Wenn in einer bestimmten Meeresregion die Wassertemperatur über eine längere Zeitspanne ungewöhnlich hoch ist, spricht man von einer marinen Hitzewelle. Solche Hitzewellen verursachten in den letzten Jahren große Veränderungen in den Ökosystemen im offenen Meer und an der Küste. Forschende des Oeschger-Zentrums für Klimaforschung der Universität Bern konnten nun zeigen, dass die marinen Hitzewellen in den vergangen 40 Jahren in allen Weltmeeren massiv länger und ausgeprägter geworden sind. In einer im Wissenschaftsmagazin "Science" publizierten Studie kommt die Meereswissenschaftlerin Charlotte Laufkötter zu dem Schluss, dass die Wahrscheinlichkeit von solchen Ereignissen als Folge der globalen Erwärmung massiv zugenommen hat. Gelänge es nicht, die Erderwärmung auf unter drei Grad zu begrenzen, dann könnten Hitzewellen einmal alle zehn Jahre oder sogar jährlich auftreten.
Monika Seynsche: Warum sind diese marinen Hitzewellen überhaupt so gefährlich?
Charlotte Laufkötter: Ähnlich wie an Land haben marine Hitzewellen einen sehr starken negativen Einfluss auf marine Organismen und marine Ökosysteme. Das ist einmal direkt durch die Temperatur selber – viele von den marinen Organismen leben bereits am oberen Ende des Temperaturbereichs, den sie aushalten können. Wenn es dann noch wärmer wird, erhöht sich oft die Mortalität dieser Organismen drastisch. Dazu kommt, oft gehen diese Hitzewelle mit einer niedrigen Primärproduktion einher, das bedeutet ein niederes ich sag jetzt mal Pflanzenwachstum, obwohl es Pflanzen streng genommen im Ozean nicht gibt, aber dadurch ist einfach weniger Nahrung vorhanden.
Erhöhte Sterblichkeit bei Vögeln, Fischen und Meeressäugern
Das ist also ein zusätzlicher Stressfaktor zu der Hitze. Das beides zusammen bewirkt oft, dass auch viele höhere Organismen eine deutlich erhöhte Mortalität haben. Man weiß zum Beispiel von Seelöwen und Vögeln, dass die Sterberate bis zu 20 Prozent erhöht ist während solcher Hitzewellen, und auch Fischereien sind oft stark betroffen. Zusätzlich gibt es solche sogenannten Schlüsselspezies, die formen ein Habitat. Es ist ähnlich wie die Bäume an Land einen Wald formen, gibt es im Meer zum Beispiel Korallen, die die Korallenriffe formen. Diese Schlüsselspezies können oft der Hitze nicht ausweichen, weil die teilweise am Boden fest sind, und sind oft sehr stark von dieser Hitze angegriffen und oft bis zu einem Ausmaß, dass sie sich jahrelang nicht davon erholen können. Zusätzlich weiß man noch von sogenannten Harmful Algal Blooms, das sind giftige Algenblüten, die oft in Zusammenhang mit Hitzewelle auftreten und dann die ganze Gegend kontaminieren, sodass man zum Beispiel Fisch, der in der Gegend gefangen wird, nicht mehr verkaufen kann.
Seynsche: Und wie entstehen solche Hitzewellen?
Laufkötter: Im Prinzip hat jede Hitzewelle ihre eigene Geschichte. Wodurch sie jetzt genau aufgetreten ist, das kann unter anderem eine Hitzewelle in der Atmosphäre sein, die das Meer erwärmt, es kann auch eine Änderung der Strömungsbedingungen sein, sodass besonders viel warmes Wasser irgendwohin transportiert wird oder weniger kaltes Wasser als normal. Es gibt auch so großflächige Klimaphänomene wie El Niño zum Beispiel, die Hitzewellen verursachen können. Aber unter diesen ganzen kurzfristigen Phänomenen liegt auch ein langfristiger Trend, dass das Meer sich erwärmt. Dadurch lässt sich eigentlich der Anstieg der Hitzewellen im Meer vor allem erklären über die letzten Jahrzehnte.
Statistische Analysen belegen menschlichen Einfluss
Seynsche: Sie haben sich ja angeschaut, welchen Einfluss der Mensch auf solche Hitzewellen hat oder menschliche Aktivitäten auf solche Hitzewellen hat. Wie haben Sie das gemacht?
Laufkötter: Im Prinzip benutzen wir Modellsimulationen, um zwei unterschiedliche Welten zu simulieren. Die erste Welt ist die reale, die, in der wir leben, inklusive der Treibhausgase, die seit der Industrialisierung in die Atmosphäre gelangen. Die zweite Welt ist eine imaginäre Welt ohne diese Treibhausgase. Dann berechnen wir in jeder dieser beiden Welten, wie wahrscheinlich es ist, dass eine Hitzewelle, die so stark ist wie die beobachtete, auftritt. Aus dem Unterschied der beiden Wahrscheinlichkeiten kann man halt sehen, zu welchem Anteil der Mensch zu dieser Hitzewelle beigetragen hat.
Seynsche: Und was ist dabei herausgekommen, bei dieser Simulation?
Laufkötter: Wir haben in unserer Studie uns auf sieben marine Hitzewellen fokussiert. Von diesen sieben Hitzewellen weiß man besonders viel darüber, wie die die marine Ökosysteme beeinflusst haben. In sechs von diesen sieben Hitzewellen haben wir einen sehr hohen menschlichen Beitrag festgestellt, in mehreren Fällen sogar einen Beitrag von hundert Prozent. Das heißt, diese Hitzewelle hätte nicht so heiß und nicht so lang sein können ohne den menschengemachten Klimawandel.
Marine Hitzewellen könnten zum Normalfall werden
Seynsche: Was bedeutet das denn, wenn wir jetzt in die Zukunft schauen, auf zukünftige mögliche Hitzewellen?
Laufkötter: Hitzewellen werden definitiv, also marine Hitzewelle werden öfter auftreten. Wir haben uns explizit für die sieben Hitzewellen, die wir in unserer Studie untersucht haben, angeguckt, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass die pro Jahr auftritt. In einer Welt ohne menschengemachten Klimawandel wären die vielleicht einmal in tausend Jahren aufgetreten, also in jedem Jahr hat man ein Tausendstel Wahrscheinlichkeit, dass so eine Hitzewelle auftritt. Mittlerweile, mit etwa ein Grad Erwärmung, wie wir zurzeit haben, treten diese Hitzewelle schon etwa einmal alle hundert Jahre auf, also in jedem Jahr hat man ein Hundertstel Prozent Chance, dass so eine Hitzewelle auftritt. Dann haben wir noch in die Zukunft geschaut für verschiedene Szenarien der Erwärmung. Unter drei Grad Erwärmung – das wäre sehr starke Erwärmung, ohne dass die Menschheit viel gegen den Klimawandel unternimmt – würden diese Hitzewellen einmal alle zehn Jahre oder sogar jährlich auftreten. Also man hat mindestens zehn Prozent oder höhere Chance in irgendeinem Jahr, dass so eine Hitzewelle auftritt.
Seynsche: Kann man denn auch sagen, was das wiederum für die Tierwelt und die Pflanzenwelt im Meer bedeuten würde, ein solch drastischer Anstieg an marinen Hitzewellen?
Laufkötter: Man kann natürlich davon lernen, was man heutzutage sieht, was da passiert, und wenn dann das Gleiche passiert wie heute, dann wäre das ein ganz drastischer Einschnitt. Wir hätten definitiv keine Korallenriffe mehr, auch ganze Ökosysteme könnten sich dem nicht anpassen und würden aussterben. Es ist natürlich schwierig vorherzusagen, inwieweit solche Systeme sich anpassen können. Sie würden sich natürlich verändern, aber die Hitzewellen, die jetzt aufgetreten sind, die sind ja innerhalb von einem kurzen Zeitraum aufgetreten. Das ist ja eine andere Herausforderung, als wenn diese Wärme sich über 50 Jahre entwickelt. So oder so würden die Ökosysteme, wie wir sie heute kennen, so nicht mehr existieren können, definitiv nicht in den tropischen Gebieten.
Ohne ehrgeizige Klimaziele verschwinden marine Ökosysteme
Seynsche: Gibt es denn Weltregionen, um die Sie sich besondere Sorgen machen, wenn es um marine Hitzewellen und im Zweifelsfall auch durch den Klimawandel zukünftig häufigere marine Hitzewellen geht?
Laufkötter: Im Prinzip sehen wir in allen Weltregionen eine Zunahme von Hitzewellen. Ich sehe keine Region, die davon ganz besonders betroffen ist. Es ist wohl so, in den heutigen tropischen Gebieten würden dann Temperaturen herrschen, die es bisher nirgendwo auf der Welt gibt, und das wäre sicherlich eine Region, um die ich mir besonders Sorgen machen würde. Außerdem, die Polarregionen erwärmen sich deutlich schneller als der Rest der Welt – das wäre also auch eine besonders verwundbare Region.
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