Seit der Finanzdienstleister Wirecard im Juni 2020 Insolvenz angemeldet hat, wird darüber diskutiert, was die kriminellen Vorgänge in dem Dax-Konzern ermöglicht hat und was sich ändern muss, damit sich derartige Fälle nicht wiederholen.
Die Topmanager von Wirecard sollen über Jahre hinweg betrogen, getäuscht und Bilanzen manipuliert haben, ohne entdeckt zu werden. Insgesamt 1,9 Milliarden Euro, die auf Treuhandkonten in Asien liegen sollten, sind nicht auffindbar. Die Staatsanwaltschaft München ermittelt wegen Betrugs, Untreue, Bilanzfälschung und Marktmanipulation gegen mehrere Manager und mittlerweile auch gegen die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young. Es gab wiederholt Vorwürfe, dass Ernst & Young den Prüfauftrag für Wirecard nicht hinreichend ernst genommen habe. Auch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) hatte die Wirecard AG zweimal geprüft, aber keine Verstöße festgestellt.
"Gesetz zur Stärkung der Finanzmarktintegrität"
Die Politik hat daraus Konsequenzen gezogen. Im Dezember verabschiedete das Bundeskabinett einen Gesetzentwurf von Bundesfinanz- und Bundesjustizministerium, der die Überprüfung von Unternehmensbilanzen schärfer regelt und mehr Kompetenzen für die Finanzaufsichtsbehörde BaFin beziehungsweise eine stärkere Kontrolle der Wirtschaftsprüfer vorsieht. Mit dem "Gesetz zur Stärkung der Finanzmarktintegrität" willl die Bundesregierung verloren gegangenes Vertrauen in den deutschen Finanzmarkt wiederherstellen – Anleger haben im Zuge der Wirecard-Pleite Milliarden verloren. Das Gesetz soll noch in diesem Jahr und damit vor der Bundestagswahl vom Bundestag verabschiedet werden.
Stärkung der BaFin
Das bisherige Überprüfungsverfahren der BaFin hat nach den Worten von Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) nicht genug Biss: "Wir haben festgestellt, dass viele Möglichkeiten gar nicht existieren, von denen wir wahrscheinlich alle irgendwie gehofft haben, dass die doch normalerweise genutzt werden, und das muss sich jetzt ändern."
Künftig soll die BaFin Unternehmen selbst und auch gegen deren Willen kontrollieren und sicherstellen können, alle Unterlagen zu bekommen. Sie darf also auch mit kriminalistischen Methoden kapitalmarktorientierten Unternehmen in die Bücher schauen. Sie bekommt das Recht, eine Firma zu durchsuchen und Unterlagen zu beschlagnahmen. Fokusaufsicht lautet das Stichwort. Die BaFin soll Konzerne gezielt, aber eben auch ganzheitlich beobachten und bei einem konkreten Verdachtsfall eine Taskforce in Marsch setzen können, die dann auch in die Unternehmen reingeht.
Dazu erhält die BaFin auch mehr Personal, vor allem für die Bilanzkontrolle. Besser werden soll auch der Umgang mit anonymen wie öffentlichen Hinweisen auf Unregelmäßigkeiten. Es soll nicht mehr vorkommen, dass Hinweisgeber wie im Wirecard-Skandal nicht ernst genommen werden, egal, ob es Whistleblower sind, die anonym bleiben wollen oder Journalisten oder Short-Seller, wenn diese auf ein fragwürdiges Geschäftsgebaren stoßen.
Gleichzeitig werden die privaten Finanzgeschäfte von BaFin-Mitarbeiter eingeschränkt: Im Fall Wirecard hatten BaFin-Mitarbeiter selbst auch mit Wirecard-Aktien gehandelt. Solche Vorfälle sollen ausgeschlossen werden.
Neuer BaFin-Chef ab Sommer 2021
Die Finanzaufsicht soll ab Mitte 2021 auch einen neuen Chef bekommen: Der bisherige Behördenleiter Felix Hufeld musste nach dem Skandal seinen Hut nehmen, auf ihn soll Mark Branson folgen. Der gebürtige Brite Anfang 50 hat bislang in der Schweiz gearbeitet, erst als Banker und schließlich als Chef der dortigen Finanzaufsicht FINMA. Er hat also Erfahrung.
Die Personalie stößt auch bei der Opposition im Wirecard-Untersuchungssausschuss auf viel Zustimmung. Kritik gibt es allerdings von Fabio de Masi (Linkspartei). Die Schweizer Finanzaufsicht unter Branson stehe nicht gerade im Ruf, besonders streng zu sein, sagte de Masi.
Schärfere Regeln für Wirtschaftsprüfer
Die Vorschriften für Wirtschaftsprüfer, die alljährlich Firmenabschlüsse prüfen und mit ihrem Testat eine ordnungsgemäße Buchhaltung bestätigen, werden deutlich verschärft. Prüfung und Beratung sollen besser getrennt werden, um Abhängigkeiten zu vermeiden. Zudem müssen Konzerne künftig spätestens nach zehn Jahren ihren Wirtschaftsprüfer wechseln. Im Fall Wirecard gilt eine zu große Nähe zu den Prüfern von Ernst & Young als ein möglicher Grund dafür, dass die Luftbuchungen nicht auffielen. Bundesfinanzminister Olaf Scholz sagte im Deutschlandfunk, mit dem häufigeren Wechsel der Prüfer passe sich das deutsche Recht an einen internationalen Standard an.
Um die Qualität der Abschlussprüfung zu fördern, werden Haftungsvorschriften verschärft: Die Haftungsobergrenze für Wirtschaftsprüfer bei kapitalmarktorientierten größeren Firmen wird von vier auf 16 Millionen Euro erhöht. Bei grober Fahrlässigkeit der Prüfer soll es gar keine Haftungsgrenze mehr geben. Für kleinere Unternehmen wird die Haftung auf 1,5 Millionen Euro begrenzt.
Wer als Unternehmensvorstand einen falschen Bilanzeid abgibt, also erklärt, dass die Rechnungslegung nach bestem Wissen ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild des Unternehmens entspricht, obwohl dies nicht stimmt, kann künftig mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft werden.
Mögliche weitere Konsequenzen
Die Behörde, die wiederum die Wirtschaftsprüfer beaufsichtigt, wird APAS abgekürzt. Deren Chef Ralf Bose wurde gekündigt, weil auch er privat mit Wirecard-Aktien handelte, während seine Behörde den Fall bereits untersuchte. Hier ist das Bundeswirtschaftsministerium zuständig. Dort würden die notwendigen gesetzgeberischen Schritte derzeit vorbereitet, sagte Bundesfinanzminister Scholz im Dlf.
Mit der Rolle der Politik im Bilanzskandal bei Wirecard beschäftigt sich zudem ein Untersuchungsausschuss des Bundestages. Dort stehen auch der Bundesfinanzminister selbst und die Bundeskanzlerin im Fokus: Scholz muss sich fragen lassen, warum er nicht früher politisch aktiv geworden ist, und Merkel hatte in China noch offensiv für Wirecard geworben, als bereits klar gewesen sein muss, dass es große Probleme gibt.
Quelle: Theo Geers, Nina Voigt