In luftiger Höhe wuchern violett blühende Klettererbsen. Gurken- und Zucchinipflanzen winden sich aus ihren Holzkästen heraus. Hinter einem Maschendraht, der den Gemüsegarten abzäunt, geht es 25 Meter senkrecht in die Tiefe.
"Wir stehen auf dem Dach der Hochschule AgroParisTech, im Herzen von Paris. Seit 2012 erforschen wir, ob man städtische Dachgärten ausschließlich mit Abfallstoffen aus der Stadt bewirtschaften kann", sagt der Agrarwissenschaftler Baptiste Grard, während er im Vorbeigehen eine Tomatenpflanze abstützt.
Der 29-Jährige zeigt auf Haufen von geschreddertem Holz und Kompost aus den Pariser Grünanlagen. Daneben sind Säcke mit Kaffeesatz gelagert. Die kommen von einem Pariser Café-Betreiber, sagt Grard. Weitere Säcke enthalten zerstampfte Ziegel und Leichtbeton.
Gärtnern mit städtischen Abfallprodukten
Im Rahmen seiner Doktorarbeit hat Grard die verschiedenen Abfallprodukte zu künstlichem Boden zusammengemischt und getestet. Als Alternative zu natürlichen Ressourcen wie Muttererde, Torf, oder Vulkangestein, die sich nur in extrem langen Zeiträumen erneuern.
"Begrünte Dächer, und die Gemüsegärten gehören dazu, sind komplett künstliche Räume. Warum zwingen wir uns nicht, hier ausschließlich Materialien aus der Stadt zu verwenden, und dadurch sicherzustellen, dass diese Dächer auch wirklich zu einem positiven Öko-Kreislauf beitragen?"
Auch beim Bau des Grand Paris Express entsteht viel Abfall: Die Tunnelbohrer heben gewaltige Mengen an Erdreich aus, das möglichst wiederverwertet werden soll. Darunter sei Erde, die sich durchaus zum Pflanzen eigne, sagt Grard. Für Dächer sei sie allerdings zu schwer.
Grard begrüßt einen jungen Kollegen, der Abfallstoffe zu künstlichem Boden aufschichtet. Die Wissenschaftler untersuchen die Erträge der Pflanzen und ihre Qualität.
"Wir wollen wissen: Ist unser Obst und Gemüse belastet? Falls ja – kommen die Schwermetalle aus dem Boden, der Luft oder dem Regenwasser? Aber am allerwichtigsten ist: Wie viel Wasser können die technischen Böden speichern?"
Kühlung und Entwässerung für die Stadt
Die Grünanlage auf der Agrar-Universität fängt bis zu 80 Prozent des Regens auf, der auf dem Dach niedergeht. Dadurch kühlt sie die Luft ab und entlastet die Abwasserkanäle. Diese Funktionen sind besonders erwünscht, denn Paris ist dichter bebaut als alle anderen Städte in Europa, es gibt kaum Häuser mit Gärten und wenige Parks. Pro Einwohner stehen gerade einmal sechs Quadratmeter Grünfläche zur Verfügung. An heißen Tagen verwandeln Asphalt und Beton Paris in einen Glühofen.
Viele Pariser klagen über mangelnde Lebensqualität. Die Einwohnerzahl der Stadt sinkt, viele Vororte verzeichnen hingegen deutlichen Zuwachs. Das Projekt Grand Paris dürfte diese Tendenz noch verstärken, weil viele neue Wohnviertel mit guten Verkehrsanschlüssen entstehen. Damit auch das Zentrum attraktiv bleibt, hat die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo einen ehrgeizigen Klimaplan verabschiedet.
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe "Grand Paris". Eine Städt wächst über sich hinaus.
Zentrales Element: Bis zum nächsten Jahr sollen Mauern und Dächer auf einer Fläche von insgesamt 100 Hektar begrünt sein. Auf einem Drittel davon sollen Obst und Gemüse wachsen – weil urbane Gärten in Mode sind, soziale Kontakte fördern und ihre Nahrungsmittel vor Ort verzehrt werden.
"Vielleicht sind 30 Hektar urbane Landwirtschaft zu viel"
Christine Nedelec vom Naturschutzverband "France Nature Environnement" begeistert das Vorgehen der Stadt nicht. Sie führt ins 20. Arrondissement, wo sich sechs- bis zwölfstöckige Häuser aneinander reihen. In dieser Steinwüste fällt eine hochgewachsene grüne Wiese auf, groß wie ein Fußballfeld. Sie ist abgezäunt und deshalb menschenleer.
"Hier ist seit dem 19. Jahrhundert ein Speicher für Wasser vergraben, mit dem Straßen gereinigt und Grünanlagen bewässert werden. Seitdem hat sich auf dieser Wiese eine reiche Artenvielfalt entwickelt. Aber jetzt überlässt das Rathaus das Gelände einer Firma. Sie will Sprossen und Keimlinge züchten, auf Muttererde und in Plastikbehältern, noch dazu in beheizten Gewächshäusern. Das ist nicht ökologisch."
Zwei Bäume wurden bereits gefällt und eine Zugangsrampe betoniert. Das Projekt vernichte also ein Stück Natur, kritisiert Nedelec. Ihr Verband hat gegen dieses und weitere städtische Vorhaben zur urbanen Landwirtschaft geklagt.
"Die Stadt ist zu gierig. Manche Orte müssen bewahrt werden. Aber das Rathaus will mit Zahlen beeindrucken. Vielleicht sind 30 Hektar urbane Landwirtschaft für Paris einfach zu viel."
Mehr Grün vor den Toren der Stadt
Schon dreimal hat Paris den Wettbewerb "Parisculteurs" veranstaltet und dafür 92 Orte bereit gestellt, auf denen die prämierten Teams nun Nahrungsmittel erzeugen sollen. Agrarwissenschaftler Baptiste Grard hält es für absolut notwendig, die Pflanzungen in der Stadt voranzutreiben.
"Ich hoffe, dass Paris im Jahr 2050 nicht nur für seine historischen Schätze berühmt ist, sondern auch, weil es eine grüne und lebenswerte Stadt ist. Und nicht unerträglich heiß und mit vielen Überschwemmungen. Diese Hürde müssen wir nehmen."
Aber das eigentliche Potenzial dafür liege vor den Toren der Stadt. Weil es dort, anders als in Paris selbst, noch viel Baugrund gibt, beispielsweise rund um die 68 Bahnhöfe des Grand Paris Express. Baptiste Grad wünscht sich deswegen neue Regeln und Gesetze, die eine Begrünung von Neubauten zur Pflicht machen.