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Meinungsmache

Auf den "NachDenkSeiten" im Internet diskutieren zahlreiche Menschen über Bankenrettung, neoliberale Strategien und ökonomische Alternativen. Albrecht Müller, einer der Macher des Blogs, ist davon überzeugt, dass die klassischen Medien von Süddeutsche Zeitung über Polit-Talkshows bis zum Spiegel versagt hätten.

Von David Goeßmann |
    Heftige Diskussionen. Der Alpha-Journalist Hans-Ulrich Jörges vom Stern auf der einen, Albrecht Müller, der radikale Medienkritiker, auf der anderen. Es geht ums Eingemachte, um das Verhältnis von Journalismus und Propaganda.

    Rund 100 Beispiele von Meinungsmache in Deutschland hat Müller in seinem Buch dargestellt: Die kinderlosen Akademikerinnen, der demografische Faktor, Konjunkturprogramme als Strohfeuer, Hartz-IV-Abzocke und schließlich die Alternativlosigkeit von Privatisierung, Deregulierung und Sozialabbau. Nichts davon halte der sachlichen Überprüfung stand, sagt Albrecht Müller und wirft den Mainstream-Medien vor, das Vertrauen der Bürger missbraucht zu haben. Insbesondere bei der Durchsetzung neoliberaler Politik hätten Kampagnen den Journalismus beherrscht. Gleiches treffe auch auf die Bankenrettung zu.

    ""Meinungsmache ist ganz eindeutig massiv gemacht worden bei der Behandlung der Finanzkrise. Das ist das eklatanteste und teuerste Beispiel. Da hat man zuerst behauptet, die Finanzkrise sei aus den USA ganz plötzlich über uns gekommen. Und dann hat Frau Merkel behauptet und Herr Steinbrück, jede Bank sei systemrelevant. Auch wenn die Industriekreditbank in Düsseldorf eingeht, dann würde hier das System zusammen klappen. Oder Hypo Real Estate in München eingeht, dann würde alles zusammen klappen. Und dann stände keine Bank mehr, hat Herr Ackermann da in der Nacht des 28. auf den 29. September 2008 gesagt. Das ist alles Kappes, aber hat dazu geführt, dass wir Steuerzahler und unsere Kinder und Enkel Milliarden zahlen müssen.”"

    Die Antwort von Stern-Macher Jörges: Ja, die Medien hätten zum Beispiel bei der Finanzkrise nicht gut ausgesehen. Aber von neoliberaler Meinungsmache zu sprechen sei schlicht absurd:

    ""Es gibt immer wieder Mainstream-Verhalten, es gibt Rudelverhalten, dass man sich in eine Richtung bewegt. Aber das ist niemals von Dauer. Und es ist niemals so, dass es die Medien vollständig abdecken würde. Es gibt immer Gegenstimmen dagegen. Und was bei solchen Diskussionen vollständig übersehen wird, was wir an Medienvielfalt durch das Internet noch dazu gewonnen haben.”"

    Aber: Die Macht der Leitmedien wird vom Internet natürlich nicht wirklich in Frage gestellt. Und die Rudelbildung hat oft desaströse Konsequenzen. Beispiel Krieg. Selbst die sogenannte Qualitätspresse, so Müller, habe in Deutschland die Regierungslinie bei diversen Kriegsvorbereitungen der USA und NATO übernommen. Nicht nur wichtige Kontexte und grundsätzliche Kritik hätten in der Berichterstattung gefehlt, sondern auch später als Propaganda entlarvte Informationen wären, wie im Fall des Racak-Massakers im Kosovo, ungeprüft übernommen worden. Nocheinmal Jörges:

    ""Da gibt's inzwischen eine differenzierte Meinung der Medien dazu. Die gibt's schon seit einiger Zeit. Aber selbst da funktioniert die Manipulation, der Durchgriff auf die Hirne nicht. Denn es gab immer eine Mehrheit der Deutschen gegen diesen Krieg in Afghanistan. Selbst in Situationen, wo sich Medien gleichförmig verhalten, gelingt es ihnen nicht, kluge, selbstständig denkende Menschen in großer Zahl umzudrehen.”"

    Die veröffentlichte Meinung und die Meinung der Bevölkerung gehen tatsächlich oft auseinander. Nicht nur beim Krieg. Denn, so Albrecht Müller, es gelinge den Denkfabriken, Medienkonzernen und PR-Agenturen nicht immer, die Bürger umzupolen. Zudem gäbe es natürlich weiter Beispiele von kritischem Journalismus. Aber der Mainstream gehe in eine andere Richtung. Und das auch, weil die Macht der Medienkonzerne immer weiter zunehme:

    ""Der Konzentrationsprozess, die Kommerzialisierung aller Medien, die Kommerzialisierung auch letztlich der öffentlich-rechtlichen Medien bei uns hat dazu geführt, dass solche Propaganda und Meinungsmacheaktionen immer mehr stattfinden. Und das wirklich gilt, was George Orwell gesagt hat, wenn man immer und immer wieder das gleiche sagt, dann wird die Lüge zur Wahrheit und geht in die Geschichte ein.”"

    Oskar Lafontaine, Parteivorsitzender der Linken fordert gar eine Änderung der Besitzstrukturen der Medien:

    ""Wir müssen anknüpfen an die Ideen, die es ja immer gab: Wir brauchen die Belegschaften, die sich beteiligen an ihren Unternehmen, also auch an den Medienunternehmen. Dann haben wir andere Machtstrukturen in den Unternehmen. Und wir brauchen gleichzeitig verbindliche Redaktionsstatute, dass also der Redakteur, der sich überlegt: Kannst du jetzt mal eine völlig abweichende Meinung äußern, nicht Angst hat, dass würde ihm nachher zum Nachteil gereicht in seiner Karriere.”"

    Müllers Buch zur Meinungsmache ist eine Streitschrift. Sie steht in der Tradition, die von Noam Chomskys "Manufacturing Consent” bis hin zu Pierre Bourdieus Fernsehkritik reicht. Seinen Politblog Nachdenkseiten versteht Müller als Angebot:

    ""Wir möchten kooperieren mit den Journalisten. Die Journalisten und Journalistinnen sind nicht unsere Gegner. Sie sind eher Partner, die es sehr schwer haben in diesen Medien, die die Journalisten immer mehr unter Stress setzen und keine Zeit lassen für Recherchen.”"