"Das Konzept einer globalen Erwärmung wurde von den Chinesen und für sie erfunden, um die US-Wirtschaft wettbewerbsunfähig zu machen", twitterte Donald Trump bereits am 6. November 2012.
"Interessant ist, dass wir das vorher von den Chinesen gehört haben."
Dirk Messner, Direktor des Instituts für Entwicklungspolitik.
"2006, 2007 - da haben die chinesischen Regierungsvertreter argumentiert, es ist doch kein Zufall, dass in der Phase, in der China jetzt endlich Wachstum produziert, wo wir wohlhabender werden, da kommt ihr aus dem Westen an und wollt uns erklären, dass unser Wirtschaftsmodell, das auf Ressourcenausbeutung basiert und auf der Verbrennung von Kohle, dass das jetzt plötzlich falsch ist, ihr seid dadurch reich geworden und ihr wollt uns ausbremsen."
Die Welt ist voll von Geschichten, vor allem Verschwörungsgeschichten, die Sachverhalte und Tatsachen überlagern, ja sogar sich an deren Stelle setzen: Meinungen, Gefühle, auch bewusste Lügengeschichten rücken an die Stelle gesicherter Wahrheiten. Fakes statt Fakten.
Leben wir in einem postfaktischen Zeitalter? Postfaktisch wurde zum Wort des Jahres 2016 gewählt. Nicht zufällig ist das Thema Klimawandel dafür ein Schlachtfeld. Wo endet die Zone gesicherter Erkenntnisse und sachlich gestützter Prognosen und wo beginnt das Reich unseriöser Meinungsmache? Hans-Joachim Schellnhuber, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung:
"In einem Artikel einer großen deutschen Tageszeitung begann der Autor mit dem Satz: Seit eineinhalb Jahrzehnten hat sich die Erde nicht mehr weiter erwärmt. Dann reibt man sich erst einmal die Augen. Sie hat sich sehr wohl erwärmt. Das ist so, wie wenn man beginnen würde: Bekanntlich ist die Erde flach und deswegen sollten wir gar nicht über Raumfahrt nachdenken. Nein, auf Schritt und Tritt stolpern wir gewissermaßen über Fake News, alternative facts. In der Klimaforschung ist das seit 10, 15 Jahren eine ständige Belästigung, eine große Behinderung."
Duch Zweifel versucht man, Verantwortung wegzuschieben
Dirk Messner zieht beim Streit um den Klimawandel eine Parallele zu bedeutenden Veränderungen im Weltbild. So wie Kopernikus, dessen heliozentrisches Weltbild die Erde aus dem Mittelpunkt stieß, so wie Darwin, der dem Menschen die Krone der Schöpfung entriss, so sei auch die Vorstellung eines von Menschen gemachten Klimawandels eine für Zeitgenossen schwer erträgliche Zumutung:
"Wenn das stimmt, dass die Art und Weise, wie wir produzieren und konsumieren, über die nächsten 30, 40 Jahre die menschliche Zivilisation über die nächsten 200 bis 400 Jahre in eine sehr schwierige Lage bringen kann, dann ist damit ja Erdsystemverantwortung verbunden, der wir gerecht werden müssten. Und diese Verantwortung kann man wegschieben, wenn man dieses neue Weltbild an sich bezweifelt."
Sich postfaktisch den gesicherten Erkenntnissen eines Klimawandels zu verweigern, hat also in Messners Sicht einen psychologischen Grund: So erspart es sich der Einzelne, seine Denk- und Verhaltensweisen, seinen etablierten Lebensstil infrage zu stellen. Schellnhuber wiederum lokalisiert das Problem des Postfaktischen in einer Kluft zwischen Wissenschaftlern und Meinungsmachern.
"Wenn man die Klimaproblematik, wie wir sie heute kennen und auch gut verstehen, betrachtet, dann gibt es die 97, 98 Prozent der Experten, die sich völlig einig sind: Ja, ein großes Problem, das menschengemacht ist, es gibt die und die Möglichkeit, das Problem zu entschärfen, da ist eigentlich der Konsens unter den Experten größer als in den allermeisten anderen wissenschaftlichen Themen.
Aber es gibt eine sehr aggressive Meinungsposition, die in den Medien vertreten wird, fast nicht in wissenschaftlichen Artikeln, die aber in den Augen der Öffentlichkeit mindestens so stark wahrgenommen wird wie die der Experten in diesem Fall."
Und hier gebe es eine Diskreditierung von Wissenschaft, so Schellnhuber, die mit neuen sprachlichen Mitteln agiert, mit bestimmten abqualifizierenden Begriffen.
"Zum Beispiel Alarmismus. Dieser Begriff hat sich in den wissenschaftlichen Diskurs eingeschlichen. Man nennt das seepage im Englischen: Ein Einsickern von Kampfbegriffen, die oft von interessengeleiteten Personen stammen, dieses Einsickern, das letztendlich den wissenschaftlichen Diskurs vergiftet, kontaminiert, dysfunktional macht, das habe ich sehr häufig erlebt. Dass Kollegen, die ich durchaus schätze, plötzlich sagen, das war eine alarmistische Bemerkung. Das war aber einfach in einem Spektrum von möglichen Folgen einer Klimaveränderung die negativste, also der worst case sozusagen, der genauso dazu gehört wie der best case – das wurde als alarmistisch von einem Kollegen eingestuft."
Lüge als Mittel der Politik
Dass Menschen sich mit allen Mitteln gegen unbequeme Einsichten sträuben, oder dass man gefühlten Wahrheiten mehr folgt als harten Fakten, das alles sei doch immer schon so gewesen. Gibt es also gar keinen wirklichen Grund von einer postfaktischen Gesellschaft zu sprechen?
"Das was neu ist, aber nicht in der Gesellschaft, sondern in der Politik einer Administration, ist, dass die Lüge in demokratischen Gesellschaften - in totalitären Gesellschaften haben wir das immer gehabt, - systematisch als Mittel der Politik eingesetzt wird."
Claus Leggewie, Politikwissenschaftler, Direktor des Kulturwissenschaftlichen Instituts in Essen.
"Nehmen Sie die Lügenhaftigkeit eines Programms, das in Großbritannien zum Brexit geführt hat ... Man hat Propaganda gemacht im Blick auf die Notwendigkeit eines Austritts aus der Europäischen Union mit Daten, die nachweislich falsch waren. Und dann hinterher hat man gesagt 'Ach - wir haben uns geirrt'."
Informationen kritisch hinterfragen
Leggewie begrenzt also das Phänomen postfaktisch auf das Feld des Politischen, auf eine neuartige Bemächtigung von Wahrheit – nach der Logik: Da Donald Trump Präsident ist, gibt es keinen Klimawandel. Anders gesagt: Nicht Fakten, sondern politische Macht bestimmt darüber, was wahr und was falsch ist. Dieser postfaktischen Versuchung von Demokratie gilt es entgegenzutreten – mit den Mitteln der Aufklärung. Deren Stachel heißt Zweifel.
"Das Publikum muss Informationen, denen es ausgesetzt ist, per sie kritisch gegenübertreten. Also erst einmal nichts glauben, also erst einmal den ungläubigen Thomas machen, und dann tatsächlich sich fragen: Was ist dran an einer Meldung, habe ich eine zweite Quelle dafür? ... Das muss meines Erachtens auch die erste Ethik des journalistischen Gewerbes wieder sein, dass man erst dann Dinge als bestätigte Tatsache in die Welt setzt, wenn man dafür eine hohe Evidenz hat."