Stefan Koldehoff: Wie sich Altägyptisch vor 5000 oder Latein vor gut 2000 Jahren angehört hat, das weiß heute niemand mehr. Zwar sind Schriften und Grammatiken überliefert. Jemanden, der heute noch etwas zur Aussprache – Tutanchamun oder Tutankhamun, Caesar oder Cäsar sagen könnte, den gibt es aber nicht mehr. Und Aufnahmen natürlich auch nicht – wie auch.
Fast täglich sterben auf der Erde Sprachen aus, werden unhörbar. Inzwischen aber gibt es, wenn man schon ihren Tod nicht verhindern kann, wenigstens die technischen Möglichkeiten, diese Sprachen zu konservieren: in Gestalt von Aufnahmen zum Beispiel. Konsistente Grammatiken und Wörterbücher haben ohnehin nur zehn Prozent aller weltweit bekannten Sprachen. Eine Tagung der Volkswagen-Stiftung in Hannover, die seit vielen Jahren in einem langfristigen Förderprojekt Sprachen zu bewahren versucht, befasst sich ab heute mit diesem Thema. Einer der Organisatoren dieser Tagung ist der Kölner Linguistikprofessor Nikolaus Himmelmann. Ihn habe ich zunächst einmal gefragt, wann eine Sprache denn eigentlich überhaupt tot ist.
Nikolaus Himmelmann: Wenn der letzte Sprecher, die letzte Sprecherin verstorben ist, also niemand mehr die Sprache verwendet. Das ist eine sehr einfache Definition. Der Sachverhalt selber ist etwas komplexer. Es geht darum, dass zwischen den Generationen die Sprache nicht mehr weitergegeben wird, dass also eine Generation aufwächst und die Muttersprache nicht mehr erwirbt, und dann stirbt eine Sprache.
Koldehoff: Nun lese ich in Ihren Tagungsunterlagen von fernen Ländern, von Kulturen, von denen viele von uns wahrscheinlich höchstens ein-, zweimal im Leben gehört haben. Ist es ein Problem, das sich vor allen Dingen in den sogenannten Ländern der Dritten Welt oder den Schwellenländern ergibt, oder ist das ein globales Problem?
Himmelmann: Das ist ein globales Problem, wobei die westlichen Länder da schon ein paar Jahre oder Jahrzehnte voraus sind. Bei uns in Europa, in Deutschland sind die Dialekte schon längst verschwunden, die bäuerlichen Dialekte auf dem Land. Es gibt auch fast nur noch große Nationalsprachen und die noch bestehenden kleineren Sprachen sind sehr am Rand gedrängt - im Deutschen wäre das Sorbisch oder Friesisch -, während in den sogenannten Entwicklungsländern, also gerade auch um den Äquator herum, in Afrika, Asien und Lateinamerika, wir noch einen Status vorfinden der sprachlichen Vielfalt, wie er im 18, 17. Jahrhundert die ganze Welt charakterisiert hat.
Koldehoff: Das bedeutet also, es gibt irgendwelche Stämme, irgendwelche Völker – Sie haben von den Sorben gerade gesprochen -, bei denen sich die jüngere Generation für die Art, wie man mal miteinander gesprochen hat, einfach nicht mehr interessiert. Oder sind es wirtschaftliche, ökonomische Notwendigkeiten, die dazu führen, dass man sich auf andere Sprachen konzentriert? Warum nimmt das Interesse irgendwann ab?
Himmelmann: Die Entscheidung trifft die Elterngeneration. Die Elterngeneration spricht nicht mehr mit den Kindern in der Muttersprache, sondern benutzt eine andere Sprache. Die meisten vorindustriellen Gesellschaften auf der Welt sind mehrsprachig gewesen und heutzutage immer noch. Das heißt, es gibt zwei, drei, vier Sprachen, die verwendet werden, und in diesem Sprachenhaushalt gibt es Verschiebungen zu irgendeinem Zeitpunkt, sodass die lokale Muttersprache nicht mehr verwendet wird. Die Entscheidung treffen die Eltern aus Gründen, die immer sehr schwer nachzuvollziehen sind, beziehungsweise die kann man allgemein als sozioökonomisch bezeichnen.
Koldehoff: Nun geht es auf Ihrer Tagung, die heute in Hannover beginnt, drei Tage dauern wird, getragen wird von der Volkswagen-Stiftung, die übrigens heute mit dem Konzern nichts mehr zu tun hat, nur irgendwann mal aus Geldern dieses Konzerns gegründet wurde, darum, dass 100 Sprachen vor dem Vergessen gerettet werden konnten – ein Projekt, das geht seit vielen, vielen Jahren, seit 1999, in 71 Regionen auf allen Kontinenten. 100 Sprachen gerettet – wie rettet man eine Sprache?
Himmelmann: Gerettet muss man da ein bisschen in Anführungszeichen verstehen, würde ich mal sagen. Gerettet in dem Sinne, dass wir in diesen Projekten Dokumente geschaffen haben, die es einem erlauben, nachzuvollziehen, wie diese Sprachen funktioniert haben, falls sie mal ausgestorben sein sollten. Das heißt, da sind große Sammlungen von Video- und Audiodokumenten mit Annotationen versehen gesammelt worden, die es dann einem erlauben, in 50 Jahren, 100 Jahren sich anzuhören, anzuschauen, aber auch weiter zu analysieren, wie das Woi – das ist eine Sprache in Papua und in Indonesien – gesprochen wurde, welche Wörter die hatten, wie sie Sätze gebaut haben und so weiter. In diesem Sinne gerettet!
Koldehoff: Das heißt, Sie versuchen, herauszufinden oder vorauszusehen, wo könnte eine Sprache in Gefahr sein und wie können wir wenigstens das, was jetzt noch da ist, dokumentieren?
Himmelmann: Ja. Wobei das Voraussehen ist nicht so schwierig. Die Schätzungen besagen, dass die Hälfte der jetzt noch gesprochenen circa 7000 Sprachen auf der Welt in den nächsten 50 bis 100 Jahren verschwinden werden, also nicht mehr im Gebrauch sein werden.
Koldehoff: Das hört sich hoch spannend an. Da müssten Ihnen doch eigentlich die Studierenden die linguistischen Institute einrennen?
Himmelmann: Es ist natürlich als Thema bis jetzt noch nicht so weit bekannt und es ist auch nicht eine ganz leichte einfache Arbeit. Aber sie ist spannend und macht Spaß. Man muss aber natürlich auch Freude am Reisen haben und ich will jetzt nicht hier in deutsche Sozialbefindlichkeitsreflexionen eingehen, aber es ist interessant, dass die jetzigen Studierenden-Generationen nicht mehr gerne reisen - ich will es mal so formulieren -, und es ist gar nicht selbstverständlich, dass die jungen Leute begeistert sind und sagen, wir wollen auf in die Südsee.
Koldehoff: Die virtuelle Welt des Internet ist ja auch viel bunter. - Der Linguist Nikolaus Himmelmann war das über die Rettung bedrohter Sprachen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Fast täglich sterben auf der Erde Sprachen aus, werden unhörbar. Inzwischen aber gibt es, wenn man schon ihren Tod nicht verhindern kann, wenigstens die technischen Möglichkeiten, diese Sprachen zu konservieren: in Gestalt von Aufnahmen zum Beispiel. Konsistente Grammatiken und Wörterbücher haben ohnehin nur zehn Prozent aller weltweit bekannten Sprachen. Eine Tagung der Volkswagen-Stiftung in Hannover, die seit vielen Jahren in einem langfristigen Förderprojekt Sprachen zu bewahren versucht, befasst sich ab heute mit diesem Thema. Einer der Organisatoren dieser Tagung ist der Kölner Linguistikprofessor Nikolaus Himmelmann. Ihn habe ich zunächst einmal gefragt, wann eine Sprache denn eigentlich überhaupt tot ist.
Nikolaus Himmelmann: Wenn der letzte Sprecher, die letzte Sprecherin verstorben ist, also niemand mehr die Sprache verwendet. Das ist eine sehr einfache Definition. Der Sachverhalt selber ist etwas komplexer. Es geht darum, dass zwischen den Generationen die Sprache nicht mehr weitergegeben wird, dass also eine Generation aufwächst und die Muttersprache nicht mehr erwirbt, und dann stirbt eine Sprache.
Koldehoff: Nun lese ich in Ihren Tagungsunterlagen von fernen Ländern, von Kulturen, von denen viele von uns wahrscheinlich höchstens ein-, zweimal im Leben gehört haben. Ist es ein Problem, das sich vor allen Dingen in den sogenannten Ländern der Dritten Welt oder den Schwellenländern ergibt, oder ist das ein globales Problem?
Himmelmann: Das ist ein globales Problem, wobei die westlichen Länder da schon ein paar Jahre oder Jahrzehnte voraus sind. Bei uns in Europa, in Deutschland sind die Dialekte schon längst verschwunden, die bäuerlichen Dialekte auf dem Land. Es gibt auch fast nur noch große Nationalsprachen und die noch bestehenden kleineren Sprachen sind sehr am Rand gedrängt - im Deutschen wäre das Sorbisch oder Friesisch -, während in den sogenannten Entwicklungsländern, also gerade auch um den Äquator herum, in Afrika, Asien und Lateinamerika, wir noch einen Status vorfinden der sprachlichen Vielfalt, wie er im 18, 17. Jahrhundert die ganze Welt charakterisiert hat.
Koldehoff: Das bedeutet also, es gibt irgendwelche Stämme, irgendwelche Völker – Sie haben von den Sorben gerade gesprochen -, bei denen sich die jüngere Generation für die Art, wie man mal miteinander gesprochen hat, einfach nicht mehr interessiert. Oder sind es wirtschaftliche, ökonomische Notwendigkeiten, die dazu führen, dass man sich auf andere Sprachen konzentriert? Warum nimmt das Interesse irgendwann ab?
Himmelmann: Die Entscheidung trifft die Elterngeneration. Die Elterngeneration spricht nicht mehr mit den Kindern in der Muttersprache, sondern benutzt eine andere Sprache. Die meisten vorindustriellen Gesellschaften auf der Welt sind mehrsprachig gewesen und heutzutage immer noch. Das heißt, es gibt zwei, drei, vier Sprachen, die verwendet werden, und in diesem Sprachenhaushalt gibt es Verschiebungen zu irgendeinem Zeitpunkt, sodass die lokale Muttersprache nicht mehr verwendet wird. Die Entscheidung treffen die Eltern aus Gründen, die immer sehr schwer nachzuvollziehen sind, beziehungsweise die kann man allgemein als sozioökonomisch bezeichnen.
Koldehoff: Nun geht es auf Ihrer Tagung, die heute in Hannover beginnt, drei Tage dauern wird, getragen wird von der Volkswagen-Stiftung, die übrigens heute mit dem Konzern nichts mehr zu tun hat, nur irgendwann mal aus Geldern dieses Konzerns gegründet wurde, darum, dass 100 Sprachen vor dem Vergessen gerettet werden konnten – ein Projekt, das geht seit vielen, vielen Jahren, seit 1999, in 71 Regionen auf allen Kontinenten. 100 Sprachen gerettet – wie rettet man eine Sprache?
Himmelmann: Gerettet muss man da ein bisschen in Anführungszeichen verstehen, würde ich mal sagen. Gerettet in dem Sinne, dass wir in diesen Projekten Dokumente geschaffen haben, die es einem erlauben, nachzuvollziehen, wie diese Sprachen funktioniert haben, falls sie mal ausgestorben sein sollten. Das heißt, da sind große Sammlungen von Video- und Audiodokumenten mit Annotationen versehen gesammelt worden, die es dann einem erlauben, in 50 Jahren, 100 Jahren sich anzuhören, anzuschauen, aber auch weiter zu analysieren, wie das Woi – das ist eine Sprache in Papua und in Indonesien – gesprochen wurde, welche Wörter die hatten, wie sie Sätze gebaut haben und so weiter. In diesem Sinne gerettet!
Koldehoff: Das heißt, Sie versuchen, herauszufinden oder vorauszusehen, wo könnte eine Sprache in Gefahr sein und wie können wir wenigstens das, was jetzt noch da ist, dokumentieren?
Himmelmann: Ja. Wobei das Voraussehen ist nicht so schwierig. Die Schätzungen besagen, dass die Hälfte der jetzt noch gesprochenen circa 7000 Sprachen auf der Welt in den nächsten 50 bis 100 Jahren verschwinden werden, also nicht mehr im Gebrauch sein werden.
Koldehoff: Das hört sich hoch spannend an. Da müssten Ihnen doch eigentlich die Studierenden die linguistischen Institute einrennen?
Himmelmann: Es ist natürlich als Thema bis jetzt noch nicht so weit bekannt und es ist auch nicht eine ganz leichte einfache Arbeit. Aber sie ist spannend und macht Spaß. Man muss aber natürlich auch Freude am Reisen haben und ich will jetzt nicht hier in deutsche Sozialbefindlichkeitsreflexionen eingehen, aber es ist interessant, dass die jetzigen Studierenden-Generationen nicht mehr gerne reisen - ich will es mal so formulieren -, und es ist gar nicht selbstverständlich, dass die jungen Leute begeistert sind und sagen, wir wollen auf in die Südsee.
Koldehoff: Die virtuelle Welt des Internet ist ja auch viel bunter. - Der Linguist Nikolaus Himmelmann war das über die Rettung bedrohter Sprachen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.