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Mehr als ein Ort des schnellen Einkaufs

Einswarden ist eine Arbeitersiedlung vor den Werkstoren der Airbusniederlassung. Und Kioske ersetzen hier den weggefallenden Einzelhandel, hier gibt es alles zu kaufen.

Von Godehard Weyerer | 20.02.2011
    Kundin: "Ich hätte gern ein Sesam und zwei Laugen."
    - "Alles in eine Tüte?"
    - "Ja."
    - "Gib mir zwei kleine Tüten mit für die Schule."
    - "2,20, bitte."

    Es duftet nach frischen Brötchen im Kiosk von Rita Stehnken-Maake. Draußen vor der Ladenluke stehen drei junge, ziemlich müde Männer – jeder eine Flasche Bier in der Hand. Drüben im Airbuswerk ist um sechs Uhr Schichtwechsel gewesen. Der halbe Ort arbeitet dort.

    "Noch, ja. Aber wir wissen ja nicht, was in näherer Zukunft kommt."
    - "Jetzt geht es ins Bett."

    Vorher aber geht es noch einmal am Kiosk vorbei.

    "Machen wir einmal die Woche – so einen Absacker trinken."
    - "Das stimmt, zu Schichtanfang Zigaretten holen oder paar Brötchen oder Zeitung. Das ist nicht schlecht."


    Eimswarden - Stadtteil von Nordenham und Arbeitersiedlung vor den Werkstoren der Airbusniederlassung. 80 Jahre alte Backsteinfassaden, viel Grün zwischen den Häuserzeilen, alter Baumbestand an den Straßen. Der Siedlung sieht man noch immer an, dass sie einst ein Aushängeschild für den sozialen Wohnungsbau war. Inmitten der alten, roten Arbeiterhäuser hat Rita Maake ihren Kiosk - seit 20 Jahren.

    "Moin."
    - "Einmal West Silber."
    - "4,60. Aber sonst geht dir gut? Taschengeld gekriegt vom Papa? "
    - "Muss wechseln lassen."

    Der junge Mann draußen vor der Verkaufsluke reicht mit lässiger Geste einen 200-Euro-Schein herein. Die Kioskbesitzerin bringt das nicht aus der Ruhe.

    "So, 195,40 zurück. O.k? Alles klar."
    -"Moin."
    - "Fünf einfache, drei Croissants, zweimal Kaugummi, eine Bild."
    - "5,50 Euro bitte. Dankeschön. Tschüss."

    Rita Maake ist eine resolute Frau von knapp 50 Jahren. Geklönt wird bei ihr immer, die Zeit muss sein. Auf Menschen zuzugehen, sie ein wenig zu bezirzen und trotzdem auf Distanz zu halten, das ist nicht jedem in die Wiege gelegt. Rita Maake kann das. Drei Häuser weiter, um die Ecke, steht ihr Elternhaus. Sie ist in Einswarden zur Schule gegangen, hat Einzelhandelskauffrau gelernt und dann umgesattelt auf Schlosserin. Viele Jahre war sie in Nordenham bei Preussag und lässt sich in der rauen Arbeitswelt der Männer nicht unterkriegen. Sie weiß, die Leute zu nehmen – auch hier, an ihrem Kiosk.

    "Also, bei uns gibt es ziemlich viele Sachen. Wir haben morgens frische Brötchen von der Bäckerei aus der Viktoriastraße. Wir backen selber. Toilettenpapier, Binden, Kondome, Angelhaken, Tierfutter, Säfte, Lebensmittel, Tabakwaren, Süßwaren, Silberschmuck, Geschenkartikel. Alles, was man sich denken kann, alles, was sich verkaufen lässt, das wird reingenommen und probiert."

    "Schwerer Tod ist auch tot. (lacht) Rauchen tot, nicht Rauchen auch tot."
    - "Mein Opa auch geraucht, aber 120 Jahre gelebt."
    - "Siehste. Und deine Mutter ist auch so alt, Abdullah?"
    - "106, noch leben."

    Seit 1989 lebt Abdullah Kerim in Einswarden.

    "1970 in Deutschland gekommen. 23 Jahre hier gearbeitet Preussag. Jetzt Rente. Rente nix gut, nicht viel Geld. 800. Mehr nix."

    Wie viel Kinder ihr Kunde hat, das weiß Rita Maake, die Kioskbesitzerin, natürlich auch.

    "Natürlich, fünf. Zwei erwachsene Mädchen, zwei Zwillinge mit 18 und einen Stammhalter, der ist zum Schluss gekommen."

    "Oh, junger Mann."
    - "Danke, danke."
    - "Das ist schön, dass Sie uns besuchen. Wollen Sie reinkommen?"

    Der Bürgermeister schaut vorbei. Hans Francksen ist seit einem Jahr Chef im Nordenhamer Rathaus. Geboren ist er in Schweewarden, einem kleinen Vorort von Nordenham. Der Weg in die Stadt führte immer durch Einswarden.
    "Wir hatten vor 35 Jahren noch über 40 Geschäfte. Handwerksgeschäfte, Friseure, Schlachter. Das hat sich völlig gewandelt. Insofern muss man sagen, dass so ein Kiosk wie hier das Versorgungsdenken mitprägt. Wir sind ja froh, dass ein Kiosk dieses Angebot hier hat. Er wird ja auch angenommen und gehört zum Stadtbild dazu."

    Nordenham ist eine Industriestadt: Preussag und die Friedrich-August-Hütte, die Norddeutschen Seekabelwerke, die Vereinigten Flugzeugwerke als Vorgänger der heutigen Airbus-Niederlassung, das Chemiewerk Kronos-Titan, der Hafenbetreiber Rhenus-Midgard – die großen Firmen der deutschen Industriegeschichte prägen Stadtbild und Wirtschaft in Nordenham. Die Stadt ist im vergangenen Jahr gerade erst 100 Jahre alt geworden. Wie in den Arbeitervierteln des Ruhrgebiets säumten früher auch in Nordenham Dutzende Kioske den Weg zu den Fabriken und Werkhallen. Übriggeblieben sind neun.

    "Hallo."
    - "Hast du noch Kuchen und zwei alkoholfreie Bier."
    - "Einmal für Betty."

    Und gratis dazu gibt es ein paar Hundekuchen für Betty, den Vierbeiner.

    "Das mache ich grundsätzlich."
    - "Deshalb findet mein Hund den Weg fast von alleine hierher."
    - "Es sind aber viele Hunde, die den Weg hierher alleine finden! Das nennt man Kundenbindung. Wir arbeiten mit allen Tricks.
    So, 2,20. Danke.
    Und 80.
    - "Tschüss."

    Rita Maake`s Kiosk hat täglich 17,5 Stunden geöffnet – von 5:30 bis 23 Uhr, jeden Tag, sieben Mal in der Woche, 365 Mal im Jahr. Alleine könnte Rita Maake das nicht schaffen. Zwei Aushilfen arbeiten mit. Nur sonntags übernimmt sie immer den Frühdienst. Sonntags wird allerdings erst um sieben Uhr geöffnet.

    "Das kriege ich hin. Vor Sieben läuft auch nichts. Sieben ist eine gute Zeit."

    Sonntags um sieben kommen die Frühaufsteher und die Nachtschwärmer. Und wie jeden Morgen kriegen sie ein bisschen mehr als nur die Brötchen oder Zigaretten bei Rita Maake im Kiosk vor dem Werkstor der Airbusniederlassung im Nordenhamer Stadtteil Einswarden.