Archiv

Medizinnobelpreisträger Paul Nurse
Auf der Suche nach den Geheimnissen des Lebens

1944 sorgte der Physiker Erwin Schrödinger mit der Vorlesungsreihe und dem Buch "Was ist Leben?" für Aufsehen und begründete die Molekularbiologie. Medizin-Nobelpreisträger Paul Nurse stellt sich unter dem selben Titel die Frage erneut: Kann er in seinem neuen Buch endgültige Antworten liefern?

Von Michael Lange |
Sir Paul Maxim Nurse, Medizinnobelpreisträger 2020
Medizinnobelpreisträger Sir Paul Maxim Nurse hat den gleichen Titel für seine Analyse gewählt wie der Wissenschaftsklassiker von 1944 (picture alliance / dpa / CTK / Vaclav Salek)
Es ist schon ein wenig anmaßend, ein Buch mit dem Titel "Was ist Leben?" zu schreiben. Schließlich stellte der Physiker Erwin Schrödinger bereits vor 75 Jahren in einem Klassiker der Wissenschaftsliteratur die gleiche Frage, ohne sie beantworten zu können. Aber der Medizin-Nobelpreisträger Paul Nurse wagt es.
Und – anders als Schrödinger - liefert er nicht nur eine Antwort, sondern gleich fünf.
"Physiker fühlen sich in der Regel zu eleganten, einfachen Lösungen hingezogen und können mit der chaotischen, nicht ganz vollkommenen Realität lebender Systeme wenig anfangen."

Seine fünf Antworten der Biologie präsentiert Paul Nurse in den Kapiteln:
Hier geht es zum Literatursommer von Deutschlandfunk 
  • Die Zelle
  • Das Gen
  • Evolution durch natürliche Selektion
  • Leben als Chemie
  • Leben als Information
Genau genommen handelt es sich nicht um fünf Antworten, sondern fünf verschiedene Wege, auf denen sich die Biologie den Geheimnissen des Lebens nähert. Endgültige Antworten: Fehlanzeige. Aber jede Menge Detailwissen. Im Mittelpunkt immer wieder das allgegenwärtige Erbmolekül DNA.
"Wenn es Ihnen irgendwie gelänge, alle in Ihrem Körper aufgewickelten DNA-Abschnitte zusammenzufügen und dann zu einem einzigen, glatten Faden auseinanderzuziehen, kämen sie auf eine Länge von 20 Milliarden Kilometern. Das ist lang genug, um 65-mal bis zur Sonne und zurück zu reichen!"

Auslese kompakt: Zielgruppe

Für Wissenschaftsinteressierte, die im Informationswust der Biologie nach Orientierung suchen.

Erkenntnisgewinn

Eindeutige Naturgesetze beherrschen die Physik. In der Biologie regiert trotz Molekularbiologie die Vielfalt, und manchmal das Chaos.

Spaßfaktor

Wer die Wissenschaft liebt, und viel darüber weiß, kann sie auch mit einem Augenzwinkern in Frage stellen.

Ausflüge in die Wissenschaftsgeschichte

Neben den kompakten und anschaulichen Erklärungen der Zell- und Molekularbiologie unternimmt Paul Nurse viele Ausflüge in die Wissenschaftsgeschichte – hin und wieder gewürzt mit Anekdoten aus der eigenen Karriere. Die begann mit dem Staunen über einen Zitronenfalter, führte ihn über das Mikrobiologielabor einer Brauerei bis zum Medizin-Nobelpreis für Forschung an Hefezellen.
Bei aller Begeisterung für biologische Details verliert Nurse nicht den Überblick, und im letzten Drittel des Buches wagt er einen Ausblick.
"Mit der Fähigkeit, Genome zu lesen, wächst auch die Möglichkeit sie zu bearbeiten und umzuschreiben. … Je besser die Vorhersagen werden, die wir anhand unserer Genome treffen können, desto mehr müssen wir darüber nachdenken, wie wir dieses Wissen nutzen wollen."
Sie sehen eine Zeichnung, auf dem Neandertaler einen Höhlenbären jagen.
Analyse alter DNA - die Paläogenetik
Die heutigen Pesterreger gehen auf den "Schwarzen Tod" im Mittelalter zurück – und die Tuberkulose kam nicht erst mit den Europäern nach Amerika. Die Analyse alter DNA erhellt nicht nur unsere Vergangenheit. Sie könnte auch der modernen Medizin helfen, sich auf Epidemien vorzubereiten.
Der Versuch von Paul Nurse, den aktuellen Kenntnisstand zum Thema "Leben" in wenigen Thesen zusammenzufassen, ist zum Scheitern verurteilt. Die Biologie von heute lässt sich nicht auf ein paar Thesen reduzieren. Die Vielfalt ist ihr Markenzeichen. Und so bleibt ihm nichts anderes übrig, als Informationen und Sichtweisen aus unterschiedlichen Bereichen der Biologie zusammenzufassen. Um die Situation der Biologie dann doch in einer Zeile auf den Punkt zu bringen, zitiert Paul Nurse den Pionier der Molekularbiologie Sydney Brenner.
"Wir ertrinken in Daten. Aber uns dürstet nach Wissen."