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"Mein Bauch gehört mir"

Es war eine Debatte, die man historisch nennen kann: Heute vor 20 Jahren wurde im Bundestag um die Novellierung des Paragrafen 218 gestritten. Wichtigster Punkt bei der Neuregelung: Nicht der Arzt, sondern die Frau sollte über eine Abtreibung entscheiden. Kaum ein Gesetz hatte bereits im Vorfeld so viele Turbulenzen hervorgerufen.

Von Agnes Steinbauer |
    "Man kann – so heißt es – die Entscheidung der Frau nicht abnehmen, richtig, aber was ist, wenn diese Entscheidung falsch ist, die unwiederbringlich zur Tötung eines Menschen führt."

    Es ist der 25. Juni 1992, als der CSU-Politiker Norbert Geis im Namen seiner Fraktion zu dem Schluss kommt: Über eine Schwangerschaftsunterbrechung soll die Frau nicht selbst bestimmen können. Bereits 1975 hatte das Bundesverfassungsgericht die "Fristenlösung" gekippt. Kompromiss wurde die "modifizierte Indikationsregelung". Sie erlaubte die Abtreibung in den ersten drei Monaten, bei Gesundheitsgefahr für die Mutter, schwerer Schädigung des Ungeborenen, Vergewaltigung oder sozialer Notlage. Das letzte Wort hatte der Arzt.

    Der Einigungsvertrag von 1990 schrieb nun die Novellierung des Paragrafen 218 vor. In den Neuen Ländern galt noch DDR-Recht und damit die "Fristenregelung". Sie wurde von der westdeutschen Frauenbewegung mit der Kampagne "Mein Bauch gehört mir" unterstützt, aber auch von vielen ostdeutschen Abgeordneten und West-Grünen, wie Waltraud Schoppe, damals niedersächsische Frauenministerin:

    "Wir vertreten diese Position in der Erkenntnis, dass erwiesenermaßen eine Strafandrohung, die Frau nicht von einem Schwangerschaftsabbruch abhält."

    Die meisten Unionsmitglieder wollten die Hürden möglichst hoch lassen. Ihr Entwurf, den auch die damalige Bundesfrauenministerin Angela Merkel unterstützte, sah eine medizinische oder psychosoziale Indikation mit Dokumentationspflicht des Arztes vor. Unter den sieben Gesetzentwürfen, die im Juni 1992 zur Debatte standen, war der sogenannte Gruppenantrag von SPD und FDP die politische Sensation - weil er neben "Bündnis 90" und PDS/Linke Liste auch CDU-Abgeordnete ins Boot holte. Die Verhandlungsführerinnen waren Inge Wettig-Danielmeier (SPD) und Uta Würfel (FDP):

    "Wir wollen nicht mehr zulassen, dass so entwürdigend mit Frauen umgegangen wird."

    Wichtigstes Novum: Zum ersten Mal lag die Entscheidung über eine Abtreibung bei der Frau. Der Eingriff sollte innerhalb der Zwölfwochenfrist möglich sein, wenn vorher ein ärztliches Beratungsgespräch stattgefunden hatte und eine Bedenkzeit von mindestens drei Tagen zum Abtreibungstermin eingehalten wurde. Mit Hilfe von 32 CDU-Abgeordneten - überwiegend aus den Neuen Ländern - siegte der Gruppenantrag. Am 26. Juni um 0.40 Uhr verkündete der damalige Bundestagsvizepräsident Helmuth Becker:

    "Mit 'Ja' haben gestimmt 357. Mit 'Nein' haben gestimmt 284, Enthaltungen gab es 16, der Gesetzentwurf ist damit in dritter Lesung angenommen."

    Parteienintern waren die Debatten um den Paragrafen 218 eine schwere Zerreißprobe. Die damalige Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (CDU), die den Gruppenantrag unterstützt hatte, wurde zum Rücktritt aufgefordert und der Christdemokrat Horst Eylmann geriet als Vorsitzender des Rechtsausschusses heftig in die Kritik. Er hatte bereits 1991 angekündigt:

    "Die Zeit ist reif für eine solche Entscheidung."

    Der "Gruppenantrag" wurde jedoch nie Gesetz. Nach einer Verfassungsklage und mehreren Gesetzesänderungen trat das "Schwangerschaftskonfliktgesetz" in heutiger Form erst im Oktober 1995 in Kraft. Nach dieser "modifizierten Fristenlösung" ist der Schwangerschaftsabbruch in den ersten zwölf Wochen ohne Indikation zwar rechtswidrig, nach Beratung aber straffrei.

    Die Befürchtungen von damals, das neue Gesetz ermutige Frauen zur Abtreibung, hat sich nicht bestätigt, meint Juliane Roloff - ehemalige Mitarbeiterin des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung - die sich als Demografin jahrelang mit dem Thema auseinandersetzte. Besonders in den letzten Jahren sinke die Zahl der Abtreibungen in Deutschland stetig – 1996 waren es rund 131.000, 2011 noch knapp 109.000 – rund 17 Prozent weniger, als nach Inkrafttreten der Neuregelung.