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Mehr als eine Wohnung

Michael Haneke inszenierte das Pfarrhaus in "Das weiße Band" als einen Ort der Gewalt und Unterdrückung. Zwar spielt auch der Film in der Ausstellung "Leben nach Luther" im Deutschen Historischen Museum eine Rolle, sie zeigt das Pfarrhaus aber auch als Kosmos für Ökonomie und Bildung.

Bodo-Michael Baumunk im Gespräch mit Kathrin Hondl |
    Kathrin Hondl: Und – das ist unser erstes Thema – es geht um die Wohnungen von geistlichen Würdenträgern. Über eine solche Wohnung, den Bischofssitz von Limburg, ist in den vergangenen Wochen ja schon sehr viel geredet und geschrieben worden. Im Deutschen Historischen Museum in Berlin stehen jetzt die Behausungen protestantischer Geistlicher im Mittelpunkt einer großen Ausstellung: "Leben nach Luther" heißt die – "Eine Kulturgeschichte des evangelischen Pfarrhauses". Bodo-Michael Baumunk ist Kurator der Schau – und, Herr Baumunk, mit Blick auf das teure Bischofshaus in Limburg – ist da das evangelische Pfarrhaus auch so was wie ein Gegenmodell zur tendenziell prunkvollen und kunstsinnigen katholischen Tradition?

    Bodo-Michael Baumunk: Was das Pfarrhaus des Bischofs von Limburg angeht, muss ich auf Nichtzuständigkeit plädieren. Das Ideal des protestantischen Pfarrhauses ist sicher, was die Ausstattung angeht, grundsätzlich ein anderes. Man würde aber das Pfarrhaus missverstehen, wenn es nur um die Behausung geht, sondern Pfarrhaus ist in einem sehr weiten Sinne, der die ganze ökonomische und die ganze mentale Ausstattung eines Pfarrhaushalts beschreibt, ein eigener Kosmos.

    Hondl: Ein eigener Kosmos?

    Baumunk: Ja, das ist von einer ganzen Reihe von Werten bestimmt, die alle in der Reformation auch verankert sind. Einer der wichtigsten ist die Bildung, ein hohes Bildungsethos, das man auf die Kinder anwendet, aus denen alle etwas werden soll, und ein anderer ist natürlich die Bescheidenheit der Lebensführung. Was wir von Pfarrhäusern selbst zeigen können, das sind natürlich die Baulichkeiten selbst, und es sind verschiedene Interieurs, sowohl Zeichnungen, ein Gemälde, Fotografien aus verschiedenen Zeiten. Was die ältere Zeit angeht, das 16., 17. Jahrhundert, da ist man auf Beschreibungen angewiesen, wie es dort ausgesehen haben könnte und welche Ausstattungsstücke typisch gewesen sind für Pfarrhäuser. Das war in dieser frühen Zeit die Laute beispielsweise oder das Clavichord, also Musikinstrumente, weil der Protestantismus ja auch eine sehr starke musikalisch geprägte Kultur ist.

    Hondl: Aber dass ein deutscher Pfarrhaushalt nicht unbedingt ein Hort von Liebe und Menschlichkeit sein muss, das hat ja zum Beispiel Michael Haneke ziemlich drastisch in seinem Film "Das weiße Band" gezeigt, wo in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg in Norddeutschland das Pfarrhaus wie die Zentrale einer ziemlich bedrückenden, von Unterdrückung und Missbrauch, Sittenstrenge und Gewalt geprägten Gesellschaft erscheint, auch als Nährboden für den Nationalsozialismus letztlich. Inwiefern war denn das Pfarrhaus tatsächlich so einflussreich, über den Haushalt, die Familie hinausgehend?

    Baumunk: Wenn man den Film selbst betrachtet – und wir zeigen auch zwei Ausschnitte -, dann ist selbst in diesem Film, der natürlich den von Ihnen angesprochenen, ja doch sehr rigiden Erziehungsstil betrifft, zu dem gesellen sich auch andere Szenen, die einen anderen Pfarrer zeigen: ein weicher Kern hinter einer harten Schale in dieser Szene mit dem kleinsten der Söhne, der mit seinem kranken Vögelchen kommt und das pflegen möchte. Der Film selbst oder das, was er vom Pfarrhaus zeigt, zeigt ganz sicher nur die eine Seite. Es gibt jede Menge Beschreibungen von Pfarrhaushalten, die betonen, dass diese Strenge, auch gerade was Erziehung, was Bildungs-, Leistungsanspruch angeht, immer begleitet war von einer sehr liebevollen Zuwendung auch. Für bestimmte Zeiträume, für das 17., das 18., auch noch das beginnende 19. Jahrhundert kann man von einem starken Einfluss des Pfarrhauses vor allem auf die Wortberufe sprechen. Es ist dann sicher kein Zufall, dass eine große Zahl von bedeutenden Historikern aus dem Pfarrhaus stammten, auch Schriftsteller zum Beispiel. Bloß man muss das natürlich auch wieder relativieren. Es wird selten die Gegenprobe gemacht, aus welchen anderen akademischen Milieus Schriftsteller, Historiker etc. etc. kommen. Also man kann das vergleichsweise schwer quantifizieren. Man hat es um 1900 mal versucht und ist dann eben zu diesem möglicherweise überdehnten Schluss gekommen, dass die halbe deutsche Kultur jedenfalls der frühen Neuzeit im Pfarrhaus wurzelt.

    Hondl: Also wollten Sie gegen diese Ideen und Klischees so ein bisschen korrigierend wirken mit Ihrer Ausstellung?

    Baumunk: Sagen wir so: Wir stellen das Pfarrhaus zunächst mal vom Kopf auf die Füße. Wir zeigen viel eher: Was macht ein Pfarrhaus aus, was macht ein Pfarramt aus, wie ist dieser, wie man das nennt, Eukos, das ganze Haus, das auch aus den einzelnen Teilen der Pfarrfamilie besteht, die Pfarrfrau, die Pfarrkinder in ihren jeweiligen Rollen innerhalb dieses familiären Systems, wie ist es eigentlich aufgebaut. Und dann kann man von daher, auch von den Amtspflichten des Pfarrers, zu denen auch einen, durch seine wissenschaftliche Ausbildung geforderten Beitrag zur Verbesserung der Welt auf diese Gelehrtheit im Pfarrhaus, die wissenschaftlichen Interessen schließen und von dort wiederum auf eine gewisse Verdichtung von Pfarrerskindern in der wissenschaftlichen Welt. So ist eigentlich die Linie.

    Hondl: Vielen Dank – das war Bodo-Michael Baumunk, Kurator der Ausstellung "Leben nach Luther – eine Kulturgeschichte des evangelischen Pfarrhauses", zu sehen ab heute im Deutschen Historischen Museum in Berlin.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

    Mehr zum Thema:
    Die Ausstellung Leben nach Luther ist noch bis zum 2. März 2014 im Deutschen Historischen Museum zu sehen.