Manfred Götzke: Hochwasserpaket, Betreuungsgeldergänzungsgesetz, Ostrentenangleichungsgesetz – und, und, und. Die Abgeordneten im Bundestag haben heute ja noch so richtig viel zu debattieren und zu beschließen, am letzten Tag der Legislaturperiode, darunter auch den aktuellen Berufsbildungsbericht der Bundesregierung. Dessen zentrale Nachricht: 33.000 Ausbildungsplätze blieben unbesetzt im letzten Jahr, es gibt also ein Ausbildungsüberangebot. Das ist schön für junge Leute, nicht so toll aber für Unternehmen. Albert Rupprecht, der bildungspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, der fordert deshalb, wir brauchen mehr Azubis und dafür weniger Studenten. Herr Rupprecht, haben wir schon jetzt zu viele hochqualifizierte Akademiker?
Albert Rupprecht: Wir brauchen natürlich hochqualifizierte Ingenieure, Ärzte, Lehrer, das ist überhaupt keine Frage, und es war auch richtig, dass wir vonseiten des Bundes in den letzten Jahren die Länder, deren primäre Aufgabe es eigentlich ist, im Ausbau bei den Hochschulen mit Milliardenbeträgen unterstützt haben – das war alles der richtige Weg, war notwendig. Dennoch müssen wir, wenn wir auf die nächsten Jahre blicken, uns überlegen, wo sind die Schwerpunkte. Und Fakt ist, dass wir ungefähr 50 Prozent der Jugendlichen haben, eines Jahrgangs, die an die Hochschulen gehen, während hingegen aber der Arbeitsmarkt sich derart gestaltet, dass nur 20 Prozent der Arbeitsplätze eigentlich zwingend Akademiker benötigen.
Götzke: Aber wo liegt das Problem, wenn die jungen Leute zu gut ausgebildet sind, weil sie zum Beispiel ein Ingenieursstudium haben.
Rupprecht: Zunächst ist es natürlich für jeden jungen Menschen eine großartige Geschichte, wenn er eine hochwertige, tolle Ausbildung kriegt. Und es geht ja bei der Ausbildung, bei der Qualifizierung, nicht nur darum, Arbeitskräfte für die Volkswirtschaft zur Verfügung zu stellen, sondern es geht auch um die persönliche Bildung, Weiterentwicklung und so weiter. Trotzdem muss jeder junge Mensch sich natürlich überlegen, ob er, wenn er Jahre an der Hochschule ist, diesen Weg beschreitet, ob das für ihn das Treffsichere ist. Und ich sage noch mal die Zahl: 20 Prozent der Arbeitsplätze benötigen die Ausbildung eines Akademikers, 80 Prozent hingegen nicht.
Götzke: Die OECD, die sagt, wir haben zu wenig Akademiker.
Rupprecht: Wissen Sie, die OECD ist in den meisten Berichten derart oberflächlich, dass wir diese Aussagen wirklich hinterfragen müssen.
Götzke: Na, die vergleichen ja die verschiedenen OECD-Länder, und da steht Deutschland mittlerweile im unteren Drittel, immerhin, da, was die Akademikerquote angeht.
Rupprecht: Ich sage Ihnen ein anderes Beispiel: Frankreich hat sich zum Ziel gesetzt, 80 Prozent eines Jahrgangs soll das Abitur machen, haben aber eine Arbeitslosigkeit bei den Jugendlichen von 26 Prozent. Wir hingegen in Deutschland …
Götzke: Liegt das an den Abiturienten oder eher an der Wirtschaftsleistung?
Rupprecht: Es liegt an beidem, es liegt auch an dem, dass es eine Fehlsteuerung in Frankreich gibt, selbige Situation in Italien, selbige Situation in vielen anderen Ländern. Unsere duale Ausbildung ist herausragend, ist ein Modell nicht nur für europäische Länder, sondern weltweit inzwischen, und ich glaube – noch mal –, es geht um ein vernünftiges Verhältnis. Und noch mal zum OECD-Bericht zurück: Die OECD schaut schlichtweg nur an, welche Arbeitslosenquoten gibt es bei welchem Ausbildungsniveau. Und dann sagen die, Akademiker haben niedrige Arbeitslosigkeit, deswegen brauchen wir mehr Akademiker. Das ist natürlich vollkommener Nonsens, weil bei uns auch diejenigen, die duale Ausbildung gemacht haben, inzwischen hervorragende, herausragende Werte haben, die sogar am Arbeitsmarkt inzwischen stärker nachgefragt sind als Akademiker.
Götzke: Wobei die OECD ja noch andere Zahlen bringt, zum Beispiel sagt der Bildungsexperte, ein Studium lohnt sich für den Einzelnen finanziell gesehen immer, weil er am Ende mehr verdient als einer, der nur eine Ausbildung gemacht hat, und für den Staat lohnt es sich auch, weil der Akademiker am Ende mehr Steuern zahlt.
Rupprecht: Auch da ist die OECD-Studie viel zu kurz gesprungen, weil die nämlich von Durchschnittswerten ausgehen. Das mag für den Arzt stimmen, das mag für den Ingenieur stimmen, das stimmt aber für einen Teil der Akademiker überhaupt nicht, und mein Petitum ist ja nicht, dass wir in allen Bereichen sagen, junge Menschen, geht nicht mehr an die Hochschulen, ganz im Gegenteil: Wir brauchen einen gesunden Wettbewerb zwischen Hochschule und dualer Ausbildung, ich bin der Meinung, dass duale Ausbildung in diesem Wettbewerb ein Stück auch an Boden gewinnen muss und sich anstrengen muss.
Götzke: Es klagen ja nicht nur Ausbildungsbetriebe über fehlende Azubis, die gleichen Betriebe klagen an anderer Stelle über fehlende Ingenieure und Informatiker. Wie weit ist diese Kannibalisierung, sage ich mal, von Ausbildung und Studium einfach Folge des demografischen Wandels, Folge der Tatsache, dass es immer weniger junge Leute gibt, die eines von beiden machen können?
Rupprecht: Also das ist natürlich eine der Kernursachen: Wir haben eine Gezeitenwende, während in den letzten Jahrzehnten drum gerungen wurde, dass die Jugendlichen einen Arbeitsplatz, einen Ausbildungsplatz kriegen, ist einfach in den nächsten Jahren zu erwarten, dass die Betriebe um die Jugendlichen werben werden ohne Ende. Umso wichtiger ist es, dass keiner auf dem Weg verloren geht.
Götzke: Sie sagen es, es sind zwar 33.000 Lehrstellen unbesetzt derzeit, es gibt aber auch Zehntausende Jugendliche, die keine Lehrstelle bekommen. Macht es sich die Wirtschaft da nicht vielleicht auch ein bisschen einfach, wenn sie immer sagt, wir hätten aber am liebsten die Leute, die Abitur machen und eben dann nicht an die Universität gehen sollen, sondern zu uns kommen sollen, zur Ausbildung, und nicht den Hauptschüler nehmen, den sie vielleicht noch ein bisschen nachqualifizieren müssten.
Rupprecht: Zustimmung – ich glaube, diese Gezeitenwende fordert uns alle und fordert auch die Wirtschaft, und es gibt auch bestimmte Branchen, die offensichtlich sich anstrengen müssen, dass sie auch für Jugendliche attraktiv bleiben. Die Zeiten, wo eine Schlange von jungen Menschen vor der Tür gestanden ist, die gebeten haben, einen Ausbildungsplatz zu kriegen, die Zeit ist vorbei, und da müssen sich natürlich die Betriebe, da muss sich natürlich die Wirtschaft auch massiv anstrengen.
Götzke: Sie haben gerade – ich möchte noch mal auf Ihre Zahl zurückkommen – nur 20 Prozent der Arbeitsplätze sind typische Akademikerarbeitsplätze. Verändert sich das in einer zunehmenden Wissensgesellschaft, in einem High-Tech-Land? Müssten wir da nicht stärker auf Akademiker setzen, um auch in Zukunft mit Ländern wie Singapur, China, Indien in Konkurrenz treten zu können?
Rupprecht: Also es wird sich sicherlich in den nächsten Jahren ein Stück verändern, das ist sicherlich der Status quo jetzt, die Augenblicksaufnahme, und natürlich wird sich das in Zukunft ein Stück verändern, und wir werden dann mehr Akademiker brauchen, aber nicht in dem Maße, wie wir es im Augenblick anbieten, in den Maßen, wie es bei allen Bereichen der Fall ist im Augenblick.
Götzke: In welchen Bereichen bilden wir denn zu viele Akademiker aus?
Rupprecht: Wir sind beispielsweise bei den Juristen und Betriebswirten in einem Überangebot, das ist überhaupt nicht notwendig in der Dimension, wie wir im Augenblick ausbilden. Aber ich sage noch mal, die Lösung ist nicht, dass wir das quotieren oder Grenzen einziehen. Ich glaube, dass es wirklich eine ganze Bandbreite gibt, es gibt nicht nur den einen Weg, der im Augenblick zu stark gesehen wird.
Götzke: Also, Jurastudenten, hergehört: Man braucht Sie vielleicht in Zukunft nicht, meint jedenfalls Albert Rupprecht. Er fordert weniger Studierende, mehr Azubis. Vielen Dank für dieses Interview!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Albert Rupprecht: Wir brauchen natürlich hochqualifizierte Ingenieure, Ärzte, Lehrer, das ist überhaupt keine Frage, und es war auch richtig, dass wir vonseiten des Bundes in den letzten Jahren die Länder, deren primäre Aufgabe es eigentlich ist, im Ausbau bei den Hochschulen mit Milliardenbeträgen unterstützt haben – das war alles der richtige Weg, war notwendig. Dennoch müssen wir, wenn wir auf die nächsten Jahre blicken, uns überlegen, wo sind die Schwerpunkte. Und Fakt ist, dass wir ungefähr 50 Prozent der Jugendlichen haben, eines Jahrgangs, die an die Hochschulen gehen, während hingegen aber der Arbeitsmarkt sich derart gestaltet, dass nur 20 Prozent der Arbeitsplätze eigentlich zwingend Akademiker benötigen.
Götzke: Aber wo liegt das Problem, wenn die jungen Leute zu gut ausgebildet sind, weil sie zum Beispiel ein Ingenieursstudium haben.
Rupprecht: Zunächst ist es natürlich für jeden jungen Menschen eine großartige Geschichte, wenn er eine hochwertige, tolle Ausbildung kriegt. Und es geht ja bei der Ausbildung, bei der Qualifizierung, nicht nur darum, Arbeitskräfte für die Volkswirtschaft zur Verfügung zu stellen, sondern es geht auch um die persönliche Bildung, Weiterentwicklung und so weiter. Trotzdem muss jeder junge Mensch sich natürlich überlegen, ob er, wenn er Jahre an der Hochschule ist, diesen Weg beschreitet, ob das für ihn das Treffsichere ist. Und ich sage noch mal die Zahl: 20 Prozent der Arbeitsplätze benötigen die Ausbildung eines Akademikers, 80 Prozent hingegen nicht.
Götzke: Die OECD, die sagt, wir haben zu wenig Akademiker.
Rupprecht: Wissen Sie, die OECD ist in den meisten Berichten derart oberflächlich, dass wir diese Aussagen wirklich hinterfragen müssen.
Götzke: Na, die vergleichen ja die verschiedenen OECD-Länder, und da steht Deutschland mittlerweile im unteren Drittel, immerhin, da, was die Akademikerquote angeht.
Rupprecht: Ich sage Ihnen ein anderes Beispiel: Frankreich hat sich zum Ziel gesetzt, 80 Prozent eines Jahrgangs soll das Abitur machen, haben aber eine Arbeitslosigkeit bei den Jugendlichen von 26 Prozent. Wir hingegen in Deutschland …
Götzke: Liegt das an den Abiturienten oder eher an der Wirtschaftsleistung?
Rupprecht: Es liegt an beidem, es liegt auch an dem, dass es eine Fehlsteuerung in Frankreich gibt, selbige Situation in Italien, selbige Situation in vielen anderen Ländern. Unsere duale Ausbildung ist herausragend, ist ein Modell nicht nur für europäische Länder, sondern weltweit inzwischen, und ich glaube – noch mal –, es geht um ein vernünftiges Verhältnis. Und noch mal zum OECD-Bericht zurück: Die OECD schaut schlichtweg nur an, welche Arbeitslosenquoten gibt es bei welchem Ausbildungsniveau. Und dann sagen die, Akademiker haben niedrige Arbeitslosigkeit, deswegen brauchen wir mehr Akademiker. Das ist natürlich vollkommener Nonsens, weil bei uns auch diejenigen, die duale Ausbildung gemacht haben, inzwischen hervorragende, herausragende Werte haben, die sogar am Arbeitsmarkt inzwischen stärker nachgefragt sind als Akademiker.
Götzke: Wobei die OECD ja noch andere Zahlen bringt, zum Beispiel sagt der Bildungsexperte, ein Studium lohnt sich für den Einzelnen finanziell gesehen immer, weil er am Ende mehr verdient als einer, der nur eine Ausbildung gemacht hat, und für den Staat lohnt es sich auch, weil der Akademiker am Ende mehr Steuern zahlt.
Rupprecht: Auch da ist die OECD-Studie viel zu kurz gesprungen, weil die nämlich von Durchschnittswerten ausgehen. Das mag für den Arzt stimmen, das mag für den Ingenieur stimmen, das stimmt aber für einen Teil der Akademiker überhaupt nicht, und mein Petitum ist ja nicht, dass wir in allen Bereichen sagen, junge Menschen, geht nicht mehr an die Hochschulen, ganz im Gegenteil: Wir brauchen einen gesunden Wettbewerb zwischen Hochschule und dualer Ausbildung, ich bin der Meinung, dass duale Ausbildung in diesem Wettbewerb ein Stück auch an Boden gewinnen muss und sich anstrengen muss.
Götzke: Es klagen ja nicht nur Ausbildungsbetriebe über fehlende Azubis, die gleichen Betriebe klagen an anderer Stelle über fehlende Ingenieure und Informatiker. Wie weit ist diese Kannibalisierung, sage ich mal, von Ausbildung und Studium einfach Folge des demografischen Wandels, Folge der Tatsache, dass es immer weniger junge Leute gibt, die eines von beiden machen können?
Rupprecht: Also das ist natürlich eine der Kernursachen: Wir haben eine Gezeitenwende, während in den letzten Jahrzehnten drum gerungen wurde, dass die Jugendlichen einen Arbeitsplatz, einen Ausbildungsplatz kriegen, ist einfach in den nächsten Jahren zu erwarten, dass die Betriebe um die Jugendlichen werben werden ohne Ende. Umso wichtiger ist es, dass keiner auf dem Weg verloren geht.
Götzke: Sie sagen es, es sind zwar 33.000 Lehrstellen unbesetzt derzeit, es gibt aber auch Zehntausende Jugendliche, die keine Lehrstelle bekommen. Macht es sich die Wirtschaft da nicht vielleicht auch ein bisschen einfach, wenn sie immer sagt, wir hätten aber am liebsten die Leute, die Abitur machen und eben dann nicht an die Universität gehen sollen, sondern zu uns kommen sollen, zur Ausbildung, und nicht den Hauptschüler nehmen, den sie vielleicht noch ein bisschen nachqualifizieren müssten.
Rupprecht: Zustimmung – ich glaube, diese Gezeitenwende fordert uns alle und fordert auch die Wirtschaft, und es gibt auch bestimmte Branchen, die offensichtlich sich anstrengen müssen, dass sie auch für Jugendliche attraktiv bleiben. Die Zeiten, wo eine Schlange von jungen Menschen vor der Tür gestanden ist, die gebeten haben, einen Ausbildungsplatz zu kriegen, die Zeit ist vorbei, und da müssen sich natürlich die Betriebe, da muss sich natürlich die Wirtschaft auch massiv anstrengen.
Götzke: Sie haben gerade – ich möchte noch mal auf Ihre Zahl zurückkommen – nur 20 Prozent der Arbeitsplätze sind typische Akademikerarbeitsplätze. Verändert sich das in einer zunehmenden Wissensgesellschaft, in einem High-Tech-Land? Müssten wir da nicht stärker auf Akademiker setzen, um auch in Zukunft mit Ländern wie Singapur, China, Indien in Konkurrenz treten zu können?
Rupprecht: Also es wird sich sicherlich in den nächsten Jahren ein Stück verändern, das ist sicherlich der Status quo jetzt, die Augenblicksaufnahme, und natürlich wird sich das in Zukunft ein Stück verändern, und wir werden dann mehr Akademiker brauchen, aber nicht in dem Maße, wie wir es im Augenblick anbieten, in den Maßen, wie es bei allen Bereichen der Fall ist im Augenblick.
Götzke: In welchen Bereichen bilden wir denn zu viele Akademiker aus?
Rupprecht: Wir sind beispielsweise bei den Juristen und Betriebswirten in einem Überangebot, das ist überhaupt nicht notwendig in der Dimension, wie wir im Augenblick ausbilden. Aber ich sage noch mal, die Lösung ist nicht, dass wir das quotieren oder Grenzen einziehen. Ich glaube, dass es wirklich eine ganze Bandbreite gibt, es gibt nicht nur den einen Weg, der im Augenblick zu stark gesehen wird.
Götzke: Also, Jurastudenten, hergehört: Man braucht Sie vielleicht in Zukunft nicht, meint jedenfalls Albert Rupprecht. Er fordert weniger Studierende, mehr Azubis. Vielen Dank für dieses Interview!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.