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Mehr Praxisnähe für angehende Ärzte

Die Medizinerausbildung hat seit jeher ein schlechtes Image: Zu theoretisch und zu praxisfern soll sie sein. Mit Inkrafttreten der neuen Approbationsordnung zum 2. Juni 2002 sollten die Studienbedingungen der angehenden Mediziner verbessert werden. Das Vorhaben: Eine bessere Vorbereitung auf den Praxisalltag. Auch an der Universität Bochum will man sich mehr um so genanntes problemorientiertes Lernen bemühen.

Von Britta Mersch |
    Ein Kurs für Medizinstudenten an der Ruhr-Universität-Bochum. In einer Kleingruppe bearbeiten die angehenden Mediziner einen fiktiven Fall: Ein Patient klagt über Muskelschwäche und Müdigkeit, außerdem hat er Rückenschmerzen. Die Studierenden sollen anhand der Symptome überlegen, welche Untersuchungen sie im Berufsalltag durchführen müssten und wie sie das Krankheitsbild des Patienten bestimmen. Annette Rennert, Studentin im 4. Semester:

    "Das soll eigentlich überhaupt nicht über den Dozenten laufen. Der ist eigentlich nur ein stiller Beisitzer, der dann, wenn überhaupt Probleme auftreten, dafür dann da sein soll. Es soll eigentlich so sein, dass man im Team zusammen das Thema erarbeitet und Einzelheiten dann zu Hause nachschlägt, um die dann beim nächsten Mal erklären zu können."

    Der Ansatz, den dieser Kurs verfolgt, ist das so genannte problemorientierte Lernen, kurz POL. Der Unterricht geht vom Patienten aus, wie er im späteren Beruf auch in der Arztpraxis sitzen könnte. Für die Studierenden der Ruhr-Universität Bochum ist diese Art der Methodenschulung jedoch die Ausnahme. In der Regel steht die Theorie im Vordergrund. Maike Wiedemann, Studentin im 4. Semester.

    "Wir haben ganz normal Vorlesungen und haben eigentlich überhaupt keine Anwendung vom dem, was wir machen. Wir lernen einfach stur auswendig."

    Im Regelstudiengang für Medizin in Bochum sind in jedem Studienjahr rund 300 Studierende eingeschrieben. Das Studium ist auf sechs Jahre angelegt. In den ersten vier Semestern stehen die theoretischen Grundlagen etwa in Biochemie, Physiologie, Anatomie und Naturwissenschaften im Vordergrund. Ab dem fünfen Semester lernen die Studierenden verschiedene Krankheitsbilder sowie die medizinischen Fachgebiete mit ihren diagnostischen und therapeutischen Prinzipien kennen. Bei der Menge an Stoff, die die Studierenden bewältigen müssen, ist viel Eigeninitiative gefragt. Student Patrick Müller:

    "Mein Studienalltag sieht so aus, dass ich einmal die Woche die Veranstaltung habe, dann haben wir donnerstags eine Vorlesung. Den restlichen Tag sitze ich von acht Uhr bis zwölf Uhr in der Bibliothek bei uns, in der Prebib, und gehe dann essen und sitze dann bis achtzehn Uhr in der Bib."

    Patrick Müller, Student im 4. Semester, hat einen festen Arbeitsplan ausgearbeitet, um die Anforderungen der unterschiedlichen Fächer und Themengebiete bewältigen zu können.

    "Momentan lerne ich Biochemie und habe schon Physiologie wiederholt und habe noch Anatomie zu lernen. Das sind insgesamt sieben Fächer, einmal die naturwissenschaftlichen Fächer: Chemie, Biologie und Physik und dann noch Biochemie als großes Fach, Physiologie als großes Fach, Anatomie als großes Fach und Psychologie."

    Die Studierenden legen in jedem dieser Fächer eine schriftliche Prüfung ab. Im Mittelpunkt: Multiple-Choice-Fragen. Und hier sehen viele Studierende ein Problem, vor allem darin, sich speziell auf diese Art der Prüfung vorbereiten zu müssen. Hierzu benutzen viele Studierende deshalb eine CD-ROM mit einem Fragenkatalog, anstatt sich breites Wissen anzueignen. Medizinstudent Florian Balkau:

    "Das ist das Mittel schlechthin (...) sich auf eine Prüfung vorzubereiten. Man hat vor sich ein Computerprogramm mit einer Frage und fünf Antwortmöglichkeiten a-e, wovon eine anzukreuzen ist. Das kann man machen, danach sagt einem das Programm, ob die richtig war und wenn sie falsch war, warum sie falsch war und erklärt auch die restlichen Fragen."

    Allerdings gehen viele Fragen am tatsächlichen Alltag eines Arztes vorbei, sagen die Studierenden. So wie das Studium ohnehin nur wenig auf die Tätigkeit von Medizinern vorbereite:

    "Der Praxisanteil, um den muss man sich eigentlich selber kümmern. Das ist eine traurige Aussage, aber das ist so. (...) Wir müssen ja so genannte Famulaturen absolvieren, also vier einmonatige Praktika im Krankenhaus oder einige darf man auch in der Praxis ableisten, und wenn man sich da nicht selber darum kümmert und sich die in einer Einrichtung besorgt, wo man an die Sachen auch herangeführt wird, dann kann man theoretisch durch das Studium durchkommen ohne viel Patientenkontakt und ohne sehr viel Ärztekontakt und ohne sehr viel Praxiserfahrung."

    Allerdings gibt es an der Ruhr-Universität Bochum zur Zeit auch über den üblichen Studiengang hinaus auch einen Modellstudiengang, der hauptsächlich auf das problemorientierte Lernen ausgerichtet ist. Dort ist das ganze Studium so aufgebaut, dass schon vom ersten Semester an mit konkreten Fallbeispielen gearbeitet wird. Jede Woche bekommen Kleingruppen von sieben Studierenden einen neuen Fall. Das theoretische Wissen dazu wird in Modulen erarbeitet, die zum Patientenfall passen. Anika Prinz, Studentin im 2. Semester dieses Modellstudiengangs:

    "Wir haben zum Beispiel im ersten Semester angefangen mit dem Block Zelle, da hatten wir drei Wochen Patientenfälle zum Block Zelle, Krankheiten, die sich in der Zelle sozusagen widerspiegeln auch. (...). So hat man immer den direkten Bezug auf ein Problemfeld, jetzt zum Beispiel das Problemfeld Bewegung, dass man dazu alles wichtige lernt."

    In jedem Studienjahr können jedoch nur 42 Studierende am Bochumer Modellstudiengang teilnehmen. Über einen Studienplatz entscheidet das Los. Student Lukas Volz beobachtet unter den Medizinern im Modellstudiengang eine ganz andere Motivation für das Fach:

    "Ich denke, dass das auch das ist, was uns Studenten sehr viel Spaß am Modellstudiengang macht oder was sehr motiviert, dass man sich nicht jede Woche in eine Anatomievorlesung setzt, die sich über das ganze Semester hinzieht und das dann jeden Tag irgendetwas hört, sondern dass man das problembezogen macht und wirklich zu einem Aspekt dann alle Fächer nacheinander und komprimiert in einer Woche behandelt."

    Zur Zeit ist der Modellstudiengang an der Ruhr-Universität Bochum noch ein Experiment. Er läuft seit drei Jahren und soll mit dem Studierende der ersten Absolventen ausgewertet werden. Ob der Modellstudiengang eine Option für alle Medizinstudierenden werden kann, ist fraglich. Für eine derart intensive Betreuung der Studierenden fehlen schlicht die Mittel. Die Universität plant jedoch, in Zukunft einen neuen Studiengang zu etablieren, der Elemente aus dem Modellstudiengang mit denen des Regelstudiengangs kombiniert. Und bis dahin wird das problemorientierte Lernen am beispielhaften Patientenfall für die meisten Studierenden der Medizin die Ausnahme sein.