"Dann nehmen wir mal eins davon raus eben."
Alkoholschwaden erfüllen das Büro am Senckenbergmuseum in Frankfurt, als Dr. Dorte Janussen ein Schraubglas öffnet. Mit einer Pinzette zieht die Biologin ein filigranes schneeweißes Gebilde heraus: einen kahlen, blassen Zweig. Das ist die Schwamm-Art Cladorhiza corallophila - ein Raubschwamm. Bis zu zehn Zentimeter lang werden diese Gebilde. Auf den feinen Ästen sitzen Filamente - kleine Nadeln:
"Die sehen aus wie kleine Häkchen und an den Häkchen bleiben hauptsächlich Flohkrebse hängen, also kleine Krebstiere, und der Schwamm, der stülpt sie darüber und verdaut sie innerhalb einer Woche und spuckt nachher die Hartteile und unverdaulichen Teile aus und fährt dann die Filamente wieder aus. Das ist ein für Schwämme völlig einmalige Art der Ernährung."
Normale Schwämme pumpen Meerwasser durch ihre Hohlräume und filtern Mikroorganismen heraus, denn sie leben in nährstoffreichen Gewässern. Die meisten räuberischen Schwämme hingegen kommen in der Tiefsee vor, erklärt Dorte Janussen:
"In der Tiefsee bleibt so wenig Substanz in der Wassersäule, dass es nicht viel zu filtrieren gibt, deswegen mussten sie aus der Not gedrungen sozusagen eine andere Strategie entwickeln."
Raubschwämme verlegten sich in der kargen Umgebung auf tierische Beute, auf winzige Krebstiere.
Neue Raubschwamm-Art hat sich auf Leben im Korallenriff spezialisiert
Umso überraschter war die Biologin, als ihr Kollege André Freiwald vom Senckenberg-Institut für Meeresforschung in Wilhelmshafen von einer Forschungsreise diesen räuberischen Schwamm mitbrachte. Er hatte ihn auf einem nährstoffreichen Korallenriff vor der Küste von Mauretanien in Westafrika gefunden - in nur 500 Metern Wassertiefe, sagt Dorte Janussen:
"Es ist eine neue Art, die bisher nur dort dokumentiert ist. Und so weit wir sehen können, sitzen die Schwämme fast immer auf den Korallen drauf, auf toten Korallen, auf lebenden Korallen, und es scheint eine Symbiose zu sein, also ein Zusammenleben, was obligatorisch ist, zumindest für die Schwämme, die brauchen das."
Diese Schwämme sind nicht die ersten, die Meeresbiologen auf Korallenriffen entdecken. Aber diese sind offenbar besonders auf diesen Lebensraum spezialisiert:
"In der intensiven Form haben wir das noch nicht gesehen. Dass da mal ein Schwamm auf den Korallen sitzt ist nichts Ungewöhnliches, aber dass das ganze Korallenfeld mit Raubschwämmen besiedelt ist, dermaßen intensiv, dass fast auf jeder Koralle ein Schwamm sitzt oder mehrere, das, das haben wir noch nicht gehabt. Das ist anscheinend irgendwie eine neue Strategie für diese Art."
Je weiter oben, desto mehr Nahrung
Das hat sich gezeigt, als die Frankfurter Forscher Videoaufnahmen auswerteten, die Tauchroboter während der Expedition aufgenommen hatten.
Alles strebt im Meer nach oben, zum Licht. Je weiter oben, desto mehr Nahrung. Die Raubschwämme benutzen die Korallen also als Hochsitze bei der Jagd auf kleine Krebstiere, berichtet Dorte Janussen:
"Das ist für die ein großer Vorteil, hochgehoben zu werden in die Wassersäule, vielleicht Reste von dem Fressen, was die Korallen da zu sich nehmen, oder umgekehrt, vielleicht fangen die Schwämme Sachen und geben Nährstoffe weiter an die Korallen, das ist bisher noch nicht alles erforscht."
Noch einen Vorteil hat es, hoch über dem Meeresboden zu leben: Dort oben sind die Raubschwämme davor geschützt, von Sand und Sediment zugedeckt zu werden.