"Meine Freude, dass ich nun endlich den Weg zur Lösung des erstrebten Problems gefunden zu haben glaubte, war sehr groß, und selbst Columbus kann sich kaum mehr gefreut haben, als er nach langer Irrfahrt die ersten Anzeichen entdeckte, die vermuten ließen, dass das erhoffte Land nicht mehr fern sein könne."
Das schrieb Friedrich Gottlob Keller 1890 an einen Mitarbeiter der "Gartenlaube", der von ihm wissen wollte, wie sich das eigentlich angefühlt habe, vor circa 50 Jahren, als es Keller zum ersten Mal gelungen war, Papier aus Holzschliff herzustellen. Das handelsübliche Papier wurde damals noch aus Lumpen gewonnen - einem immer knapper werdenden Rohstoff, wie Michael Wollert, ein Papiermacher aus dem Freilichtmuseum Hagen, in einem Radiobeitrag erklärte:
"Die Leute trugen ihre Sachen so lange, bis sie wirklich vom Körper fielen. Deswegen war das natürlich einmal ein Engpass, genug Lumpen heranzuschaffen. Und es war teuer. Und da hat man eben experimentiert, dass man irgendeinen anderen Rohstoff finden konnte - und da ist man dann irgendwann auf den Rohstoff Holz gekommen."
Keller, 1816 im sächsischen Hainichen geboren, war beim Blättern in einem Technik-Journal auf die Problematik aufmerksam geworden. wie er berichtete:
"Ich erfasste den Wink mit Eifer, sah jedoch sofort ein, dass es mir bei gänzlicher Unkenntnis des Papierfachs sehr schwer werden würde, etwas Geeignetes zu finden."
Die Wespen standen Pate
Doch andererseits traute sich Keller, der, wie sein Vater, den Beruf des Webers ausübte, auch vieles zu. Er hatte sich sogar schon an einem Perpetuum mobile versucht, bevor er sich in das Thema "Papier" vertiefte. Der Anblick eines Wespennestes wurde für ihn zum Schlüsselerlebnis. Keller erkannte, dass die papierähnliche Hülle eines Wespennests aus feinen, gelösten Holzfasern bestand.
Zwei Jahre lang versuchte er vergeblich, einen für die Herstellung von Papier geeigneten Holzfaserbrei herzustellen. Bis ihm eines Tages einfiel, wie er als kleiner Junge Kirschkerne abgeschliffen hatte, um daraus Kettenglieder herzustellen. Dabei war eine schleimige Masse entstanden, die sich nach dem Trocknen als biegsame Schale vom Untergrund hatte lösen lassen. Kellers Gedanken überschlugen sich:
"Bald war ich der Überzeugung, dass auch Holzfasern von dem Stückchen Holz, worein der Kirschkern gelegt war, sich mit abgeschliffen hatten, welche dem getrockneten Rückstand die Biegsamkeit verliehen."
Die Probe aufs Exempel
Keller machte mit einem kleinen Stück Holz und einem normalen Schleifstein die Probe aufs Exempel. Den Holzabrieb, der beim Schleifen entstand, ließ er in ein Gefäß mit Wasser rieseln. Dabei bildete sich eine milchige Flüssigkeit, die er kurze Zeit stehen ließ, bis sich die festen Bestandteile abgesetzt hatten und er das überschüssige Wasser abgießen konnte. Beim Umrühren spritzte etwas von der verbliebenen feuchten Masse auf ein Tischtuch. Zitat:
"Das Wasser wurde sofort vom Tischtuch aufgesogen; ich löste den obenauf liegenden nassen Stoff behutsam mit dem Messer ab, presste ihn zunächst in den Blättern eines Buches und steckte ihn mit Nadeln an den Ofen zum Trocknen. Er war bald trocken, ich glättete ihn noch ein wenig, und das erste Stückchen reinen Holzpapiers in der Größe eines Zehnmarkstückes war noch vor dem Abendessen fertig."
Das Geld machten andere
Wenig später hatte Keller mit einer primitiven, selbstgebastelten Apparatur größere Mengen von Papier im heutigen DIN-A-4-Format angefertigt. Am 11. Oktober 1845 wurden 80 Exemplare des "Intelligenz- und Wochenblatts für Frankenberg mit Sachsenburg und Umgegend" auf einem von ihm bereitgestellten, vornehmlich aus Holzschliff gewonnenen Papier gedruckt. Es war die erste auf Holzschliffpapier gedruckte Zeitung der Welt.
Keller selbst fehlten die Mittel, aus seiner Erfindung Kapital zu schlagen. Er verkaufte die Rechte schließlich an den Papierfabrikanten Heinrich Voelter und zog, durch Fehlinvestitionen hoch verschuldet, nach Krippen in der Sächsischen Schweiz, wo er eine mechanische Werkstatt betrieb. Erst gegen Ende seines Lebens, als sich der Holzschliff in der Papierindustrie längst etabliert hatte, besann man sich auf die entscheidende Rolle, die Keller bei dieser Erfindung gespielt hatte.
Bei einem von der "Gartenlaube" verbreiteten Spendenaufruf kam genug Geld zusammen, um ihm bis zu seinem Tod 1895 ein in finanzieller Hinsicht sorgenfreies Leben zu ermöglichen.