Eine Nacht vor etwa sechs Jahren. Die damals 18-jährige Sofia Österlöf feiert mit Freunden in der Wohnung von einem von ihnen. Es wird spät, kein Nachtbus fährt mehr, und die in Schweden üblicherweise teuren Taxis kann sich die Studentin nicht leisten. Also entschließt sich Sofia, bei dem Freund zu übernachten. Sie habe ihn gekannt, sagt sie heute, es fühlte sich in Ordnung an, dort zu bleiben. Ein paar Stunden später wachte Sofia jedoch auf, weil jener Freund in sie eingedrungen war:
"Ich begriff, dass ich vergewaltigt wurde. Aber ich hatte keine Ahnung, was ich tun sollte. Ich reagierte so, wie es offenbar sehr viele tun: Ich erstarrte, tat gar nichts. Ich versuchte ihn dazu zu kriegen aufzuhören. Ich habe mich gewunden, ohne dass er merken sollte, dass ich schon wach war."
Denn den Mann damit zu konfrontieren, was er gerade tat, schien Sofia in jenem Moment unmöglich. Schließlich, meint Sofia, muss er gemerkt haben, dass sie dabei war, wach zu werden. Er habe ihr noch den Slip hochgezogen und sich dann weggedreht.
Prinzip der passiven Zustimmung soll abgeschafft werden: Schlafen oder Schweigen reicht nicht
Es kam zur Anklage wegen Vergewaltigung. Der Prozess endete allerdings mit einem Freispruch. Er habe kein Nein von Sofia wahrgenommen, gab der Mann vor Gericht an, er habe geglaubt, sie wolle es und habe nicht verstanden, dass sie schlief.
Mit dem neuen Sexualstrafgesetz könnten Fälle wie dieser künftig eher zu einer Verurteilung führen, glaubt Madeleine Leijonhuvfud, emeritierte Professorin für Strafrecht an der Uni Stockholm. Schon seit langem setzt sie sich in der öffentlichen Debatte für ein Einverständnisgesetz ein. Das geplante Gesetz betrachtet sie als Durchbruch. Denn es bedeute nicht nur "Nein" heißt "nein":
Freiwillige Beteiligung am Sex steht im Mittelpunkt
"Es muss künftig eine Form von Zustimmung, ein Ja geben, verbal oder körperlich, bevor man eine sexuelle Handlung mit einem anderen Menschen ausführt. Der Fokus wird auf das Geschehen an sich gelenkt. Wollte sie auch? War sie freiwillig beteiligt?"
Nur ein Ja bedeutet also "ja". Schlaf, Schweigen oder Passivität hingegen nicht. Dass beide eindeutig wollen, dessen müssen sich künftig beide Seiten vergewissern.
Denn dass jemand bei einer Vergewaltigung nicht nein sagt und sich nicht wehrt, komme häufiger vor, als viele glauben, erklärt Madeleine Leijonhufvud.
Eine aktuelle schwedische Studie zeigt, dass sich jedes siebte Opfer einer Vergewaltigung während der Tat wie gelähmt fühlt, unfähig, sich zu wehren. "Frozen Fright", Angststarre, nennt sich dieses Phänomen. Viele Frauen erfüllt diese Nicht-Reaktion im Nachhinein mit Scham und Schuldgefühlen. Und vor Gericht wird die fehlende Gegenwehr bislang häufig als passive Zustimmung gewertet.
Mehrheitliche Zustimmung im Parlament wird erwartet
Auch wenn das Gesetz im Parlament vermutlich mit großer Mehrheit verabschiedet werden wird: Es gibt auch kritische Stimmen. Denn es stehe weiter Wort gegen Wort, sagt Bengt Ivarsson, Vorsitzender der schwedischen Anwaltsvereinigung. Bei dieser Art Verbrechen seien nun mal meist nur zwei Personen und keine Zeugen anwesend:
"Es besteht das Risiko, dass die Opfer Vergewaltigungen gar nicht erst anzeigen, dass man denkt: Es macht keinen Sinn, der wird sowieso nicht verurteilt. Damit riskieren wir im schlimmsten Fall steigende Dunkelziffern."
Schneller und kontinuierlicher rechtlicher Beistand
Dem soll eine weitere Regelung im neuen Gesetz entgegenwirken, betont Schwedens Justizminister Morgan Johansson: Die Opfer sollen noch schneller und kontinuierlicher rechtlichen Beistand bekommen, so dass ihre Position später während des Gerichtsprozesses gestärkt wird. Außerdem verspricht sich der Justizminister, wie die meisten Befürworter des neuen Einverständnisgesetzes, vor allem eine normative Wirkung:
"Ich glaube, dass deutlicher werden wird, was eigentlich die Regeln sind für Sex. Für alle Seiten, aber vor allem für Jungen und Männer. Vom Gesetzgeber her soll deutlich gemacht werden: Wenn etwas nicht freiwillig geschieht, dann handelt es sich dabei um einen Übergriff. Und dann kannst du riskieren, verurteilt zu werden."