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Meeresspiegel steigt stärker als vorhergesagt

Klimaforschung. - Die internationale Konferenz "Klimawandel: Globale Risiken, Herausforderungen und Entscheidungen" mit über 2000 Teilnehmern in Kopenhagen soll den Stand der Forschung bündeln und damit einen späteren Weltklimagipfel vorbereiten. Zum Auftakt der Konferenz stand der Anstieg des Meeresspiegel im Mittelpunkt.

Von Volker Mrasek |
    Für John Church steht der Meeresspiegel im Mittelpunkt seiner Forschungsarbeit. Wie stark er steigt, verfolgt kaum jemand schon so lange wie der Physiker vom Australischen Zentrum für Wetter- und Klimaforschung. In Kopenhagen berichtete Church jetzt über aktuelle Trends. Demnach steigen die Pegel beschleunigt und schneller als noch im 4. Weltklimabericht von 2007 angenommen:

    " Die jüngsten Satellitendaten und Pegelstandsmessungen an den Küsten zeigen, dass der Meeresspiegel weiterhin um mehr als drei Millimeter pro Jahr steigt. Dieser Zuwachs liegt um mehr als 50 Prozent über dem Mittelwert für das 20. Jahrhundert."

    Der Ozean dehnt sich aus, weil er wärmer wird - ein thermisch-physikalischer Prozess. Außerdem fließt ihm Schmelzwasser von Gletschern zu, die verstärkt abtauen:

    "Wenn man die jüngsten Messdaten genau auswertet und überprüft, dann gibt es keinerlei Anzeichen für eine Abkühlung des Ozeans, sondern wir sehen eine kontinuierliche Erwärmung. Auch der Beitrag von Gletschern zum Anstieg des Meeresspiegels nimmt weiterhin zu. Nach den neuesten Veröffentlichungen liegt diese Rate nun bei einem bis 1,3 Millimetern pro Jahr."

    Gletscher in der West-Antarktis und auf Grönland verlieren schneller an Masse, als es der Weltklimabericht von 2007 erlaubt, könnte man fast sagen. Denn darin war noch keine Rede von Eis-Verlustraten, wie sie heute auftreten. Konrad Steffen, Professor für Umweltwissenschaften an der Universität von Colorado in Boulder in den USA:

    "Wir haben Satellitendaten von 1979 bis heute. In diesen 30 Jahren ist die Fläche Grönlands, auf der Eis schmilzt, um 20 Prozent gewachsen. Es gibt Möglichkeiten, aus diesen Daten das Eisvolumen abzuleiten, das Grönland an das Meer verliert. Das waren zuletzt Jahr für Jahr 200 bis 300 Kubikkilometer - das dreifache Eisvolumen der Alpen."

    Ein weiterer Fortschritt gegenüber dem Klimareport von 2007: Die Forscher wissen heute mehr über die Dynamik der polaren Eisschilde und das Fließverhalten ihrer Gletscher. Das ist wichtig. Denn viele der riesigen Eisströme zeigen nicht nur Auftau-Erscheinungen. Sie rücken auch beschleunigt Richtung Meer vor und verlieren auf diese Weise ebenfalls Masse. Sehr viel sogar. Details dazu gab es in Kopenhagen von Eric Rignot, Professor für Geowissenschaften an der Universität von Kalifornien in Irvine:

    "Wir haben neue Ergebnisse aus Grönland wie auch aus der Antarktis. Und wir sind ziemlich sicher: Die größten Eisverluste kommen dadurch zustande, dass die Gletscher schneller abfließen. Auf Grönland kann man zwei Drittel des Masseverlustes mit dem beschleunigten Gletscherabfluss an seinem Rand erklären. Das heißt, der Effekt der Eisschmelze wird auf diese Weise praktisch um den Faktor drei erhöht."

    18 bis 59 Zentimeter - um so viel könnte der Meeresspiegel bis zum Jahr 2100 ansteigen. Das ist zumindest die offizielle Lesart bisher. So steht es im jüngsten Weltklimareport. Doch dabei sind die agileren Gletscherströme noch gar nicht berücksichtigt.

    Insofern sei diese Prognose schon wieder überholt, hieß es in Kopenhagen. Konrad Steffen nannte ganz andere Zahlen:

    "Die Vorhersage muss wahrscheinlich revidiert werden, auf Werte bis zu einem Meter oder mehr. Und auch dann ist noch nicht Schluss. Denn der Meeresspiegel wird weiter steigen, über das Jahr 2100 hinaus."

    Es gibt inzwischen Studien, wonach der Meeresspiegel im Jahr 2200 sogar um mehrere Meter angestiegen sein könnte, weil der Ozean so unglaublich langsam auf Veränderungen reagiert. Auch das hat sich noch nicht großartig herumgesprochen.