Professor Martin Schlegel ist auf dem Weg ins molekularbiologische Labor der Uni Leipzig. Hier stapeln sich Zentrifugen, Petrischalen und Sterilboxen auf sauberen Tischen, die Lüftung rauscht. "Hier wird also die DNA isoliert aus den Proben und dann wird sie im nächsten Labor weiterverarbeitet."
Das Labor ist für Martin Schlegel ein Sehnsuchtsort. Seit Mitte der 1980er Jahre forscht der studierte Biologe, wurde vor 24 Jahren aus dem Schwabenland an die Uni Leipzig berufen.
Doch in letzter Zeit hantierte der Professor für Molekulare Evolution und Systematik der Tiere nur sehr selten am Labortisch. Führungs- und Verwaltungsaufgaben bestimmten seinen Tagesablauf. Als Dekan, Pro- sowie Interims-Rektor der Uni hatte er Gelder beantragt und Allianzen geknüpft. Für Forschung blieb schlicht zu wenig Zeit. Das soll sich nun ändern.
"Biologen irgendwann zurücksetzen in sein Habitat"
Ab Oktober wird der 65-Jährige der erste Senior-Professor in Leipzig. Und er ist froh, dass er "wirklich noch etwas machen (kann), was ich im Dienste der akademischen Selbstverwaltung zurückstellen musste, nämlich meine eigene Forschung betreiben. Man muss einen Biologen irgendwann zurücksetzen in sein Habitat, sonst vertrocknet er und ich möchte jetzt wirklich nochmal Forschung machen, dafür bin ich berufen worden, dafür bin ich auch meinem Institut für Biologie noch etwas schuldig.
Ab kommendem Wintersemester kann sich Martin Schlegel dann wieder ausschließlich seiner Leidenschaft widmen. Dabei wäre er beamtenrechtlich eigentlich längst im Ruhestand. Die Senior-Professur aber ermöglicht pensionierten Professoren ihre berufliche Laufbahn offiziell zu verlängern. In den kommenden drei Jahren will der Biologe dann zwei große Forschungsprojekte zu Ende bringen. Auf insgesamt neun Jahre könnte er die Professur ausweiten. Andere Beamte werden nach Erreichen der Altersgrenze gezwungenermaßen mit dem Nichtstun konfrontiert.
Die Senior-Professor aber bringt Vorteile für beide Seiten, findet Erich Schröger, Leipziger Pro-Rektor für Forschung und wissenschaftlichen Nachwuchs: "Der Ausgangspunkt ist, dass man gesehen hat, dass es nicht im Sinne des Erfinders ist, wenn man noch sehr leistungsfähige Kollegen im Alter von 65 oder 68 in den Ruhestand schickt und nicht mehr von ihrer Erfahrung, ihrem Wissen, ihrer Exzellenz profitieren kann. Der Professorenstand ist eine der wenigen, die nicht freiwillig aufhören zu arbeiten. So kann man einige verdiente Kolleginnen und Kollegen in den Stand versetzen, weiterhin ihrer wissenschaftlichen und Lehrtätigkeit nachgehen zu können."
Doch nicht alle, die vielleicht wollen, dürfen weitermachen. Im Fall von Martin Schlegel beantragte seine Fakultät die Verlängerung, der Senat stimmte zu. Die Rektorin berief ihn dann zum Senior-Professor und schuf damit eine zusätzliche Stelle. Schlegels ursprüngliche Professoren-Stelle wird also frei und kann nachbesetzt werden.
In Zeiten, in denen der wissenschaftliche Nachwuchs auf heißen Kohlen sitzt, ein sinnvolles Instrument. Zudem ermögliche diese "Alters-Professur" einen homöopathischen Ausstieg aus dem Arbeitsleben, erklärt Schröger. "Er hat als Senior-Professor vielmehr Freiheiten als regulärer Professor im Amt. Er hat aber Pflichten, Lehre zu machen und zwar im Umfang von mindestens zwei Semesterstunden und natürlich wird von ihm erwartet, dass er sich aktiv in der Forschung engagiert. Und sie kostet die Universität, den Steuerzahler auch nichts, weil kein Honorar fließt. Das einzige, was es kostet, sind Ressourcen der Fakultät. Er braucht dann entsprechenden Zugang zu Labors, möglicherweise noch ein Büro."
Unterschiedliche Regelungen in den Bundesländern
Honorierung und Laufzeit der Senior-Professor sind an deutschen Hochschulen keineswegs einheitlich. Während Bayern, Baden-Württemberg oder Hessen gar keine speziellen Modelle für pensionierte Professoren vorsehen, ist in Hamburg und Thüringen die Senior-Professur nach dem Hochschulgesetz geregelt. Die Vergütung erfolgt hochschulintern, angestrebt aber ist die Differenz zwischen Pension und früherem Gehalt auszugleichen.
Für den Geschäftsführer des Deutschen Hochschulverbandes Doktor Michael Hartmer ist die Senior-Professur auch wichtig, um den Wissenschaftsstandort Deutschland zu sichern und verdiente Professoren im Land zu halten. "Die Internationalisierung ist ein Megathema für die Wissenschaft, die sich darin äußert, dass in anderen Ländern, da denken wir vor allen Dingen an die USA, es überhaupt nicht üblich ist, dass Menschen in den Ruhestand geschickt werden. Und es kann ja nicht sein, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlicher aus Deutschland nach Vollendung ihrer Altersgrenze in die USA gehen und Patente erringen oder möglicherweise noch Nobelpreise erringen würden, was wäre das für eine Schande für eine deutsche Universität, die auf ein Beamtengesetz, auf eine Altersgrenze pochen würde."