Daniel Heinrich: Am Telefon bin ich verbunden mit Klaus-Peter Schöppner, jahrelang Chef von Emnid, nun Geschäftsführer des Meinungsforschungsinstituts MenteFactum. Herr Schöppner, gibt es eigentlich eine Alternative zu Angela Merkel?
Klaus-Peter Schöppner: Nein. Es gibt weder in der CDU, noch in sozusagen als Kanzlerkandidat bei den konkurrierenden Parteien eine Alternative. Wir haben ja heute gesehen, dass sämtliche wichtige Personen innerhalb der CDU hinter ihr stehen. Wir haben gesehen, dass die SPD im Prinzip keine Alternative hat. Die Einzige wäre möglicherweise der CSU-Kandidat Horst Seehofer, aber das ist schon etwas weit gedacht.
Heinrich: Wie hoch wären denn die Zustimmungsraten für Frau Merkel, wenn es diese "Flüchtlingskrise" nicht gegeben hätte?
"Sie hat sozusagen ihren wichtigsten Bestimmungspunkt verloren"
Schöppner: Ja, sie wäre natürlich deutlich höher. Wir müssen feststellen, dass es bei Angela Merkel in der Sicht der Bürger einen großen Paradigmenwechsel gegeben hat, und das ist ihr Problem. Angela Merkel stand ja die bisherigen elf Jahre ihrer Kanzlerschaft für Sicherheit. Sie hat die Bankenkrise ziemlich gut gemeistert, es hat keine Terroraktionen, Anschläge in Deutschland gegeben, nicht so wie in Spanien, wie in Moskau, wie in London, wie in Paris. Die Wirtschaft hat sich ziemlich positiv entwickelt, es gibt einen inneren Frieden in Deutschland. Das heißt, sie steht für Sicherheit. Und plötzlich in der Asylantenfrage steht sie für Unsicherheit, steht sie für Angst. Sie steht also dafür, dass wir uns nicht mehr sicher fühlen in vielen Bereichen, und das ist das große Problem, was Angela Merkel hat. Sie hat sozusagen ihren wichtigsten Bestimmungspunkt verloren.
Heinrich: Lassen Sie uns mal nach Berlin blicken. Die Berliner Erklärung haben die Unions-Innenminister verabschiedet. Das Burkaverbot war dort das Schlagwort. Nach Jahren der Sozialdemokratisierung, ist das die AfDisierung der Union?
Schöppner: Na, das ist schon ein bisschen weit hergeholt. Aber es ist natürlich auffällig, dass sich Angela Merkel in diesen Streitpunkten überall zurückhält. Es ist nicht ganz zu verstehen, wieso sie zum Beispiel vor einem Jahr die Grenzen geöffnet hat und relativ wenig reagiert hat, als die Flüchtlinge sich vor Mazedonien in Griechenland wiederfanden. Das Problem was sie hat, ist, dass sie nicht aktiv an der Flüchtlingskrise beteiligt ist, sondern das verlagert ist und andere wie zum Beispiel die Türken dafür zuständig sind. Im Schlepptau gibt es natürlich andere Politiker, die jetzt hier reüssieren, andere politische Strategien, die natürlich greifen müssen, weil die Konkurrenz so groß ist und weil sie natürlich merkt und weil die CDU merkt, dass in vielen Bereichen ein weiter Teil der Bevölkerung nicht mehr hinter ihr steht. Aber eine AfDisierung, das ist mir ein bisschen weit gesprochen.
Heinrich: Lorenz Caffier ist ganz vorne mit dabei bei den Politikern, die Sie gerade angesprochen haben. Er ist der Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern. Da stehen am Wochenende Wahlen an. Die AfD könnte als zweitstärkste Kraft die CDU ablösen. Wie viel Schuld hat denn Angela Merkel am Erfolg der AfD?
"Die CDU hat ein ziemlich großes Nichtwählerproblem"
Schöppner: Soweit sind wir nicht. Nach den letzten Zahlen, vor zwei, drei Monaten stand die CDU in Mecklenburg-Vorpommern sogar noch als stärkste Partei da. Jetzt liegt sie nur knapp hinter der SPD. Aber was richtig ist, ist, dass die AfD - ähnlich Sachsen-Anhalt - ein gutes Ergebnis dort erzielen wird, und dies ist mittelbar eine Schuld von Angela Merkel. Das ganze Flüchtlingsproblem hat einen Trend der letzten Zeit eigentlich nur noch fokussiert und verstärkt. Der Trend, den wir hatten, ist auch der, dass die CDU derzeit ein ziemlich großes Nichtwählerproblem hat. Das hat sie nicht nur durch ihre Position der Flüchtlingskrise, sondern schon vorher, da sie es einfach versäumt hat, den kleinen Bürger, den redlichen Bürger, denjenigen, der noch gerade an der Schwelle zur Lebensangst steht, mitzunehmen, also derjenige, für den die Politik wenig tut. Die Politik setzt dann ein, wenn sie deviantes Verhalten versuchen muss zu verbessern, wenn soziale Dinge in starker Weise dort verbessert werden müssen. Aber für den kleinen redlichen Bürger hat sie keinen Spielraum. Nehmen Sie das Beispiel kalte Progression. Und diese, die plötzlich feststellen, dass dieser Staat doch Geld hat, dass dieser Staat doch 20 Milliarden für die Flüchtlinge hat.
Heinrich: Müssen wir uns deswegen an Mehr-Parteien-Bündnisse gegen Rechtspopulisten gewöhnen?
Schöppner: Wir müssen davon ausgehen, dass sich die gültigen Stimmen natürlich auf mehrere Parteien, und zwar im Bereich über fünf Prozent verteilen. Und das heißt, dass wahrscheinlich bundesweit nur noch die Große Koalition in Frage kommt, in anderen Bundesländern - wir haben es gesehen - ja schon überhaupt nicht mehr. Also wir müssen uns schon auf eine Regierung einstellen, die eigentlich nur noch den kleinsten gemeinsamen Nenner sucht, und das ist für ein Land, für ein Bundesland alles andere als gut.
Heinrich: Die Deutschen blicken ja in der Politik gerne in die Vergangenheit. Kommen die 30er-Jahre zurück?
"Möglicherweise kriegt sie so was wie eine zweite Chance"
Schöppner: Das ist die Frage. In den 30er-Jahren hat kaum einer gelebt von denen, die jetzt leben. Das ist etwas weit hergeholt. Aber wir kriegen ein Viel-Parteien-System und wir bekommen natürlich den Ruf nach jemand, der möglicherweise als starker Mann uns aus einer etwas prekären Lage holt. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir eine Situation haben, wo mittlerweile wir Klassenunterschiede in der Gesellschaft ja gar nicht mehr haben, dadurch, dass mittlerweile überall die gleichen Rechte für alle Bevölkerungsteile existieren, und in dieser Situation ist möglicherweise derjenige, der sehr populistisch, mit Charisma, stark und bestimmt auftritt, eine bestimmende Persönlichkeit. Das hat auf angenehme Weise Angela Merkel bislang verstanden. Möglicherweise schafft sie jetzt in einer Situation, wo die Integration besser klappt, als das bislang der Fall ist, wo weniger, deutlich weniger Flüchtlinge nach Deutschland kommen, kriegt sie so was wie eine, das klingt jetzt ein bisschen komisch, aber ich würde mal sagen, zweite Chance.
Heinrich: Herr Schöppner, kurz zum Schluss. Wir schlagen den Bogen zurück zum Anfang. Sehen Sie einen starken Mann irgendwo in Deutschland?
Schöppner: Nein. Deutschland ist auch nicht derzeit das Land, und auch nach dem Krieg nicht gewesen, das einen starken Mann fordert. Was wir allerdings sehen ist, dass jemand, der dezidierte klare Aussagen hat wie Horst Seehofer, der aufgrund der Position der CSU es natürlich schwer hat im Bundesgebiet, aber aufholt und Anhänger gewinnt und dessen Positionen deutlich ernster genommen werden. Das würde ich aber nicht als starker Mann titulieren, sondern als jemand, der für bestimmte Bevölkerungsschichten besonders gut das Ohr am Bürger, am Wähler hat.
Heinrich: Der Meinungsforscher Klaus-Peter Schöppner.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.