Eigentlich waren Purnima Ratilal und ihre Kollegen im September 2006 auf den Golf von Maine hinausgefahren, um die Heringe zu beobachten. Die kommen in riesigen Schwärmen zum Laichen dorthin und können von den Forschern der Northeastern University in Boston über eine neue Art der Echoortung aufgespürt und beobachtet werden. Doch nicht nur die ausgesendeten und von den Heringsschwärmen reflektierten Schallwellen kamen bei den hochsensiblen Unterwasser-Mikrofonen. Auch so etwas:
"Eigentlich waren wir nicht dort draußen, um Meeressäuger zu untersuchen. Aber als wir auf See waren, merkten wir, dass wir sehr viele Buckelwallaute hörten. Und deshalb haben wir uns dann ein paar Jahre später, als wir die Fischanalyse fertig hatten, den Meeressäugern gewidmet."
"Das ist wirklich ein Big-Data-Problem"
Auch die Wale interessieren sich für die riesigen Fischschwärme und schwimmen in die Laichgebiete des Herings, um sich dort satt zu fressen. Dass sie dabei von den Forschern mit insgesamt 160 aneinander gereihten Unterwasser-Mikrofonen belauscht und auf einem Gebiet der Größe Islands für zehn Tage genaustens geortet wurden, scheint sie nicht gestört zu haben. Denn die Akustik-Experten hatten am Ende ziemlich viel Gequassel auf ihren Aufnahmen.
"Das ist wirklich ein Big-Data-Problem. An einem typischen Tag hatten wir ungefähr 10.000 bis 18.000 Rufe von Finnwalen, 2.000 bis 3.000 Rufe von Buckelwalen und ungefähr 2500 Rufe von den Zahnwalen. Und dann hatten wir natürlich auch noch Laute von vielen anderen Arten. Das heißt, es gibt sehr viele Daten, die analysiert werden müssen."
Doch die Mühe wurde belohnt:
"Zuerst untersuchten und orteten wir die Buckelwal-Geräusche. Da waren wir sehr überrascht, denn die Walgeräusche kamen aus zwei bestimmten Gebieten. Die Wale waren immer an diesen beiden gleichen Stellen, über zehn Tage lang!"
Auf der Jagd nach Heringen
In den weiteren Analysen zeigte sich, dass auch andere große Bartenwale wie Blauwale, Finnwale, Seiwale und Zwergwale sowie kleinere Zahnwale ein sehr genau zu lokalisierendes Jagd-Territorium hatten, in dem sie sich während der gesamten Laichzeit der Heringe aufhielten. Warum das so ist und ob die Aufteilung der Jagd-Gebiete unter den Arten friedlich vonstattengeht, wissen die Forscher noch nicht. Für die Heringe aber, so viel ist klar, kann es in diesen Zonen ziemlich ungemütlich werden, denn sie sind dort regelrecht von Räubern umzingelt.
"Die Anzahl der Rufe, die die Wale pro Minute absetzten hing bei vier Walarten sehr stark mit der Anzahl der Fische um sie herum zusammen, und zwar bei den Blau-, Buckel-, Zwerg- und Finnwalen."
Das etwa heißt so viel wie "Attacke", und ist ein für Heringe anscheinend furchterregender Ruf der Buckelwale, denn er lässt die Fischschwärme dichter zusammenrücken. Eben davon profitieren die Buckel- und andere große Bartenwale, die nur noch ihr riesiges Maul öffnen müssen und sehr viele Fische auf einmal verschlingen können. Diese Wale hatten den Forschern daher nachts, wenn sich der Hering zum Laichen in Schwärmen zusammenfindet, zwei bis zehn Mal so häufig aufs Band gesprochen wie tagsüber, berichtet Purnima Ratilal. Und wenn es nach der Expertin für Unterwasserakustik und Ökosystemforschung geht, wird es nicht das letzte Mal gewesen sein.
"Wenn man Ökosysteme schützen möchte, dann muss man wissen, wie die Schlüssel-Arten und ihre Beute verteilt sind. Und ich denke, dass unsere Akustik-Methode die einzige Technologie ist, mit der alle diese Arten zur gleichen Zeit über riesige Gebiete beobachtet werden können."