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Mehr als nur Nudelsoße

Sie begannen als Lokomotive Kreuzberg und als Band von Nina Hagen – und landeten plötzlich mitten in der Neuen Deutschen Welle. Mit "Carbonara" landete Spliff aus Berlin 1982 einen Überraschungshit. Ihr Album "85555" war drei Wochen auf Platz 1 in den deutschen Charts.

Von Bernd Lechler |
    Sie haben schon ein paar unsterbliche Zeilen geprägt - was nicht jede deutsche Band von sich behaupten kann. Ein paar wirklich schöne Hits - aber sie waren auch eine spezielle Runde: Reinhold Heil, der studierte hessische Tonmeister; Manfred Praeker, Arbeitersohn aus Berlin-Reinickendorf (letztes Jahr verstorben), Gitarrist Bernhard Potschka, ein Franke, der auch Cello konnte, und: Herwig Mitteregger, der entwurzelte steirische Bergbauernbub mit der irren Stimme.
    "Wir waren, wenn du so willst, die erste richtig erfolgreiche Welle-Band - obwohl wir mit der Welle nichts zu tun hatten!"

    Die Neue Deutsche Welle schwemmte sie zwar in die Charts, doch Spliff passten in der Tat weder neben die Avantgardisten wie Fehlfarben oder DAF noch zum Neoschlager von Frl. Menke: Sie waren viel zu virtuos, sie hatten gleich drei kompetente Songwriter - und Vergangenheit.
    In den Siebzigern waren sie als Lokomotive Kreuzberg links wie Ton Steine Scherben, aber kompliziert wie Zappa. Einen ersten Deutschrock-Meilenstein setzten sie als Band von Nina Hagen - lieferten zwei Alben später eine Art branchenkritische Rockrevue, noch auf Englisch und standen 1982 dann als Spliff mit dem trocken nach seiner Bestellnummer benannten Album "85 555" auf Platz eins.

    "In der Zettelwirtschaft, also in den Charts, ha. In diesem Hokuspokus-Theater, das jede Woche veranstaltet wird - lächerlich."

    Der Ehrgeiz war wohl ein anderer.

    "Es ist für uns 'ne ganz wichtige Sache gewesen, dass wir erfolgreich werden sollten im Sinne von: akzeptiert, und: Ey, die machen was Neues, die sind irgendwie nen Schritt weiter als die anderen."

    Die großen Ambitionen haben sie beflügelt, aber auch beschwert - manch raffinierte Stelle klingt heute nach Muckertum und der mit dem Daumen geslapte Bass schnell nach Schulterpolster und Strähnchen. 80er halt. Aber die Songs stimmen, bei aller teils fragwürdigen Opulenz blieben sie irgendwie renitent bis manchmal rabiat; poppig und sperrig zugleich. Am Ende geht es ja eh nie um die Technik: Manne Praeker sagte hinterher mal ganz zufrieden, es hätten sich vermutlich Leute zu seiner Musik geküsst. Und Mittereggers sprachmächtige Bilder waren auch radikal persönlich - oder wer ist der kleine Junge? Warum wartet er auf Benzin?

    "Er wartet auf die Gelegenheit, seinen Druck loszuwerden."

    Warum zählt er die Sterne?
    "Er hat 'ne Menge Träume, die kann er dir genau sagen. Er weiß genau, wie sein Leben aussehen sollte."

    Dann kommt der hilfreiche Verführer und Gratulant.

    "Der gratuliert ihm zynischerweise zu seinem - in Anführungsstrichen - Erfolg, der ja ein Pseudoerfolg ist."

    Da ist es wieder: das Unbehagen gegenüber der Musikindustrie, die einen feiert, wenn man oben ist - was man nicht missverstehen dürfe.
    "Die kommen da gar nicht, weil die das wirklich gut finden, was du machst, also, weil die diese Musik so genial finden oder weil die‚ Déjà-vu, diesen Text, so super finden - nein! Die kommen, weil du ein Verkaufsträger bist, weil du denen die Märkte aufmachst!"

    Vielleicht ging ihnen deswegen bald die Lust aus, als die Erfolge kleiner wurden. Praeker wurde Produzent, Potschka Weltmusiker, Reinhold Heil Filmmusiker in Los Angeles, Mitteregger Solosongwriter - mit durchaus Stolz im Blick zurück.

    "Es war eben nicht nur mal so hingepupst und dann tschüss, sondern wir haben’s ernst gemeint und haben die Sache dann ja auch genauso ernst zu Ende gehen lassen, nämlich einfach aufgehört. Und haben eben kein Revival und all diesen Quatsch und diesen Senf gemacht, bloß um an anderer Leute Kohle ranzukommen. Weil die Wege halt manchmal auseinandergehen, manchmal später, manchmal früher. Bei uns war’s ein bisschen sehr früh, aber so ist das nun mal."