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Mehr arbeiten als die Eltern

In Baden-Württemberg geht der Streit um eine Reform des auf acht Jahre verkürzten Gymnasiums in die nächste Runde. Der Städtetag Baden-Württemberg hat eine flächendeckende Einführung von Ganztagsschulen gefordert, um die geplante Verdichtung der Schulzeit aufzufangen. Die Landesregierung will aber keine zusätzlichen Lehrerstunden genehmigen. Ein runder Tisch soll vermitteln.

Von Anja Braun | 16.02.2008
    Für viele Kinder bedeutet das auf acht Jahre verkürzte Gymnasium Stress pur. Christiane Staab schildert, dass ihr zwölfjähriger Sohn an drei Nachmittagen pro Woche die Schulbank drücken muss:

    " Ich sehe jetzt in der achten Klasse 35 Wochenstunden. Das funktioniert nur deswegen, weil diese acht Stunden an den drei Tagen am Stück ohne Pause durchgepeitscht werden. Die Kinder haben acht Stunden Unterricht am Stück.- "

    Seit der Einführung des G8 vor vier Jahren leiden die baden-württembergischen Gymnasium unter dem Phänomen, dass sie eigentlich einen Ganztagsschulbetrieb aufrecht erhalten müssen, ohne Ganztagsschulen zu sein. Schulleiter Hans-Jürgen Morath vom Karlsruher Otto-Hahn-Gymnasium:

    " Wir bieten Möglichkeiten an wie zum Beispiel Mensa und Hausaufgabenbetreuung, die wir aber aus eigenen Mitteln bestreiten müssen. Das sind deshalb keine Lehrer, sondern ältere Schüler. "

    Franziska aus der siebten Klasse hat die Hausaufgabenbetreuung noch nicht in Anspruch genommen, sie schildert:

    " Man hat ja auch Probleme, wenn die Eltern es einem nicht erklären können und wenn man es dann nicht hat, dann meckern die Lehrer wieder rum. Aber was soll man machen, wenn man es nicht verstanden hat. "

    Die zwölfjährige Gymnasiastin kommt im G8 im Schnitt auf zwei Stunden Hausaufgaben pro Tag. Zehn Stunden pro Woche zusätzlich zu den 34 Wochenstunden Schulunterricht. Das bedeutet, sie arbeitet jetzt schon länger in der und für die Schule als ihre Eltern im Beruf. Die Forderung, den G8-Gymnasiasten wenigstens die Hausaufgaben zu erlassen und stattdessen die Übungsphasen in den Unterricht hinein zu verlagern, hält ihr Schulleiter Morath nicht für umsetzbar:

    " Durch die Belastung von G8 ist es nicht mehr möglich. Wir haben zwar eine Reduktion des Unterrichtsstoff gehabt, aber nicht in dem Maße, das wir komplett wirklich ein Jahr eingespart hätten und es führt in vielen Fächern schon dazu, dass unter erheblichem Zeitdruck gearbeitet wird. "

    Die Eltern fordern deshalb mehr Lehrer einzustellen und an den Gymnasien echten und qualifizierten Ganztagsschulbetrieb anzubieten. Landeselternbeiratsvorsitzende Christiane Staab:

    " Damit Kinder ausreichend Zeit haben morgens den Lernstoff zu lernen und nachmittags unter Anleitung der Lehrer dann zu vertiefen, nachzuarbeiten, Fragen zu stellen. "

    Für Baden-Württemberg ist das nur Zukunftsmusik. Stattdessen geht es vielen wie der zwölfjährige Gymnasiastin Anna . Sie antwortet auf die Frage, ob ihr denn die Eltern zuhause bei den Hausaufgaben helfen können, lachend:

    " Also nicht wirklich, ich ruf dann meistens Freunde an oder versuch mich irgendwie durchzuboxen aber meistens verstehe ich es auch. "

    Glück gehabt. Andere dagegen haben Pech, wie Landeselternbeirätin Staab unterstreicht:

    " Damit schaffen wir soziale Probleme. Damit kriegen wir diese Selektion zwischen Kindern, deren Eltern die mittags da sind und die diesen Stoff auch selbst beherrschen und denjenigen Kinder, deren Eltern nachmittags nicht da sind und die diesen Lernstoff nicht auf der Pfanne haben. "

    Auch der elfjährige Rick hält Hausaufgaben am einsamen Schreibtisch nicht für sinnvoll und schlägt vor:

    " Ich mein, man könnte sie auch gleich in der Schule machen mit dem Lehrer. "

    Das würde sich auch Schulleiter Hans-Jürgen Morath wünschen. Doch in der traditionellen Halbtagsschule gebe es dafür nicht genügend Zeit:
    " Schüler brauchen in jedem Fall eigenständige Übungsphasen ... aber das würde bedeuten dass wir wirklich flächendeckend eine Ganztagsschule einführen müssen an Gymnasien. "

    Vor diesen Zusatzkosten scheut aber die Landesregierung. "Keine weiteren Lehrer", heißt die jüngste Reaktion auf den Streit ums G8. Stattdessen sollen die Lehrpläne noch mal auf den Prüfstand und entrümpelt werden. Kritiker wie Schulleiter Morath warnen davor, das G8 kaputt zu sparen:

    " Man kann ,wenn man das Bildungsziel Abitur allgemeine Hochschulreife sieht, nicht einfach beliebig viel rauswerfen. "