Martin Zagatta: In Umfragen hat der Wechsel an der SPD-Spitze noch nicht viel gebracht. Ganz im Gegenteil, die Sozialdemokraten verlieren weiter an Zustimmung, seit Martin Schulz von Andrea Nahles abgelöst worden ist. Die neue SPD-Vorsitzende ist heute genau 100 Tage im Amt. Gudula Geuther zieht Bilanz.
Kann Andrea Nahles den Bedeutungsverlust der SPD stoppen? Das kann ich jetzt den Meinungsforscher Klaus-Peter Schöppner fragen. Er war lange Jahre Chef von EMNID und ist jetzt Geschäftsführer des Instituts Mente Factum. Guten Tag, Herr Schöppner!
Klaus-Peter Schöppner: Hallo, grüße Sie, Tag, Herr Zagatta!
Zagatta: Andrea Nahles hat Martin Schulz abgelöst, nachdem der bei der Bundestagswahl katastrophale 20,5 Prozent der Stimmen nur eingefahren hat. Jetzt steht die SPD bei um die 18 Prozent, und man hört eigentlich gar keine so großen Klagen aus der SPD. Herr Schöppner, ist das schon Resignation?
Schöppner: Na ja, das Problem ist, man hört im Prinzip nichts. Man weiß überhaupt nicht, wohin geht die Reise. Die SPD taucht in der politischen Diskussion nicht wirklich auf, und das ist schon ein Problem. Allerdings dürfen wir ja nicht vergessen, mit was für einer Hypothek Andrea Nahles gestartet ist, 66 Prozent Zustimmung. Okay, aber zum damaligen Zeitpunkt waren gerade mal 31 Prozent der Deutschen und knapp über 50 Prozent der Genossen hatten den Eindruck, dass sie am besten für das Amt des Parteichefs geeignet ist. Damals stand Gabriel noch weit vorn. Derzeit ist sie im Politikerranking auf Rang neun der zehn wichtigsten Aufgaben. Das ist ihr großes Problem, das muss sie ändern, und das schafft sie derart und derzeit nicht.
"Es gibt eine klar veränderte Wählerstruktur"
Zagatta: Also liegen die schwachen Umfragewerte, liegen die jetzt an Nahles oder liegen die an der SPD?
Schöppner: Nein, sie liegen grundsätzlich erst mal an der SPD, aber natürlich mittelbar auch an Andrea Nahles, weil sie es nicht schafft, dort irgendwo eine Veränderung hinzubekommen. Und sie liegen auch derzeit daran, dass es einen Widerspruch gibt. Denn 18 Prozent der SPD sind ja andere Wähler als damals noch 30 Prozent. Also, es gibt eine klar veränderte Wählerstruktur.
Viele wollen im Prinzip nicht regieren, die wollen die klare Kante in der Opposition. Sie können mit dem Regieren in der politischen Mitte wenig anfangen. Es gibt da einen Linksdrall, sodass viele so eine Art vereinigte Linke wollen. Und auf der einen Seite diese Genossen zu befrieden und auf der anderen Seite eine gute Regierung im Bereich der politischen Mitte abzuliefern, das ist das große Problem, vor dem die SPD steht. Da hat sie keine Politiker, da hat sie keine Themen, und da muss sie sich ändern.
"Man will, will, will – aber man tut es nicht"
Zagatta: Aber da hat sich die SPD ja, also zumindest ihre Vorsitzende jetzt ganz klar positioniert. Frau Nahles hat ja jetzt gesagt, man will sich eindeutig, oder gefordert, sich eindeutig von den Grünen abzugrenzen, etwa in der Asylpolitik. Ist das kein Kurs, dem Sie eine Zukunft geben?
Schöppner: Man will, will, will – aber man tut es nicht. Es gibt da einige Probleme, die völlig ungelöst sind. Denn wissen Sie, was die Flüchtlingspolitik ist, die die Sozialdemokraten oder Andrea Nahles wollen? Es gibt eine Reihe von Themen, die dort ganz dringend warten, nämlich das Thema der Arbeiterpartei, wie wird eine neue Arbeit definiert, was gibt es für Veränderungen und wie muss sich ein Land drauf einstellen? Es gibt also genügend Themen, die eigentlich von der SPD, von Andrea Nahles aufgenommen werden können und wo die Wähler händeringend drauf warten, und nichts passiert.
Zagatta: Aber wie könnte sich da die SPD erfolgreich überhaupt positionieren. Da sind auf der einen Seite die Grünen, und auf der anderen Seite, wenn sie da eine Politik betreibt, was Sie jetzt auch angesprochen haben, da ist ja da schon eigentlich die Union von Angela Merkel.
Schöppner: Ja, der Anteil der potenziellen SPD-Wähler wird immer geringer. Und wenn Sie dann mal fragen, was soll denn diese SPD überhaupt tun, dann gibt es erst mal ein ganz großes Bedürfnis nach Befriedigung der Wählerbedürfnisse, einfach mal das Herz fragen, einfach mal feststellen, was wollen die Wähler denn wirklich in der politischen linken Mitte. Und das, habe ich das Gefühl, dass das die SPD nicht klar hinbekommt. Es gibt da eine große Unsicherheit im Bereich dieser, gerade auch durch das Flüchtlingsproblem, wo viele im Bereich der Verunsicherten fragen, wo bleibe ich. Dort gibt es keine Antwort. Dann fragen die Bürger oder empfehlen die Bürger, die richtigen Themen zu setzen. Da hat man aber das Problem, dass SPD-Politik derzeit mehr Trial and Error ist, also ich versuche mal, ein paar Luftballons in die Luft zu treiben, mal gucken, was passiert. Dabei ist die Klimafrage ein ganz wichtiges Thema – relativ wenig gehört. Das Thema Zweiklassenmedizin ließe sich instrumentalisieren. Härtere Zuwandererpolitik, mit vielen Genossen im Prinzip nicht zu machen. Stattdessen wollen sie Hartz IV abschaffen, und das ist gerade nicht das, was die SPD-Wähler wollen.
Zagatta: Wieso profitiert die SPD eigentlich nicht von diesem ja so heftig ausgetragenen Streit in der Union um Horst Seehofer? Das müsste ihr doch eigentlich Wähler zutreiben.
Schöppner: Das müsste ihr Wähler zutreiben, wenn sie eine klare Linie hätte. Sie ist aber im Prinzip nicht die Partei, die verlässlich ist, die realitätsnah, die pragmatisch ist. Das ist also eher die Union. Die SPD leidet darunter, dass die ganze Personaldecke neu aufgestellt werden muss. Da weiß man also nicht was passiert. Die SPD leidet darunter, dass man im Prinzip die Themen derzeit nicht besetzt hat und erst mal eigentlich nicht Klartext redet. Der einzige, der wirklich etwas sagt, ist der Bundesaußenminister Heiko Maas, der deutlich pointierter wird. Aber das reicht derzeit überhaupt nicht.
Zagatta: Im Moment hält die Partei da mit Kritik an Nahles noch sehr zurück. Was passiert, wenn die, und danach sieht es ja aus, die Landtagswahlen in Bayern jetzt wieder anstehen, wenn die relativ schlecht verlaufen für die SPD.
Schöppner: Politik ist ja immer ein Wettbewerb der verschiedenen Optionen, und da fragt man sich schon, wo bleibt denn die Option der SPD? Denn die Personaldecke war ja nie dünner, als sie derzeit ist. Also, insofern soll man nicht das Ganze zu schwarz malen. Es gibt schon erste Ansätze, das muss man durchaus konstatieren, die ja also versucht, eine offene Diskussion anzustreben, die sich nicht mehr länger, und das war ja auch einer der Schwachpunkte von Sigmar Gabriel, leiten lassen will nach dem Motto "Sigi, sag du, was wir machen sollen", sondern sie versucht ja jetzt, durch Veranstaltungen, wo Parteimitglieder befragt werden, wo nach Wünschen, nach Sorgen gefragt wird, also durchaus die Parteibasis wieder zurückzugewinnen. Und was sie dann braucht, ist irgendwo eine Initialzündung für ihren Optimismus. Dass also irgendwo das Ganze nicht hoffnungslos erscheint. Möglicherweise ein relativ gutes Ergebnis bei einer Wahl. Aber da sind die Wähler derzeit absolut nicht optimistisch, denn wenn wir sie fragen, wird die SPD in absehbarer Zeit wieder so an der 30-Prozentmarke kratzen können, dann sagt gerade einmal jeder Vierte, das ist im Bereich des Möglichen. Und bei den Jungen ist das fast noch schlimmer ausgeprägt, der Optimismus.
Also insofern gibt es eigentlich nur zwei Dinge, auf die die SPD derzeit zählen kann. Das eine ist der alte Politikerspruch "What goes down, must come up", also "irgendwann wird es schon wieder aufwärtsgehen". Und dann darf man nicht vergessen, dass, da Politik nach dem Prinzip der kommunizierenden Röhren ja läuft, also wenn eine Partei relativ schlecht dasteht, dann müssen sich die Stimmen ja woanders, möglicherweise dann bei der SPD wiederfinden. Und dieses Thema Asyl und der CDU/CSU, das Sie ansprachen, das ist nicht insofern bei der SPD gelandet, weil sie keine Alternativen haben und weil die Wähler im Prinzip sehen, dass zumindest die CDU und CSU darum kämpfen um den richtigen Weg, dass sie hier was tun, dass hier irgendwas passiert, und das Gefühl hat man bei der SPD derzeit leider nicht wirklich.
"Wer so stürzt, der soll klein anfangen"
Zagatta: Stichwort Hoffnung oder Hoffnungslosigkeit – wie wird das jetzt ankommen, ich hab gelesen oder wir haben gelesen, Martin Schulz, der ja der große Wahlverlierer war, der dann von der SPD ganz schnell abserviert wurde, der wolle jetzt ernsthaft wieder oder spiele mit dem Gedanken, EU-Kommissar zu werden. Ist so was den Wählern zu vermitteln?
Schöppner: Nein, das ist eine Nummer zu hoch. Wer so stürzt, der soll klein anfangen. Dass Martin Schulz in Europa gut aufgehoben ist, ich glaube, darüber gibt es keinen Disput. Dass Martin Schulz nicht bis zum Ende aller Tage apolitisch bleiben sollte, ich glaube, darüber sind sich die Wähler auch einig. Dass er nach Europa gehen sollte, ist richtig. Aber ein bisschen Demut vor den Ergebnissen, ein bisschen Demut vor dem Amt wäre schon ganz gut. Also erst mal als möglicherweise sehr kompetenter Europaabgeordneter. Und was dann passiert – time will show.
"Schwer vorstellbar, dass in drei Jahren eine Kanzlerin Andrea Nahles heißen wird"
Zagatta: Und die nächste Bundestagswahl ist noch weit hin, aber weil Andrea Nahles heute da hundert Tage im Amt ist, schon mal die Frage, können Sie sich Andrea Nahles als Kanzlerkandidatin vorstellen? Wäre das zu vermitteln, oder wäre da – für viele ist sie ja so eine Krawallschachtel – wäre da eine Katastrophe schon vorprogrammiert?
Schöppner: Auf der einen Seite, Sie sagen es, gilt sie bei vielen als nicht seriös genug. Auf der anderen Seite muss man natürlich sagen, dass sie in der Koalition möglicherweise noch die Verlässlichste ist, die Realitätsnächste, die relativ pragmatisch die Probleme angeht. Sie ist von daher nicht für das Parteiamt, aber doch mehr für ein Regierungsamt, glaube ich, geeignet.
Und was in drei Jahren passiert, das hängt natürlich auch am Gegenkandidaten. Derzeit ist es allerdings, da haben Sie völlig recht, nur sehr schwer vorstellbar, dass in drei Jahren eine Kanzlerin Andrea Nahles heißen wird.
Zagatta: Der Meinungsforscher Klaus-Peter Schöppner, der Geschäftsführer des Instituts Mente Factum. Herr Schöppner, Danke für das Gespräch!
Schöppner: Ich bedanke mich bei Ihnen, schönen Tag noch!
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