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Mehr als Hollywood, Palmen und Sonne

Das Ausstellungsprojekt "Pacific Standard Time – Kunst in Los Angeles 1950-1980" belegt, dass die Stadt mehr als nur Hollywood ist. Die Ausstellung zeigt Entwicklungsprozesse dieser West-Coast-Kunstszene der Nachkriegszeit im Martin-Gropius-Bau.

Von Carsten Probst |
    Was ist neu an der Kunst der Nachkriegszeit aus Kalifornien? Neu ist, dass man sich in Kalifornien allmählich für die Kunst aus Kalifornien zu interessieren beginnt, über die bisher üblichen verdächtigen Institutionen hinaus. Im vergangenen Herbst schlug ein Marathon von 60 Ausstellungen Wellen, die von Los Angeles aus nicht nur an die Ostküste nach New York schwappten, sondern auch in Europa ankamen. 60 Ausstellungen, die die junge, aber eindrucksvolle kalifornische Kunstgeschichte in allen Facetten beleuchteten, ein seltenes Feuerwerk der Vernetzung zahlreicher Museen und Forschungseinrichtungen, der eine Kraftanstrengung von zehn Jahren Recherche vorausging, bei der erst einmal alles gesichtet werden musste, was bislang in Archiven verstreut und mehr oder weniger unbeachtet abgelegt worden war. Insofern ist diese Schau, die es jetzt in Berlin zu besichtigen gibt, schon jetzt ein Triumph - Triumph der Archive und der Kunstgeschichte über eher flüchtige Liebhaberinteressen und den Lifestyle in der Hauptstadt des Easy Going. "Pacific Standard Time" fasst zwei Hauptausstellungen des Getty Museums und des Getty Research Institute zusammen.

    Es gibt eine Abteilung mit Kunstwerken und eine mit höchst aufschlussreichen Bilddokumenten, die die Entwicklung der kalifornischen Kunstszene im Windschatten der New Yorker aufschlüsseln. Unter den repräsentativen Kunstwerken wiederum sind zwar die geläufigen Ikonen zu finden, die natürlich irgendwie dazugehören: David Hockneys "A Bigger Splash" von 1967. Skulpturen und Installationen von Ed Kienholz, abstrakt-gestische Gemälde von Sam Francis, Ed Ruschas Tankstelle "Standard Station" in Billboard-Format von 1963, John Baldessaris frühe Konzeptmalerei, Korridor-Installationen von Bruce Nauman und wunderbares Frühwerk von Matt Mullican. Aber wirklich sinnfällig wird der Einfluss, den unter anderem die Exilanten aus Europa nach Kalifornien brachten, in den Arbeiten hierzulande weniger bekannter Künstlerinnen und Künstler. DeWain Valentines aus farbigem Polyesterharz gegossene Riesenlinsen sind eine späte Replik auf Licht- und Raum-Experimente, die mit dem New Bauhaus in die Staaten kamen. Helen Lundberg ist eine der herausragenden Vertreterinnen der geometrischen Abstraktion. Frederick Hammersleys Ölmalerei aus den 50er-Jahren gibt sich noch unbeeindruckt von den New Yorker Strömungen um die beginnende Pop Art und frönt dem strengen Farb- und Formenspiel des späten Matisse. Larry Bell und Peter Alexander sind neben John McCracken mit ihren hochglanzpolierten kubischen Oberflächen die wichtigsten Minimalisten. Die Aufzählung ließe sich lange fortsetzen.

    Der Lifestyle-Aspekt ist in den immer wieder ironischen Fotografien den Dennis Hopper zu beobachten, während Julius Shulman in seinen Architekturfotografien die an der Bauhaus-Tradition geschulten Experimente auf den Hügeln über L. A. zu Ikonen eines in schaukastenartigen Wohnzimmern inszenierten Lebens macht. Richard Neutra, Frank Lloyd Wright, Pierre Koenig und etliche andere haben hier seltsame Raumschiffe oberhalb der Niederungen des ansonsten wenig aufsehenerregenden Architekturgemisches von Los Angeles landen lassen.

    Keine Frage, in Kalifornien hat man entdeckt, dass eine hergezeigte Kunsttradition heutzutage wieder ein nicht unwesentlicher Bestandteil für die Außendarstellung einer Stadt ist. Schon sieht man sich nicht mehr nur als Filmschaukel, schon sieht man sich gleichauf mit New York. Doch dafür müssen die Kalifornier sich noch ein wenig mehr Biss zutrauen, in einer vergleichbar riesigen Show mit Kunst seit den achtziger Jahren, die all das Lifestyle-Gehabe der Westküste gehörig aufs Korn nimmt: Paul McCarthy, Jason Rhoades, Raymond Pettibon oder Mike Kelly sind nun auch keine Unbekannten mehr. Etwas mehr Mut zur ganzen Wahrheit wäre den Kuratoren bei ihrer heroischen Kunstgeschichte schon zuzumuten.