Katja Scherer: In den vergangenen Jahren verliefen die Tarifgespräche in der Metall- und Elektrobranche stets vergleichsweise friedlich. Das dürfte sich dieses Mal ändern, denn die Gewerkschaft fordert nicht nur mehr Lohn. Zudem sollen Beschäftigte ihre Arbeitszeit zeitweise auf 28 Stunden pro Woche verkürzen können.
Heute haben in mehreren Bezirken die Tarifverhandlungen begonnen und schon jetzt ist klar: Die Arbeitgeber sind von den Forderungen alles andere als begeistert.
Für Arbeitnehmer kann es ziemlich praktisch sein, für ein paar Monate oder Jahre weniger Zeit im Büro zu verbringen, zum Beispiel, wenn man Kinder großziehen muss oder Verwandte pflegen will. Ich habe vor der Sendung mit Yvonne Lott von der Kommission Arbeit der Zukunft der Hans Böckler Stiftung gesprochen und sie gefragt: Die Arbeitszeit zeitweise zu reduzieren und dann zurückzukehren, ist das, was die IG Metall da fordert, die totale Ausnahme, oder gibt es das schon in Branchen, die das jetzt vielleicht schon so geregelt haben?
Yvonne Lott: Es gibt natürlich schon Branchen oder auch Betriebe, wo das betrieblich vereinbart ist. Beim Öffentlichen Dienst ist es auch leichter, zum Beispiel bei der Polizei. Die haben überhaupt gar kein Problem, sukzessive dann wieder ihre Arbeitszeit zu erhöhen, nachdem sie einmal reduziert haben. Aber diese Möglichkeit besteht nicht in der breiten Masse, und es ist einfach auch kein Recht da. Wir haben das Recht, unsere Arbeitszeit zu verkürzen, aber wir haben nicht das Recht, unsere Arbeitszeit wieder aufzustocken.
"Es ist keine Luxusdebatte"
Scherer: Die Debatte in Deutschland, die scheint sich ja im Moment zu ändern. Bisher war es meistens so, dass Gewerkschaften für mehr Gehalt gekämpft haben. Jetzt plötzlich auch für andere Arbeitszeiten. Ähnliches lässt sich auch bei der Deutschen Bahn beobachten. Die hat ihre Mitarbeiter jetzt sogar wählen lassen, wollen die lieber mehr Urlaub oder mehr Gehalt, und viele haben sich für mehr Urlaub entschieden. Mehr Freizeit statt mehr Geld – ist das nicht auch eine ziemliche Luxusdebatte?
Lott: Na ja. Es ist keine Luxusdebatte, wenn wir uns die Krankenstände angucken. Wir haben ja auch einfach eine veränderte Situation. Wir haben noch vor 30 Jahren vor allen Dingen Haushalte gehabt, wo eine Person erwerbstätig war und die andere hat sich dann um das Ganze im Haushalt gekümmert. Jetzt haben wir einfach primär Haushalte, wo beide Partner erwerbstätig sind, nicht im gleichen Umfang, aber beide sind erwerbstätig, und da brauchen dann natürlich genau in solchen Konstellationen Beschäftigte Zeit für andere Dinge. Darum ist es nicht Luxus, sondern einfach notwendig zur Gesunderhaltung und auch für das Zusammenleben in unserer Gesellschaft.
Scherer: Aber führt das nicht dazu, dass man so eine Art Zwei-Klassen-Gesellschaft auf dem Arbeitsmarkt hat, dass man auf der einen Seite Leute hat, die gut verdienen und die sich das dann auch leisten können zu sagen, ich arbeite mal weniger, vielleicht nur 80 oder auch 60 Prozent, und auf der anderen Seite Menschen, die sich das gar nicht leisten können und die sagen, ich muss einfach weiter Vollzeit arbeiten?
Lott: Ich denke, da müssen wir auf jeden Fall drauf achten, und die IG Metall hat das ja schon für ihren Tarifbereich insofern aufgefangen, dass so eine finanzielle Kompensation gezahlt wird und für Beschäftigte, die zum Beispiel in Schichtdienst arbeiten oder auch in anderen Gruppen, dass die auch eine höhere Kompensation bekommen.
"Können sich Unternehmen das leisten, das nicht zu tun?"
Scherer: Das ist ja eine ziemliche finanzielle Belastung. Dazu kommt – wir haben schon in manchen Branchen zu wenig Fachkräfte -, dass gleichzeitig auch noch Mitarbeiter fehlen. Können sich das Unternehmen überhaupt leisten?
Lott: Na ja. Können sich Unternehmen das leisten, das nicht zu tun? – Wenn ich Fachkräfte binden will und ich weiß, dass es immer mehr Beschäftigten wichtig ist, einfach auch Auszeiten zu haben, dann muss ich mich ja gerade in dieser Hinsicht aufstellen und überlegen, okay, was kann ich als Arbeitgeber anbieten, damit ich auch attraktiv bin, um einfach da solche Fachkräfte auch zu bekommen. Ich denke, das ist ein wichtiger Punkt, und der andere ist hohe Krankenstände und Arbeitsausfall. Auch das kostet ja richtig Geld einem Unternehmen.
Scherer: Bei kleinen Unternehmen ist ja auch der organisatorische Aufwand ziemlich groß. Wenn man jetzt einen Mitarbeiter hat, der eine Zeit lang ausfällt oder teilweise ausfällt, dann muss man das ja irgendwie ersetzen, und danach hat man zwei Mitarbeiter. Was macht man da?
Lott: Das ist auf jeden Fall eine Herausforderung. Wie genau das jetzt gestaltet werden kann, kann ich Ihnen auch nicht sagen. Aber ich denke, dass es da sicherlich auch Modelle geben kann, oder vielleicht auch Kompromisse, um da mehr Flexibilität zu ermöglichen.
Scherer: Wir haben ja immer wieder Diskussionen auch über die Vier-Tage-Woche zum Beispiel. Brauchen wir eine ganz neue Debatte darüber, wie wir Arbeitszeit in unser Leben einbinden?
Lott: Ich denke, was wir brauchen ist, auch eine ganz neue Perspektive darauf, wie wir eigentlich wirklich arbeiten wollen, welche Arbeitszeitnormen wir auch wirklich zukünftig haben wollen, was auch Normalität ist. Momentan ist es doch in den meisten Unternehmen noch so, dass die Orientierung ist an der Vollzeit erwerbstätigen Person, die kontinuierlich arbeitet, ohne Erwerbsunterbrechung immer zur Verfügung stehen kann. Das ist die Norm. Ich denke, was eher die Norm sein sollte ist, dass man Beschäftigte hat, die im Laufe ihres Lebens verschiedenste Bedürfnisse haben, in denen sie auch andere Arbeitszeiten brauchen, kürzere Arbeitszeiten, längere Arbeitszeiten vielleicht auch mal. Da kann man ja auch dynamisch denken. Ich denke, dass wir da einfach auch ein neues Leitbild brauchen, wie wir zukünftig arbeiten und auch dann natürlich leben wollen.
Scherer: Yvonne Lott von der Hans Böckler Stiftung war das über neue Arbeitszeitmodelle.
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