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Mehlis: Syrien reagiert nur auf massiven Druck

Oberstaatsanwalt Detlev Mehlis kam als UNO-Sonderermittler auch nach Syrien, um den Mord am früheren libanesischen Präsidenten Hariri aufzuklären. Als außerordentlich schwierig und gefährlich bezeichnet er den Auftrag der UNO-Inspektoren, die Spuren eines Giftgaseinsatzes suchen. Unterstützung der Regierung sei kaum zu erwarten.

Detlev Mehlis im Gespräch mit Friedbert Meurer |
    Friedbert Meurer: Detlev Mehlis ist leitender Oberstaatsanwalt in Berlin. Er war UNO-Sonderermittler im Libanon und in Syrien, um den Mord am früheren libanesischen Präsidenten Hariri aufzuklären. Guten Morgen, Herr Mehlis!

    Detlev Mehlis: Guten Morgen, Herr Meurer!

    Meurer: Wie schwierig, glauben Sie, ist die Mission der UNO-Inspekteure in Syrien, die jetzt dort nach Giftgasspuren suchen?

    Mehlis: Also, ich bin natürlich kein Chemiefachmann, sondern Staatsanwalt, aber ich denke, in diesem Fall wird es einfach aufgrund der Technik, das heißt, man hat die Apparaturen, man hat die Geräte, um festzustellen, gab es Giftgas, wird es sicher einfacher sein als wir es hatten, wo es ja um die Aufklärung eines Mordes in 23 Fällen ging. Die Umstände natürlich, die jetzt die Kollegen der UN in Syrien vorfinden, sind sicher, wie man gestern ja auch gesehen hat, außerordentlich schwierig und gefährlich.

    Meurer: Sie haben damals bei Ihren Ermittlungen, Herr Mehlis, auch die Spuren nach Syrien verfolgt. Wie schwierig war es für Sie, in Syrien zu ermitteln?

    Mehlis: Nun ja, wir hatten ja mit Unterstützung des Sicherheitsrates das Mandat, das heißt auch das Recht, syrische Staatsbürger, syrische Staatsangehörige zu vernehmen, was sich auf dem Papier recht einfach las, in der Praxis aber doch sehr schwierig war. Wir stellten also fest, dass das syrische Regime, wann immer es möglich war, verzögerte, letztlich bis zum letzten Moment versuchte, das zu verhindern. Erst dann, unter dem Druck der UN einleitete, wir stellten fest, dass seitens des syrischen Regimes versucht wurde, auf die Ermittlungen in der Weise Einfluss zu nehmen, dass falsche Zeugen an uns herangeschleust wurden.

    Meurer: Also Zeugen mit einer anderen Identität, als es eigentlich sein sollte, oder was sind falsche Zeugen?

    Mehlis: Falsche Zeugen mit einer anderen Geschichte. Das heißt, es wurde versucht, zu täuschen.

    Meurer: Gab es auch Zeugen – oder wenn Sie Zeugen vernahmen, saß dann da jemand daneben oder hinter Ihnen vom syrischen Geheimdienst?

    Mehlis: Nein. Das hatten wir uns verbeten. Selbstverständlich hatten wir die syrischen Mandatsträger, die wir vernommen haben, die hatten das Recht, jeder Beschuldigte, einen Anwalt dabei zu haben, aber ansonsten haben wir da schon frei und unbeeinflusst ermittelt selbstverständlich. Das geht nicht, dass da dritte Personen teilnehmen.

    Meurer: Haben Sie den Eindruck so alles in allem gehabt, die syrische Regierung hat damals versucht, die volle Kontrolle darüber zu haben, was Sie da im Land treiben?

    Mehlis: Ja, selbstverständlich war das das Bemühen. Wir haben ja dann auch relativ schnell festgestellt, dass syrische Regierungsstellen in diesen Anschlag verwickelt waren. Na selbstverständlich versucht dann der Beschuldigte auch, die Ermittlungen so zu beeinflussen, dass eben die Wahrheit gerade nicht herauskommt. Das ist also – also wir haben so typisches Beschuldigtenverhalten festgestellt.

    Meurer: Im Prinzip sind ja dieselben Leute noch an der Macht in Syrien wie damals bei Ihren Recherchen. Als Sie jetzt, Herr Mehlis, gehört haben, die syrische Regierung ist damit einverstanden, dass die UNO-Inspektoren in den Vorort fahren dürfen, in dem es den neuen Giftgasanschlag gegeben haben soll – was haben Sie da gedacht?

    Mehlis: Nun ja. Es kam ja auch erst dann zu dieser Einwilligung, als es ganz massiven Druck gab. Das ist eben dieses typische Regimeverhalten, was wir auch beobachtet haben. Man lässt es nur dann geschehen, wenn es überhaupt nicht mehr anders geht, wie hier ja auch. Alle waren davon überzeugt, dass es eine Aktion des Regimes war, und es blieb dann eigentlich gar kein Ausweg mehr als zu sagen, gut, dann fahrt ihr eben auch dahin und seht, was noch zu finden ist.

    Meurer: Aber hätte das Assad-Regime nicht noch ein bisschen auf Zeit spielen können, um mehr Zeit zu haben, dass die Spuren sich verflüchtigen?

    Mehlis: Gut, hätte man machen können. Aber ich denke, die Zeit war eigentlich so, dass es keine andere Möglichkeit mehr gab. Ob das noch zwei Wochen später gehalten hätte, das weiß ich nicht, aber so langsam beginnt ja doch die Weltöffentlichkeit zu sehen, was sich dort abspielt.

    Meurer: Nach Ihren Recherchen, Herr Mehlis, damals im Fall der Ermordung des libanesischen Präsidenten Hariri – glauben Sie, dass Regime versucht, hat versucht, Spuren zu verwischen, sodass die UNO-Inspekteure doch nichts mehr finden, woraus sie 100 Prozent schlussfolgern können, es war ein Giftgasanschlag?

    Mehlis: Also das ist ganz schwer zu sagen. Wie gesagt, dafür bin ich kein Experte. Aber wir sehen ja das Verhalten, das wir damals auch hatten: Wenn es denn nicht mehr anders geht, wird einfach gesagt, so war es nicht, wir waren das nicht, wir haben damit nichts zu tun. Also das ist eigentlich etwas, was mich heute sehr an die Zeit damals auch erinnert.

    Meurer: Die Inspektoren arbeiten in Syrien und sie haben ja als Auftraggeber die Vereinten Nationen, so wie Sie damals, Herr Mehlis. Aus dieser Zusammenarbeit in New York, kam da auch schon mal der Anruf aus New York, dass Ihnen gesagt wurde, hier, halte dich bitte an die Spielregeln, geh nicht so weit?

    Mehlis: Nein. Ich muss sagen, der kleine Unterschied ist: Wir unterstanden, wenn man das überhaupt so sagen will, seinerzeit ausdrücklich dem Sicherheitsrat, ausschließlich dem Sicherheitsrat. Wir waren ja auch eine unabhängige, das war im Namen schon mit drin, unabhängige Untersuchungskommission. Die UN war nur für die Logistik zuständig. Unser Ansprechpartner war immer der Sicherheitsrat. Und ich muss auch sagen, ich habe damals in Kofi Annan – nicht nur ich, auch meine Kollegen – in Kofi Annan einen sehr, sehr verständnisvollen und fürsorglichen Begleiter gehabt in Gestalt der UN. Aber wie gesagt, wir waren ein Instrument des Sicherheitsrates.

    Meurer: Die UNO-Inspektoren dürfen ja nur untersuchen, gab es einen Giftgasanschlag. Sie dürfen aber nicht sagen, wenn sie sagen, ja, es war einer, wer dafür verantwortlich ist. Wie kommt so was zustande?

    Mehlis: Na gut, das betont eben noch einmal diese rein technische Funktion dessen, was wir jetzt bei den Inspektoren in Syrien sehen. Es sind ja keine Ermittler in dem Sinne, wie wir sie damals waren, Kriminalbeamte, Staatsanwälte, Richter, sondern es sind eben Fachleute, so verstehe ich das, für Giftgas. Wer es denn war, ist natürlich etwas ganz anderes. Das ist so wie ein Gerichtsmediziner, der am Tatort dann auch feststellt, das Opfer ist durch Schläge auf den Kopf getötet worden. Dessen Aufgabe ist es dann auch nicht zu sagen, X oder Y war es, sondern dafür gibt es das andere, und dafür wird man sehen, ob es auch ein Mandat der UN gibt.

    Meurer: Sie glauben also, die UNO-Inspektoren müssen nicht die Augen zumachen, sondern es ergibt sich aus ihrem Ablauf, aus ihrer Tätigkeit, dass sie nicht am Ende sagen können, wer es war?

    Mehlis: So sehe ich das, ja. Ich denke mir aber natürlich, wenn man dort Gaskanister findet, wo militärische Herkunftsbezeichnungen drauf sind, dass man dann schon auch das dokumentieren wird und dokumentieren muss, natürlich.

    Meurer: Der frühere UNO-Sonderermittler im Libanon und Syrien, Detlev Mehlis, zur heutigen Arbeit der UNO-Inspekteure in Damaskus, die dort nach Spuren eines Einsatzes von Giftgas suchen. Herr Mehlis, danke und auf Wiederhören!

    Mehlis: Gerne, Herr Meurer, Tschüs!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Der UNO-Sonderermittler im Fall Hariri, der Berliner Oberstaatsanwalt Detlev Mehlis, übergibt seinen Untersuchungsbericht an UNO-Generalsekretär Kofi Annan.
    Der UNO-Sonderermittler im Fall Hariri, der Berliner Oberstaatsanwalt Detlev Mehlis, übergibt seinen Untersuchungsbericht an UNO-Generalsekretär Kofi Annan. (AP)