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Mehr Chancen für Frauen und Migranten

Bei einer Bewerbung sollte die Qualifikation im Vordergrund stehen, nicht etwa das Aussehen des Bewerbers oder sein Alter. Anonyme Online-Bewerbungen werden sich in den nächsten Jahren immer mehr durchsetzen, prognostiziert Sebastian Bickerich, Leiter eines Pilotprojektes des Bundes.

Sebastian Bickerich im Gespräch mit Kate Maleike | 14.01.2013
    Kate Maleike: Sebastian Bickerich ist Projektleiter Anonymisierte Bewerbungsverfahren bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Guten Tag, Herr Bickerich!

    Sebastian Bickerich: Ich grüße Sie, Frau Maleike!

    Maleike: Was kann man denn schon sagen über den Erfolg der anonymen Bewerbung? Setzt sie sich durch?

    Bickerich: Also wir sind sehr froh, dass wir so viele Nachahmer finden. Der Bund hat ja sein Projekt schon 2010 abgeschlossen. Wir konnten ja damals nachweisen, dass das Verfahren praktikabel ist und dass wir positive Ergebnisse haben konnten, nämlich: Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund haben in diesem Verfahren bessere Chancen zur Einladung auf ein Bewerbungsgespräch.

    Maleike: Das war ja im Grunde auch vorher der Anlass: Man hatte festgestellt, dass Menschen, die zum Beispiel einen ausländisch klingenden Namen hatten, nicht so häufig zu Vorstellungsgesprächen überhaupt eingeladen wurden. Helfen Sie uns doch noch mal ein bisschen auf die Sprünge: Was gehört definitiv nicht in eine anonyme Bewerbung?

    Bickerich: Sie haben es ja eben schon in ihrer Anmoderation gesagt: In keinem anderen Land müssen Sie so viel von sich preisgeben wie in Deutschland. Schön lächeln auf dem Foto, Adresse noch, Name, Geschlecht, vielleicht noch ein Hobby und einen Facebook-Eintrag dazu - das halten wir für bedenklich. Wir glauben, dass die Qualifikation im Vordergrund stehen muss und dass sie auf solche Dinge einfach verzichten können. Sie tragen in einem Onlineformular ein, warum Sie diese Stelle haben wollen, Sie tragen ihre Qualifikationen ein. Das sind, glaube ich, die Daten, auf die es ankommt. Erst später, wenn sich der Personalchef dann entscheidet, sie einzuladen, dann kann er alle Daten von Ihnen sehen. Und dann haben Sie als Bewerber die Gelegenheit zum Bewerbungsgespräch, und dann sehen Sie den Personalchef in Fleisch und Blut vor sich.

    Maleike: Was hören Sie denn aus den Unternehmen, wie wird das da angenommen?

    Bickerich: Also die teilnehmenden Unternehmen bei unserem Pilotprojekt - das waren ja einige Großkonzerne Post und die Telekom und L'Oreal, Procter und Gamble, aber auch ein kleiner Mittelständler wie Mydays, ein Paketdienstleister aus München -, die haben eigentlich sehr positive Erfahrungen gemacht. Die haben gesagt: Das hat uns dazu gebracht, mal zu überlegen, müssen wir eigentlich wirklich so viel von den Leuten wissen. Und darüber hinaus - das hören wir auch gerade von unseren Kollegen in Baden-Württemberg, die ein neues Pilotprojekt haben -, viele sagen auch: Es ist effizienter, denn Sie können ganz genau abfragen als Unternehmen, welchen Bewerber Sie eigentlich gerne möchten.

    Maleike: Sie haben gesagt, ein Mittelständler war dabei. Ist denn die Chance groß, dass mehrere dazukommen? Bei großen Firmen kann man sich das relativ gut vorstellen, bei den kleineren dann doch schon weniger, oder?

    Bickerich: Also für kleine Unternehmen ist der Umstellungsaufwand eigentlich gar nicht besonders groß. Das Unternehmen hat damit sehr positive Erfahrungen gemacht. Und auch die ersten Rückmeldungen, die wir jetzt aus Baden-Württemberg bekommen haben - dort hat Integrationsministerin Bilkay Öney ja Anfang Dezember ihr Pilotprojekt gestartet - sind ausgesprochen positiv. Dort sind mehrere Kleinunternehmen dabei, die gesagt haben: Wir wollen das mal testen, weil wir glauben, diese Stapel von Bewerbungsunterlagen, sich da durcharbeiten zu müssen und immer ein Foto noch zu haben und so weiter, das bringt uns vielleicht gar nicht weiter.

    Maleike: Weiterbringen ist ein gutes Stichwort. Denn natürlich bringt einen unter Umständen als Bewerber auch weiter, wenn man von dem Unternehmen, wo man sich beworben hat, eben in der Absage hört, woran es denn nun gehapert hat. Das darf man ja bei der anonymen Bewerbung dann auch nicht mehr als Unternehmen. Oder was kann man sagen, damit es dem Bewerber dann hilft?

    Bickerich: Also ich glaube schon, dass es immer sinnvoll ist, wenn man da mit offenen Karten spielt. Nur dürfen es natürlich nicht Absagen sein mit einer Begründung, die eben Diskriminierung enthält - also zum Beispiel: Wir haben abgesagt, weil wir keine Frau einstellen wollen oder ahnliches. Aber was Sie auch im anonymisierten Bewerbungsverfahren natürlich machen können, ist, darauf hinzuweisen, dass Ihre Bewerbungen zum Beispiel Formmängel enthalten hat, also dass zum Beispiel bestimmte Qualifikationszeiten nicht angegeben worden waren, oder dass Sie in Ihr Motivationsschreiben, das es ja auch im anonymisierten Bewerbungsverfahren gibt, dass dort zum Beispiel Lücken drin gewesen sind. All das können Sie machen, aber es zählt wie gesagt nur die Qualifikation. Sie können also nicht sagen: Sie sahen auf Ihrem Foto blöd aus oder ähnliches.

    Maleike: Und das Alter kann man dann auch nicht nennen?

    Bickerich: Auch das Alter spielt aus unserer Sicht gar nicht die entscheidende Rolle. Das Wichtige ist, glaube ich, das Bewerbungsgespräch. Dort müssen Sie erst mal reinkommen. Und da können Sie - das haben wir zum Beispiel von vielen teilnehmenden Unternehmen gehört, die waren ganz überrascht, dass da teilweise auch ältere Bewerberinnen und Bewerber saßen, die sie dann auch eingestellt haben, die hätten die vorher gar nicht genommen. Wenn sie mit dem klassischen Verfahren gearbeitet hätten, wären die Bewerbenden aussortiert worden, weil sie vielleicht schon 50 waren.

    Maleike: Herr Bickerich, halten Sie es eigentlich für realistisch, dass die anonymisierte Bewerbung irgendwann die Regelbewerbung wird?

    Bickerich: Also wir haben jetzt erst einmal einen Stein ins Rollen gebracht. Das war, glaube ich, ganz wichtig, weil es das Verfahren in Deutschland ja noch gar nicht gab. Da gibt es, das haben Sie eben auch schon erwähnt, natürlich viele Vorbehalte von Unternehmen, die das noch nicht kennen. Aber die Resonanz zeigt - wir machen ja auch Schulungen, wir sehen jetzt drei Bundesländer, die es einführen, in Österreich gibt es ein eigenes Projekt seit einigen Wochen -, da ist offensichtlich der Bedarf da, unser althergebrachtes Verfahren sich mal genauer anzuschauen. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass das Verfahren sich innerhalb der nächsten Jahre oder Jahrzehnte immer mehr durchsetzen wird.

    Maleike: Sebastian Bickerich ist der Projektleiter Anonymisierte Bewerbungsverfahren bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Und wir haben gesprochen über den Stand der Dinge bei der anonymen Bewerbung in Deutschland. Vielen Dank!

    Bickerich: Gerne!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.