im Freiland und auch in Laborversuchen beobachten konnte. Denn andere Ameisen transportieren sie nach beendetem Kampf ins Nest zurück, und dort sind sie offenbar in den besten medizinischen Händen.
„Im Nest wird dann die Wunde gereinigt und sauber gehalten. Aber wenn sich nach ein paar Stunden andeutet, dass sich die Wunde infiziert, wird diese dann noch zusätzlich mit einer speziellen Sekretion behandelt. Da nehmen die Ameisen dann ein bisschen in den Mund und tragen sie auf die Wunde auf.“
Dieses Sekret produzieren die behandelnden Ärztinnen selbst, in einer Drüse, die seitlich an ihrem Körper sitzt. Eine Art Eigen-Therapeutikum, das sie da verabreichen.
„Und das machen die dann für drei, vier Stunden. Und die Ameisen sind in der Lage, mit Hilfe von ihrem eigenen Immunsystem und dieser Behandlung die Infektion zu besiegen.“
In manchen Fällen amputieren Ameisen gezielt
Ob es spezielle Sanitätsteams im Nest gibt, kann Erik Frank aber nicht sagen. Alle Ameisen des Volkes seien mit der Drüse ausgestattet. Allerdings weiß der Ökologe inzwischen mehr über das applizierte Heilserum.
„Erstaunlicherweise sind ungefähr die Hälfte der Substanzen, die wir da drin finden, antimikrobiell wirksam. Ungefähr 60 bis 70 haben antimikrobielle Funktionen. Und ein paar von denen sehen sogar sehr ähnlich zu Antibiotika aus, die wir selber benutzen. Und vor allem der Cocktail aus diesen ganzen Sachen zusammen ist besonders interessant und besonders wirksam.“
Es gibt alle möglichen Gattungen und Arten von Ameisen. Auch solche, die nicht über die Drüse verfügen und deshalb auch nicht über Wundheilmittel. Wie behandeln sie ihre Kriegsversehrten? Auch das hat Erik Franks Arbeitsgruppe untersucht. An Rossameisen, die überall in Mitteleuropa verbreitet sind. Das Ergebnis auch hier eine kleine Sensation.
„In der Tat wird eine Wunde bei denen auch gesäubert. Was uns aber komplett vom Hocker gerissen hat, war, dass diese Ameisen in manchen Fällen auch das Bein komplett amputieren.“
Die Befunde könnten auch von Nutzen für uns sein
Wer keine Pharmazeuten im Haus hat, der braucht eben Chirurgen und eine Brachial-OP.
„Die packen das Bein und beißen so lange drauf, bis das Bein abgehackt ist und damit auch die Infektion entfernt ist. Zum Preis eines halben Beines.“
Die neuen Befunde über Ameisen und ihre ärztliche Finesse sind nicht nur faszinierend. Sie könnten auch von Nutzen für uns sein. Das kann sich jedenfalls Laurent Keller vorstellen, Professor für Evolutionäre Ökologie an der Universität Lausanne in der Schweiz. In seinem Labor hat Erik Frank zeitweilig geforscht. Es sei nun geplant, das stoffreiche Düsensekret der Matabele-Ameisen genauer zu analysieren, sagt Keller.
“Ich glaube, darin steckt ein großes Potenzial. Wir haben in dem Sekret auch etliche noch unbekannte Substanzen identifiziert, die gegen Bakterien wirken. Einige von ihnen könnten sich in Zukunft vielleicht zu neuen Arzneistoffen entwickeln – vor allem um Krankheitserreger zu bekämpfen, die resistent gegen heutige Antibiotika sind.“