Archiv

Meinungsforscher vor SPD-Parteitag
"Die SPD hat sich bisher noch nie in der Opposition regeneriert"

SPD-Parteichef Martin Schulz befindet sich laut Forsa-Chef Manfred Güllner vor dem Parteitag in einer schwierigen Lage: Denn für eine Neuauflage einer Großen Koalition gebe es in der Partei keine Mehrheit, sagte er im Dlf. Aber auch der Gang in die Opposition würde der SPD nicht helfen.

Manfred Güllner im Gespräch mit Christine Heuer |
    Der Forsa-Geschäftsführer Manfred Güllner
    Der Forsa-Geschäftsführer Manfred Güllner glaubt nicht, wie mancher andere meint, dass die SPD etwas vom Oppositionsdasein hätte. Die Parteispitze müsse klarmachen, "dass die Große Koalition nicht so schlecht ist, wie sie von der SPD gemacht worden ist". (picture alliance / dpa / Bernd Von Jutrczenka)
    Christine Heuer: Ach, wäre Opposition schön gewesen – die Sozialdemokraten, endlich nicht mehr in der Regierung, hätten ihre Politik eins zu eins im Bundestag vertreten können, als größte Oppositionspartei noch dazu. Vier Jahre Zeit, sich wieder zu profilieren und bei der nächsten Bundestagswahl dann vielleicht wieder deutlich zuzulegen. Hätte, hätte, Fahrradkette. Oder doch nicht? – Heute beginnt in Berlin ein SPD-Parteitag, bei dem es mächtig Zoff geben dürfte, denn sehr viele Sozialdemokraten wollen ihrer Parteispitze nicht in Gespräche mit der Union folgen.
    Über die Lage der SPD vor ihrem wichtigen Parteitag habe ich gestern mit Manfred Güllner sprechen können, Geschäftsführer beim Meinungsforschungsinstitut Forsa, und ich habe ihn zuerst gefragt, wer denn die Nase vorn hat an der SPD-Basis, die GroKo-Jasager oder diejenigen, die auf gar keinen Fall mit der Union regieren wollen?
    Manfred Güllner: Im Augenblick ist es so, dass bei den SPD-Mitgliedern – und das haben wir in der Tat untersucht gehabt – eine Minderheit für die Große Koalition ist. Das sind knapp 40 Prozent. Die meisten sagen, wir müssen jetzt eine Minderheitsregierung tolerieren, und nur eine ganz kleine Gruppe ist für Neuwahlen.
    Heuer: Was müsste die SPD tun, die SPD-Spitze beim Parteitag, um eine Mehrheit zu organisieren?
    Güllner: Ich denke, sie muss klarmachen, dass die Große Koalition nicht so schlecht ist, wie sie von der SPD gemacht worden ist, auch nicht der Grund dafür ist, dass sie verloren hat bei den letzten Bundestagswahlen, und dass es wichtig ist, dass Deutschland eine doch regierungsfähige Regierung hat, und da muss die SPD aus Staatsräson sich beteiligen.
    "Nicht wieder diese schwere Entscheidung"
    Heuer: Was sind die wichtigsten Gründe der SPD-Mitglieder, die gegen eine Neuauflage dieser Koalition sind, die abzulehnen?
    Güllner: Das ist zunächst einmal der Frust darüber, dass man wieder so schlecht abgeschnitten hat. Das ist der Reflex auf die Erklärungen der SPD, die ja schon 2009 der Großen Koalition die Schuld gegeben hat, dass man damals nur auf 23 Prozent gekommen ist, jetzt wieder der Großen Koalition die Schuld gibt und Frau Merkel, und das schlägt sich natürlich auch bei den SPD-Mitgliedern nieder, die daran glauben, weil sie ja eher fremde Einflüsse verantwortlich machen wollen als die SPD selbst.
    Heuer: Wenn die SPD sich jetzt bereit erklärt, mit der Union zu sprechen, vielleicht sogar irgendwann dann in Koalitionsverhandlungen einzutreten, wie kommt das dann beim Wähler an?
    Güllner: Die Wähler haben ja am 24. September entschieden und das ist eine schwere Entscheidung, weil man ja 100 Prozent einer Partei das Kreuz geben muss, obwohl man nicht 100 Prozent mit einer Partei übereinstimmt. Deshalb wollen sie eigentlich gar nicht, dass sie wieder diese schwere Entscheidung treffen müssen, und möchten, dass es bald eine Regierung gibt. Deswegen hätten sie auch eine Jamaika-Koalition akzeptiert. Wenn sie sagen, rechnerisch ist nichts anderes möglich, weil die SPD sich verweigert, dann soll man halt das so machen, wie wir entschieden haben.
    Nachdem das gescheitert ist, sagen sie jetzt, na gut, dann muss eben die SPD wieder ran. Sie erwarten das eigentlich von der SPD, dass sie Verantwortung übernimmt und dass sie dafür sorgt, dass Deutschland wieder regiert wird.
    Heuer: Nun will die SPD eigentlich ja am liebsten in die Opposition, um sich auch wieder besser zu profilieren und von diesen 20 Prozent wegzukommen und wieder mehr Wählerstimmen zu gewinnen. Ist es so, dass dieses Kalkül aufgehen würde, oder verliert die SPD, wenn sie in die Opposition geht, in der jetzigen Situation noch mehr Wähler?
    Güllner: Man kann ja mal zurückblicken, was der SPD passiert ist nach dem Sturz von Helmut Schmidt 1982, wo die SPD ja nicht ganz unschuldig war, dass Schmidt gemeuchelt wurde. Dann hat man 16 Jahre in der Opposition gesessen, war glücklich, weil man keine Verantwortung hatte, aber man hat auch keine Verantwortung bekommen – und das, obwohl die CDU ja in diesen 16 Jahren, wo Kohl Kanzler war, ein Drittel ihrer Wählersubstanz eingebüßt hat. Das wird ja auch in der Union nicht diskutiert. Die SPD hat alle Chancen gehabt, von dem sinkenden Vertrauen für die Union zu profitieren. Sie hat es aber nicht, weil sie in der Opposition sich eben nicht regeneriert hat.
    Und wenn man dann noch mal guckt auf die erste Große Koalition zwischen '66 und '69, da hat die SPD ja durch ihre Arbeit in der Großen Koalition gezeigt, dass sie regierungsfähig ist, und '69 zum ersten Mal nach 20 Jahren der CDU-Vorherrschaft einen Machtwechsel herbeigeführt und konnte den ersten sozialdemokratischen Kanzler seit 1949 stellen.
    Grüne und Union könnten bei Neuwahlen zulegen
    Heuer: Sie prognostizieren, der Gang in die Opposition würde der SPD gar nicht helfen?
    Güllner: Die SPD hat sich bisher noch nie in der Opposition regeneriert, weder auf Bundesebene, noch in irgendeinem Land, das ich kenne.
    Heuer: Wie steht Martin Schulz gerade da in der Beliebtheitsskala bei den Wählern?
    Güllner: Martin Schulz hat ja auch nach der Bundestagswahl keinen Deut an Zustimmung gewonnen. Bei allen Indikatoren, die wir haben, ob das die Kanzlerpräferenz ist, man fragt, für wen würdet ihr euch entscheiden, für Merkel oder Schulz, liegt Merkel unverändert ganz viele Punkte vor Schulz. Wenn man nach der politischen Kompetenz fragt – man traut Schulz nicht zu, dass er die Probleme, die er hin und wieder mal benennt, auch lösen könnte oder auch nur anpacken kann. Das Bild von Schulz ist nach der Wahl keinen Deut besser geworden als vor der Wahl.
    Heuer: Sie würden nicht empfehlen, mit Martin Schulz noch mal als Kanzlerkandidat in Neuwahlen zu gehen?
    Güllner: Ich glaube, viele verstehen nicht von den Wählern, warum jemand, der die SPD in ein so schlechtes Ergebnis geführt hat, auch durch eigene Fehler, durch eine mangelnde Strategie, durch die falschen Themen – denn das war von vornherein klar, dass die SPD mit dem Thema Gerechtigkeit auch diese Wahl nicht gewinnen kann, denn sie hat noch nie seit 1949 irgendeine Bundestagswahl mit dem Thema soziale Gerechtigkeit oder Umverteilung gewonnen -, man versteht nicht, warum er dann nicht die Konsequenzen zieht und, wenn man von einem Neuanfang spricht, von einer Neuorientierung, dann auch selbst hier Platz macht für jemand, der das vielleicht schaffen könnte.
    Heuer: Wenn von Neuwahlen die Rede ist, die ja nach wie vor nicht ausgeschlossen sind, dann heißt es immer so schnell, das würde ja gar nichts ändern, die würden genauso ausgehen wie die letzte Bundestagswahl. Stimmt das eigentlich? Wie sicher ist denn das?
    Güllner: Die Konturen würden sich bei Neuwahlen sicherlich nicht ganz fundamental unterscheiden. Nur was wir sehen ist im Augenblick, dass die FDP schwächer würde durch den abrupten Abbruch der Jamaika-Verhandlungen, und vor allen Dingen deshalb, weil die mittelständischen Wähler, die die FDP gewählt haben, ja gehofft haben, die FDP kann die Interessen des Mittelstandes in eine Regierung einbringen. In der Opposition ist die FDP nichts wert. Also gehen diese mittelständischen Wähler wieder zur Union zurück. Die Union hätte Chancen, stärker zu werden als am 24. September.
    Die SPD wird auf keinen Fall stärker, könnte eher sogar noch etwas verlieren. Die Grünen, deren Verhandlungsstrategie offenbar gut angekommen ist bei einem Teil der Wähler, haben Chancen, besser abzuschneiden. Und bei der AfD sieht es im Augenblick eher so aus, als ob sie ihr Ergebnis nicht halten können. Es gibt durchaus Unterschiede, wenn heute gewählt werden würde, und das kann, je nachdem wann die Neuwahlen kommen, natürlich auch so aussehen, dass wir nicht exakt dasselbe Ergebnis kriegen wie am 24. September.
    Es könnte sogar für Schwarzgrün reichen
    Heuer: … und dass es dann vielleicht reichen würde für Schwarz-Grün, was ja denkbar gewesen ist.
    Güllner: Das ist sogar vorstellbar, wenn man mal simpel rechnet. Nach unseren Zahlen liegt die CDU/CSU jetzt zusammen bei 34 Prozent, die Grünen bei 13, und das könnte, je nachdem wie stark noch die Splitterparteien werden, die nicht in den Bundestag einziehen, zu einer regierungsfähigen Mehrheit reichen. Das wäre nicht ausgeschlossen.
    Heuer: Manfred Güllner vom Meinungsforschungsinstitut Forsa im Gespräch mit dem Deutschlandfunk.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.