Archiv

Meister des Lichts
Ein kongenialer filmischer Augenschmaus

Der britische Filmregisseur Mike Leigh schildert die letzten 25 Jahre im Leben des Malers William Turner als nuancenreiches Fresko in seinem Kinofilm "Mr. Turner - Meister des Lichts". Im Alltagsleben ist Turner kein erträglicher Typ. Er ist egozentrisch, grunzt und rülpst. Er wird als ein geniales Urviech dargestellt. Nicht als ein Schöngeist, wie seine Bilder eigentlich vermuten lassen.

Von Josef Schnelle |
    Timothy Spall als der Maler William Turner in dem Film "Mr. Turner - Meister des Lichts".
    Timothy Spall als der Maler William Turner in dem Film "Mr. Turner - Meister des Lichts". (picture alliance / dpa / PROKINO Filmverleih GmbH)
    "Jonsey, Carlo - William, das Hängungskomitee." - "Triffts ihren Geschmack?" - "Gut gehängt." "Grazie." - "Prego."- "Ist alles zu Ihrer Zufriedenheit, Mr Turner." - "Das ist es Mr President." - "Es ist wirklich ein prachtvolles Füllhorn." - "Guten morgen Turner." - "Guten Morgen Mr. Lesley. Wo befindet sich mein anderes Bild?" - "Wir haben es im Vorraum platziert."
    Ein Auftritt. William Turner begrüßt das Hängungskomitee der Royal Academy. Bis unter die Decke hängen die Bilder. Turner macht sich lustig über Malerkollegen John Constable mit seinen aufdringlichen Rot-Akzenten. Dann erfährt er: Eines seiner Werke hängt im „Ante-Room", einem schlecht beleumundeten eher abgelegenen Vorraum. Im Mainstream der Malerei des beginnenden 19. Jahrhunderts ist die fast abstrakte Malerei Turners bei all seinem Ansehen doch noch nicht richtig angekommen.
    "Turner" als Skandalnudel
    Der britische Filmregisseur Mike Leigh schildert die letzten 25 Jahre im Leben des Malers als nuancenreiches - und fast 146 Minuten langes - Fresko. In seinem Alltagsleben ist Turner ein gar nicht so leicht erträglicher Typ. Er ist egozentrisch und spleenig. Er grunzt und rülpst, ist eher ein geniales Urviech als ein Schöngeist wie seine Bilder vermuten lassen. Mike Leigh - sonst eher bekannt für den sozialen Realismus seiner Filme - begibt sich mit diesem opulenten Kostümfilm auf eine ganz spezielle filmische Reise in die Vergangenheit. Etwas Ähnliches hat er nur 1999 versucht mit dem Film "Topsy-Turvy" über die Vaudeville-Künstler Gilbert and Sullivan. Mike Leighs Film ist auch ein Porträt des frühen viktorianischen England mit kräftigen szenischen Momentaufnahmen und schrulligen Personen-Karikaturen. In der Öffentlichkeit ist William Turner so etwas wie eine „Skandalnudel" über dessen Malerei die bessere Gesellschaft die Nase rümpft.
    "Mr Turner hat sich wohl von jeglicher Form verabschiedet. Er hat zu früheren Gelegenheiten manchmal gemalt mit Eigelb oder Schokolade, Sahne oder Johannisbeergelee aber hier fährt er sein gesamtes Küchengerät auf." - "Eier und Spinat?" - "Nein weiße Übermalungen."
    Dunkle Seite des Genies
    In seinem Atelier wird Turner liebevoll von seinem Vater umsorgt, der ihm die Farben mischt und von einer Haushälterin, die er schroff und selbstherrlich auch sexuell ausbeutet. Eine dunkle Seite des Genies scheint auf. Später legt er sich ein Doppelleben mit Geliebter und Zimmer am Meer zu. Eine Begegnung mit dem romantischen Maler als Pragmatiker. Diese Witwe, die Zimmer vermietet, ist - das sieht er gleich - zu haben, fürs Wochenende und ohne, dass er allzu viel Leidenschaft investieren müsste.
    "Das nach Vorne raus, ist das noch zu haben?" - "Ja." - "Darf ich´s ansehen?" - "Gerne, wenn Sie mir folgen möchten." - "Sind Sie mit dem Schiff gekommen? "- "Gewiss." - "Mit der Meggie oder der Billie?" - "Dann war sie heute früh dran." - "Die Strömung war günstig."- "Das ist meine allerbeste Kammer." - "Überaus gemütlich." - "Oh, da danke ich Ihnen, Sir. Sie haben hier die beste Aussicht von ganz Margate. Es heißt, dieser Ort sei der erste am Morgen, den die Sonne erreicht."
    Lustvolle Szenen, verschwimmende Konturen
    Immer wieder zelebriert Leigh in seinem Film auch lustvoll Szenen, in denen Turner - großartig gespielt von Timothy Spall - die Möglichkeiten seiner Malerei entdeckt, das spezielle Licht und die immer mehr verschwimmenden Konturen. Rastlos begibt er sich auf die Suche nach immer neuen Landschaftsmotiven. Stets versucht Kameramann Dick Pope in seinen Filmbildern mit Lichtgestaltung und Farbgebung auch der Malerei Turners auf die Spur zu kommen. Und weil er nicht imitiert, sondern die Schönheit des Turner-Blicks filmisch paraphrasiert, gelingt ihm ganz unaufdringlich ein kongenialer filmischer Augenschmaus. Turner ist sich seines Wertes und seiner Bedeutung stets bewusst und so schlägt er in einem entscheidenden Moment das erkleckliche Angebot eines Förderers und Sammlers für seine Bilder aus. Fast 20.000 Bilder vermachte er bekanntlich dem britischen Staat.
    "Mit einem Körnchen Bedauern und einem etwas schweren Herzen tut es mir leid zu sagen: Es steht außer Frage: Die Bilder sind bereits vermacht, der britischen Nation." - "Und was bekommen Sie dafür?" - "Nichts." - "Sie werden nie wieder ein so großzügiges Angebot bekommen." - "Ich will, dass meine Werke zusammen an einem Ort ausgestellt werden."
    Turners Plan ist nicht ganz aufgegangen. Zwar sind die meisten seiner Bilder, Skizzen und Zeichnungen in der Tate Gallery zumindest registriert. Einige seiner wichtigsten Bilder hängen jedoch in der National Gallery und viele Gemälde sind über die Welt zerstreut. Trotzdem blieb die Turner-Schenkung ein Meilenstein in der Museumsgeschichte.