Archiv


"Mein Kampf" als Lesetipp auf der Insel

In einigen Filialen der britischen Buchhandelskette Waterstone's wurde Hitlers "Mein Kampf" als Weihnachtsbuchtipp angepriesen. Nun ist es der Geschäftsführung peinlich, aber das umstrittene Werk ließ sich gut verkaufen.

Von Holger Ehling | 27.12.2011
    Die Weihnachtszeit, die Weihnachtszeit, sie ist für den Buchhandel tatsächlich die Zeit des Segens. Gut die Hälfte der jährlichen Einnahmen wird in den vier Adventswochen verzeichnet. Deshalb strengen sich Buchhandlungen und Verlage auch ganz besonders an, um dem Kunden und vor allem dessen Brieftasche ganz nahe zu kommen - bei uns und auch in allen anderen Ländern.

    Und so kam es, dass im Reich Ihrer britischen Majestät Elisabeth just zur Weihnachtszeit ein ganz besonderes Buch auf die Empfehlungslisten rutschte: "Mein Kampf". Ja, Sie haben richtig gehört: Adolf Hitlers "Mein Kampf" wurde in Großbritannien als Tipp fürs Weihnachtsfest angepriesen, jedenfalls in einigen Filialen von Waterstone's, und das ist immerhin Europas größte Buchhandelskette.

    In Huddersfield im schönen Yorkshire etwa priesen die Waterstone's-Verkäufer das Buch als "the perfect present" an, zusammen mit der handschriftlichen Notiz, dies Buch sei ein "essential read" - als "unverzichtbare Lektüre" also - für jeden, der eine der widerlichsten Figuren der Geschichte verstehen wolle. In Manchester, Liverpool und Cheshire wurden in einigen innerstädtischen Waterstone's-Filialen Mein-Kampf-Ausgaben frontal präsentiert - immerhin kam wohl niemand auf die Idee, einen eigenen Präsentationstisch für den GröFaZ aufzubauen.

    Der Konzerngeschäftsführung von Waterstone's ist das alles natürlich peinlich, und man entschuldigte sich eiligst und aufrichtig bei einem jüdischen Geschäftsreisenden, der zufällig die Hitler-Promotion in der Waterstone's Filiale Manchester Deansgate entdeckt hatte. Als er sich daraufhin bei einem Mitarbeiter der Filiale beschwerte, bekam er zur Antwort, der Adolf-Schinken sei ein Weihnachtsbestseller, der sich wirklich gut verkaufe.

    Aus der Waterstone's-Zentrale kamen in der Sache deutliche Worte: Mein Kampf werde seitens der Kette nicht aktiv promotet, gehöre in keine Politikabteilung irgendeiner Filiale und die Kollegen in Huddersfield hätten das Buch keinesfalls mit Weihnachtsstickern besonders herausstellen dürfen. Man werde alle Filialen auf die Problematik des Buches gesondert hinweisen.

    So weit, so irritierend. Allerdings fragt man sich auch, wie zum Teufel ein halbwegs gescheiter Mensch, der sich nicht zum Neonazipack zählt, auf die Idee kommt, Mein Kampf als Weihnachtslektüre zu promoten?

    Vielleicht liegt es ja daran, dass in Großbritannien der Geschichtsunterricht heute weitgehend in die Verantwortung von BBC-Dokumentationen und des History Channel gelegt wird. Fremdsprachen sind nicht verpflichtend für den Abschluss der Sekundarstufe, und nur wenige britische Teenager unterziehen sich deshalb dieser Mühe. Schulaustauschprogramme fallen gerne und häufig den Streichprogrammen der Schulträger zum Opfer - und wenn britische Schulabgänger vor dem Start der Unilaufbahn auf Tour gehen, dann sind in der Regel Südostasien, Indien oder Australien die beliebtesten Ziele. Bei allfälligen Umfragen unter britischen Teenagern kommt immer wieder heraus, dass sie Herrn Hitler heute noch in Deutschland an der Macht vermuten und wenn man sich in den britischen Medien umschaut, könnte man durchaus den Eindruck gewinnen, dass in den Chefredaktionen diese Meinung auch noch besteht. Vielleicht ist dies ja der Dung, auf dem Kreaturen wie David Irving entstehen können, der vielleicht produktivste Holocaustleugner der Gegenwart? Auch in der "feinen" britischen Gesellschaft sind die Nazis durchaus salonfähig: Prinz Harry tauchte vor ein paar Jahren bei einer Party in Naziuniform auf, und kürzlich verlor der Tory-Abgeordnete Aidan Burley seinen Job als Parlamentarischer Staatssekretär, weil er bei einem Junggesellenabschied gesichtet wurde, bei dem seine Freunde in SS-Uniform aufgelaufen waren.
    Halten uns die Briten allesamt immer noch für Nazis? Nein, das ist nicht der Fall. Die allermeisten Briten haben sich von den alten Stereotypen verabschiedet und sehen in den Deutschen durchaus eine Spezies, die der Zivilisation des Abendlands zuzurechnen ist. Nazi-Anspielungen sind in der Regel als derber Humor gemeint, die historischen Implikationen sind dabei dem Witzemacher nicht präsent.

    Adolf Hitler als Weihnachtstipp in Großbritannien: Möglich wird das übrigens nur dadurch, dass der Verlag Pimlico das Buch im Programm hat. Pimlico gehört zu Random House und Random House gehört zu Bertelsmann. Ob die Konzernlenker in Gütersloh wirklich gut beraten sind, bis heute Geld mit "Mein Kampf" zu verdienen, das ist eine ganz andere Frage.