Archiv

Meinungsforscher zur Bayernwahl
"Die Wähler schwimmen"

Die Unklarheit und das Vage seien bei einer Wahl noch nie so stark gewesen wie jetzt in Bayern, sagte der Meinungsforscher Klaus-Peter Schöppner im Dlf. Die SPD habe kein Thema und die CSU irritiere die Wähler durch zahlreiche Streits mit Berlin und innerhalb der Partei.

Klaus-Peter Schöppner im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann |
    Plakate der Parteien zur bayerischen Landtagswahl in Traunstein
    Plakate der Parteien zur bayerischen Landtagswahl in Traunstein (dpa / picture alliance / Ralph Goldmann)
    Dirk-Oliver Heckmann: In zwei Tagen ist es soweit: Dann sind die Wahlberechtigten in Bayern aufgerufen, ihre Stimme abzugeben. Die Landtagswahl findet höchste bundesweite Aufmerksamkeit, denn in Bayern ist die absolute Mehrheit für die CSU schon lange kein Naturgesetz mehr. Im Gegenteil: Nach jüngsten Umfragen stehen die Christ-Sozialen bei 33, 34 Prozent. Aber der SPD geht es nicht besser. Sie verzeichnete bei einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Insa im Auftrag der "Bild"-Zeitung zuletzt zehn Prozent und würde, wenn das tatsächliche Ergebnis dem nahekommt, nach CSU, Grünen, AfD und Freien Wählern gerade mal als Fünfter ins Ziel kommen.
    Wir können jetzt darüber sprechen mit dem Demoskopen Klaus-Peter Schöppner vom Meinungsforschungsinstitut mentefactum. Schönen guten Morgen, Herr Schöppner!
    Klaus-Peter Schöppner: Schönen guten frühen Morgen.
    Heckmann: Für wen wäre es das größere Waterloo?
    Schöppner: Natürlich für die Partei, die seit Jahrzehnten so unangefochten an der Spitze ist: für die CSU. Denn das kommt natürlich ein bisschen überraschend, aber für die Demoskopen ist die Wahl spannend und völlig eigenartig zugleich, und das Einmalige an dieser Wahl ist, dass wir es hier mit einer Partei zu tun haben, die weiterhin unglaublich hohe Kompetenz in fast allen wichtigen politischen Fragen aufweist und auf der anderen Seite dann so abgestraft wird, weil sie im Prinzip die Emotionalisierung der Wähler nicht richtig mitgemacht hat.
    Zuviel Streit in der CSU
    Heckmann: Nicht richtig mitgemacht hat. Was ist der Grund dafür, dass die Umfragewerte für die CSU so desaströs sind?
    Schöppner: Es geht im Prinzip um die Frage, was entscheidet letztendlich die Wahl, Stil oder Kompetenz, ist es die bessere Politik, oder wollen die Wähler der CSU einen Denkzettel geben. Was entscheidend ist, ist: Es gibt eine alte Demoskopenregel und die heißt: Zwist ist Mist. Da trifft es die CSU gleich dreimal. Sie hat ja einmal den Koalitionsstreit mit dem Koalitionspartner CDU, dann den Koalitionsstreit insgesamt, was die Regierung anbelangt, und letztendlich noch den Streit innerhalb der CSU. Und dreimal Streit heißt, dass nur noch diese Zwistigkeiten in das Erleben beziehungsweise in die Vorstellung der Wähler gelangen und überhaupt nicht mehr über die Politik, über Inhalte geredet wird. Interessant zum Beispiel, dass Seehofers Position, was die Flüchtlings- und Asylantenfrage anbelangt, bei zwei Dritteln bundesweit und natürlich auch in Bayern auf Zustimmung trifft, und trotzdem ist er ein Politiker, der derzeit am unteren Ende der Rangreihe steht.
    Heckmann: Horst Seehofer und Markus Söder haben sich jetzt schon vor der Wahl gegenseitig für die Lage verantwortlich gemacht. Söder spricht von den schlimmen Verhältnissen in Berlin und Seehofer sagt, er habe mit dem Wahlkampf in Bayern nichts zu tun, das sei Söders Angelegenheit. Wer trägt mehr Verantwortung für die Lage der CSU?
    Schöppner: Beide. Es ist allerdings so, dass die Wähler in Bayern derzeit eher die Verantwortlichkeit für mögliche CSU-Verluste der Bundespolitik zuschieben und weniger der Lage im Bundesland Bayern. Der Streit mit Merkel, der Streit innerhalb der CSU, das alles ist etwas, was überhaupt nicht ankommt, und insofern sagen die Wähler schon, dass Seehofer als Parteivorsitzender sich natürlich nicht aus der Verantwortung nehmen kann und dass die Schuld schon eher beim CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer gelagert ist.
    "Seehofers Stuhl als Parteivorsitzender wackelt"
    Heckmann: Das heißt, Seehofers Stuhl wackelt ganz gehörig und Söder sitzt einigermaßen fest im Sattel?
    Schöppner: Na ja, Seehofers Stuhl als Parteivorsitzender. Er wird insgesamt, was seine Arbeit als Innenminister anbelangt, nicht unbedingt stark kritisiert. Ich glaube, dass klammheimlich viele Wähler auf seiner Seite sind und froh sind, dass einer versucht, mit etwas härterer Hand als Gegengewicht in der Flüchtlings- und Asylantenfrage zu agieren. Meine Vorstellung ist, dass er durchaus Chancen hat, als Innenminister weiter zu fungieren, dass es allerdings für ihn als Parteivorsitzenden schwierig wird.
    Heckmann: Wird es Markus Söder gelingen, die Schuld direkt auf Seehofer zu schieben?
    Schöppner: Es ist wie gesagt ein Faktorenbündel. Es ist Seehofer, es ist im Prinzip die geringe Rückendeckung, die aus Berlin kommt, denn wir haben ja, wenn wir davon ausgehen, dass die CDU/CSU bundesweit vielleicht 28 Prozent der Stimmen bekommen würde, ja alles andere als Rückenwind. Das ist ein Gegenorkan, der auch aus Berlin nach Bayern kommt. Das wird nicht so einfach sein. Es ist auch Angela Merkel, es ist auch die Flüchtlingspolitik, es ist letztendlich auch der Politikstil, der immer noch in Bayern herrscht. Da spielen ganz viele Faktoren eine Rolle und eindeutig wird das Ganze sicherlich weder kommuniziert, noch zu klären sein.
    "Die SPD hat kein Thema"
    Heckmann: Wir müssen dringend auch natürlich über die Sozialdemokraten sprechen. Die stehen laut Umfragen jedenfalls (keine Prognosen, sondern Umfragen) bei 10 bis 13 Prozent. Weshalb kann die SPD nicht von der Schwäche der CSU profitieren?
    Schöppner: Sie hat kein Thema. Sie gerät zwischen die politischen Blöcke. Sie gerät gerade in den wichtigen Fragen außen vor und sie schafft es nicht, mit Aktionen wie zum Beispiel dem Versuch, das Rententhema zu thematisieren, ins Gespräch zu kommen. Sie gerät zwischen Blöcke, sie hat im Prinzip nicht die richtigen Politiker, die dort so auftreten, dass man ihnen gerne zuhört. Insofern ist es wirklich wahr, dass sie so was wie derzeit das fünfte Rad am Wagen sind: Kein Thema, keine Politik, letztendlich auch keine Kompetenz, und in der politischen Diskussion taucht, wie wir wissen, die SPD ja nur ausgesprochen am Rande auf.
    "Emotionalität auf der einen, Kompetenz auf der anderen Seite"
    Heckmann: Etwa die Hälfte der Wählerinnen und Wähler in Bayern soll angeblich noch unentschieden sein, jetzt zwei Tage vor der Wahl. Ist es da eigentlich seriös, überhaupt Umfragen in Umlauf zu bringen?
    Schöppner: Umfragen sind ja keine Prognosen. Umfragen sind ja eine Analyse der Jetzt-Zeit. Die Daten, die Sie gerade zitiert haben, stammen aus einer Zeit, die vielleicht zehn bis zwölf Tage vor der Wahl liegt. In dieser Situation, die wir jetzt haben, ist es besonders schwierig, weil wir noch nie so eine starke Emotionalisierung des Wahlkampfs gehabt haben, was ich anfangs schon sagte. Die Wähler schwimmen, die Wähler wissen nicht, was ist denn jetzt wirklich, was soll ich wählen, soll ich für die nächsten fünf Jahre die möglicherweise bessere Politik, die zwei Drittel der bayerischen Wähler der CSU attestieren, wählen, oder braucht diese Partei endlich mal einen Denkzettel, weil sie viele Fehler in der Kommunikation, in der Darstellung nach außen macht und im Prinzip möglicherweise am Zeitgeist vorbeischrammt, ist es der Stil, der mir nicht gefällt, soll ich das wählen, oder ist es letztendlich die Kompetenz. Ich glaube, dass die Unklarheit und das Vage noch nie bei einer Wahl so stark gewesen ist wie jetzt in Bayern. Wie gesagt: Emotionalität auf der einen Seite und Kompetenz auf der anderen Seite. Da fällt die Entscheidung wirklich schwer.
    Auch die Koalition könnte gefährdet sein
    Heckmann: Was heißt das für die Bundesebene? Es gab gestern einen neuen ARD-Deutschlandtrend. Union und SPD kämen demnach nur noch auf 41 Prozent insgesamt. Das ist der schlechteste Wert seit Bestehen des Deutschlandtrends.
    Schöppner: Ja, und ich glaube auch seit Bestehen der Bundesrepublik. Das heißt, dass es einen Orkan gibt für die Bayern-Wahl. Das heißt, dass diese Partei oder die beiden Parteien auf Gedeih und Verderb, was die SPD ja auch die ganze Zeit schon fordert, endlich mal ihre Zwistigkeiten bei Seite legen müssen, dass es jetzt wirklich darum geht, den Wählern deutlich zu machen, dass es Sachprobleme gibt, dass die abgearbeitet werden, dass das Thema Rente, dass das Thema Digitalisierung, dass das Thema Wohnen ganz oben ist und nicht das Verhältnis der Parteien untereinander. Wenn das nicht subito gelingt, dann sehe ich auch schwarz für den Fortbestand der Koalition, denn Sie wissen ja, dass es in der SPD schon seit längerem, nicht erst seit dieser Koalition Stimmen gibt, die sagen, macht Schluss damit, so geht es weder in Deutschland, noch in der SPD weiter.
    Heckmann: Darüber werden wir um 7:15 Uhr hier im Deutschlandfunk mit Hilde Mattheis reden, der Parteilinken der SPD. – Klaus-Peter Schöppner war das vom Meinungsforschungsinstitut mentefactum. Schönen Dank!
    Schöppner: Schönen Tag!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.