Archiv

Mein Klassiker: Marius Jung
Vielen Generationen viel Kraft gegeben

Der Kabarettist Marius Jung hat sich nicht nur auf den Bühnen der Comedyszene einen Namen gemacht. In wenigen Tagen erscheint auch sein neues Buch "Moral für Dumme". Aber daraus wird er seiner Tochter wohl noch nicht vorlesen. Viel besser geeignet dazu ist sein sein persönlicher Klassiker: Pippi Langstrumpf.

Von Achim Hahn | 03.03.2015
    Marius Jung: Mein Name ist Marius Jung – Kabarettist, Autor und Sänger und mein Klassiker ist im Grunde das Gesamtwerk von Astrid Lindgren, aber hier im Speziellen "Pippi Langstrumpf".
    "Ein sehr merkwürdiges Kind."
    "Zwei mal drei macht vier – widdewiddewitt und drei macht Neune!
    Ich mach' mir die Welt – widdewidde wie sie mir gefällt."
    Noch heute ein hochmodernes Buch
    Ein Buch, da wo der erste Teil 1945 geschrieben wurde. Ich les das meiner Tochter in letzter Zeit wieder und wieder vor und merke, dass es heute noch ein hochmodernes Buch ist, das ein freigeistiges Mädchen, die fast Punkerin ist, beschreibt.
    "Hey – Pippi Langstrumpf hollahi-hollaho-holla-hopsasa." Erzählerin: "Hey Pippi Lotta Viktualia Rollgardina Pfefferminz Ephraims Tochter Langstrumpf", ...
    ... die dauernd provoziert und alles ausprobiert, um zu sehen, wie sie noch mehr Freiheit für sich erringen kann und "die macht, was ihr gefällt."
    ... und die extrem lebensfähig ist darin und daraus sehr viel Stärke zieht.
    Erzählerin: "Sie konnte ein ganzes Pferd hochheben, wenn sie wollte. Und das wollte sie."
    Die hat auch bewusst gelogen. Da kam so ein bisschen Münchhausen durch.
    Erzählerin: "Das war das merkwürdigste Mädchen, das Tommy und Annika je gesehen hatten."
    Sie hat gelogen, nicht um jemanden anzulügen, sondern sie hat gelogen, um ihrer Kreativität noch mehr freien Lauf zu lassen.
    Pippi Langstrumpf: "Stell Dir mal vor, ich hab selbst etwas erfunden!" – Tommy: "Was hast Du erfunden?" – Pippi: "Ein ganz neues Wort." – Annika: "Was für ein Wort?" – Pippi: "Spunk."
    Völlig absurde, aber wundervolle Geschichten
    Also sie behauptet dann in einer Geschichte, dass das Springen in Wassergräben in anderen Ländern völlig normal ist, und dass es Länder gibt, in denen Kinder nur in Wassergräben leben, und im Winter, wenn sie festgefroren sind, die Eltern dahin kommen müssen und die Kinder füttern, und ähnliche Geschichten, die völlig absurd sind – aber wundervoll.
    Erzählerin: "Und übrigens, fuhr sie fort, und sie strahlte über ihr ganzes, sommersprossiges Gesicht, will ich Euch sagen, dass es im Kongo keinen einzige Menschen gibt, der die Wahrheit sagt. Sie lügen den ganzen Tag. Sie fangen früh um sieben an und hören nicht eher auf, als bis die Sonne untergegangen ist."
    Sie sind so wundervoll, weil sie phantasieanregend sind und weil sie zeigen, wenn der Phantasie freien Lauf gelassen wird, ist alles möglich und dann kann alles schön sein.
    Erzählerin: "Ich möchte wissen, was Du gesagt hättest, wenn ich auf den Händen gegangen wäre, wie die Leute in Hinterindien."
    Unfassbare Phantasie und Brechen von Normen
    Und was tatsächlich so irre ist – man muss ja sehen: Ein weiblicher Held und dann auch noch ein kleines Mädchen ist der stärkste Mensch der Welt; und das Mitte der 40er Jahre, das nenn ich mal modern. Aufgrund dessen knie ich heute auch noch mal doppelt nieder vor diesen Geschichten, vor dieser unfassbaren Phantasie und vor diesem Brechen von Normen.
    Annika: "Es ist herrlich bei Pippi Langstrumpf. In ihrer Villa Kunterbunt darf man alles, was zuhause verboten ist, und alle Augenblicke fällt ihr irgendetwas Neues ein, und genau das hatten wir uns schon so lange gewünscht."
    Und als ich dann Astrid Lindgren zum ersten Mal live gesehen habe im Alter von sechs, sieben Jahren – meine Mutter hatte mich mitgenommen, genauer gesagt, hab ich meine Mutter tatsächlich solange angebettelt, bis sie mit mir dahingegangen ist, war ich tief beeindruckt von einer recht betagten Frau, die aber wahnsinnige Lebensfreude in sich trug.
    Astrid Lindgren: "Ich kann ja nur schreiben, was ich selbst kenne und fühle."
    Sie hat auch Pippi Langstrumpf vorgelesen und das war für mich fast ein religiöses Erlebnis.
    Pippi Langstrumpf: "Ich glaub, jetzt weiß ich, was es ist. Pass auf: Spunk, Spunk. Nein das macht nur Pitsch."
    "Pippi hat schon so vielen Generationen so viel Kraft gegeben"
    Pippi Langstrumpf hat schon so vielen Generationen so viel Kraft gegeben und hat sie vielleicht auch aus so einem Gedankengefängnis befreit. Und Pippi Langstrumpf war mit Sicherheit auch ein Grund dafür, dass ich heute auf der Bühne stehe.