Privatsekretär (zu Papst): Ehrwürdiger Johannes! Darf ich Euch stören?
Papst Johannes XXII.: Mein lieber Sekretarius, sprich!
Privatsekretär: Ich möchte Euch mitteilen, dass am 28. Januar 1328 Bruder Eckhartus teutonicus friedlich entschlafen ist. Der frühere Prior von Erfurt und Ordensleiter der Dominikanerprovinz Saxonia war in unserem Papstpalast in Avignon zu Gast, um seine häretischen Schriften in dem Lehrverfahren mit eigener Stimme zu verteidigen.
Papst Johannes XXII.: Ja, ich weiß schon: der berühmte Magister Eckhart aus Erfurt. Er ruhe in Frieden. Eckhart, der zwei Mal den Lehrstuhl der Universität in Paris innehatte, wie Thomas von Aquina, ja. Doch dann war dem Mönchlein die Freiheit wohl zu Kopfe gestiegen – er versuchte das einfache Volk zu belehren.
Privatsekretär: Gewiss. Mit Eckharts Tod ist das Lehrverfahren gegen seine inkriminierten Schriften eigentlich abgeschlossen. Soll ich die mit dem Verfahren beauftragten Theologen entlassen?
Papst Johannes XXII: Wartet. Mhhh. Ich möchte einen Strich darunter ziehen und das Lehrverfahren gegen ihn trotzdem zu Ende bringen. Dann könntet Ihr eine Bulle aufsetzen mit Eckharts der Häresie überführten Sätzen. Sonst gibt der Erzbischof in Köln niemals Ruhe. Also, bereitet ein solches Schreiben vor mit den Aussagen, die wir ihm nicht durchgehen lassen. Verteidigen kann er sich jetzt ja leider nicht mehr. Dieser vermessene Freidenker!
Privatsekretär: Ein geschickter Schachzug, Ehrwürdiger Johannes! So müssten sich Eckharts Unterstützer im Orden auch zurückhalten. Der Dominikanerbruder ist mit der Verurteilung zwar kein Häretiker, aber zumindest ein Lehrmeister, auf den man sich nur ungern beruft. Soweit ich erinnere, waren es mehr als 100 Sätze, die in seinem Werk beanstandet wurden. Ich bereite alles vor. So darf ich denn gehen?
Papst Johannes XXII: Vale! Mit Gottes Segen - gehet hin.
Im Schatten der Inquisition
Mit einem Jahr Verspätung, am 27. März 1329 verurteilte Papst Johannes XXII in der Bulle "In agro dominico" (auf dem Acker des Herrn) nur noch 28 Sätze aus dem Werk Meister Eckharts. Sie wurden teils als häretisch angesehen, teils als häresieverdächtig – und zwar weniger aus theologischer Sicht, sondern aus Sorge, dass ungelehrte Menschen in die Irre gehen könnten.
Für die Forschung ist es ein Glücksfall, dass die Bulle mit der päpstlichen Verurteilung erhalten ist. Jahrhunderte später ließ sich damit das Werk Eckharts rekonstruieren, weil der Dominikanermönch die beanstandeten Sätze schriftlich verteidigte, auch hier sind Abschriften erhalten. Das in Köln begonnene Verfahren wurde auf Wunsch Eckharts an den Papst nach Avignon überstellt. Den Häresie-Prozess ins Rollen brachten übrigens zwei Mitbrüder Eckharts, die ihn beim Kölner Erzbischof angezeigt hatten.
Vor dem Beginn des Inquisitionsverfahrens war Eckhart ein berühmter Prediger in Erfurt und Köln, dem die Menschen nachliefen und zuhörten. Auf die letzten Jahre fiel dieser Schatten, Eckhart musste sich verteidigen, um nicht auf dem Scheiterhaufen zu landen.
Eckhart starb noch vor der Urteilsverkündung im Jahr 1328 in Avignon. Sein Werk und seine Gedanken breiteten sich dennoch weiter aus, in den Niederlanden und Deutschland, in Frankreich – auch in Übersetzungen. Nur seinen Namen vermied man zu nennen. Wer sich auf Meister Eckhart berief, stand schnell im Verdacht der Häresie, wie sein Schüler Heinrich Seuse. Johannes Tauler machte es geschickter und gab viele Predigten Eckharts unter seinem eigenen Namen heraus, die gewagtesten Spitzen Eckharts kappte er jedoch.
Eckharts Ausführungen kreisen immer wieder um die gleichen Begriffe.
Ein Beispiel aus den deutschen Predigten (Nummer 53):
"Wenn ich predige, pflege ich erstens zu sprechen: Von der Abgeschiedenheit. Und dass der Mensch von sich selbst und von allen Dingen frei werde."
"Zum zweiten von der Geburt. Zurück in das einzigartige Gut, das von Gott ist."
Eckhart spricht von der Geburt Gottes im Menschen und der Rückgeburt des Menschen in Gott.
"Zum dritten: Von dem hohen Adel der Würde, den Gott in die Seele gelegt hat."
"Zum vierten von der Klarheit der göttlichen Natur: Wie rein und durchsichtig sie ist, das ist nicht in Worte zu fassen."
Der katholische Theologe und emeritierte Professor Dietmar Mieth, der sich seit mehr als 50 Jahren mit dem Werk Meister Eckharts befasst, sagt:
"Abgeschiedenheit ist nichts anderes als ein inneres Ablösungsverfahren. Natürlich der Ausdruck "Abgeschiedenheit" ist für uns nicht unmittelbar zugänglich. Wir können es aber besser verstehen, wenn wir es mit "Loslösen" übersetzen."
Gottesgeburt in der Seele
Eckhart sagt: Überall, wo du dich findest, da lass dich. Es geht darum, dass man eine innere Loslösung von den Dingen hat und frei wird. Abgeschiedenheit bedeutet: nicht an den äußeren Dingen zu hängen.
"Was nicht heißt, dass man jetzt absolut, in jeder Hinsicht ein anderer ist. Der also körperliche und geistliche oder ästhetische Bedürfnisse nicht mehr hat. Es ist nicht so. Wenn man abgeschieden ist, kann einem trotzdem ein schlechtes Musikstück missfallen. Die Loslösung heißt nicht, dass man in völliger Weise sozusagen unaufmerksam für das ist, was passiert. Sondern man lässt alles an sich herankommen, aber nicht in der Weise, dass es einen beherrscht - das ist ganz einfach zu erklären."
Die Abgeschiedenheit, die Gottesgeburt in der Seele, der Adel der Seele - alles das sind Begriffe, die in Eckharts Unterweisungen immer wieder auftauchen.
"Es kommt ihm drauf an, dass man Gott mit damaligen Mitteln verstehen kann. Und dann ist ganz wichtig, was er als eine Erhöhung der menschlichen Seele betrachtet: der Adel, den jeder von Natur aus hat, den er dann mit theologischen und philosophischen Mitteln erläutern will. Wie sich das ausstrahlt auf das Leben, das sind die Punkte, die wichtig sind."
"So ist es in allem: Wo ich nichts für mich will, da will Gott für mich. Nun gibt Acht! Was will er für mich, wenn ich nichts für mich will? Wo ich von mir lasse, da muss er für mich notwendigerweise alles wollen, was er für sich selbst will, nicht mehr und nicht weniger, und in derselben Weise, in der er für sich will. Täte Gott dies nicht, bei der Wahrheit, die Gott selbst ist, dann wäre er nicht gerecht, und er wäre nicht Gott – was doch sein natürliches Wesen ist. Darum fange bei dir selbst an und lass dich. Je mehr die Menschen nach außen gehen, um so weniger finden sie Frieden. Sie gehen wie jemand, der den Weg nicht findet. Je weiter er geht, umso mehr verirrt er sich. Was soll er also tun? Er soll sich selbst erst einmal lassen, dann hat er alles gelassen."
In dieser Rede der Unterweisung versucht Eckhart die Menschen aus ihrer äußerlichen Frömmigkeit zu befreien, um das Leistungsdenken im Religiösen völlig aufzugeben. Eckhart sucht nach dem Beweis: Wie kann ich sicher sein, auf dem richtigen Weg zu Gott zu sein. Noch einmal Dietmar Mieth:
"Der Beweis liegt durchaus in einer Form des Handelns: also Umsetzen der Liebe. Ich kann also erkennen, dass ich im Willen Gottes bin, wenn ich die gleiche Liebe für alle anvertrauten Menschen aufbringe und keine Vorzugslieben an ihre Stelle setze. Deshalb ist es eine Rückkehr zur Praxis, die bei Eckhart eine Rolle spielt, aber eben als caritative Praxis und nicht als Praxis besonderer Erlebnisse."
"Deine eigene Weise finden"
Eckhart predigt keine Mystik auf dem Meditationskissen oder gar einen Rückzug ins Kloster. Er favorisiert das Handeln in der Welt - in Gelassenheit.
Professorin Christine Büchner lehrt katholische Theologie an der Universität Hamburg. Sie sagt: Durch die Lektüre und den Austausch erschließt sich immer wieder Neues – obgleich die Praxis von Eckharts Lehre vielen doch ein Rätsel aufgibt.
"Es geht darum, gelassen zu werden: also alles, was ich will und wissen und haben will erstmal sein zu lassen. Nicht meine eigenen kurzsichtigen Ziele zu verfolgen, sondern sozusagen, das Leben auf mich zukommen zu lassen. Das ähnelt ja schon dem Begriff, wie wir heutzutage Gelassensein verstehen. Also den Druck zu nehmen aus dem alltäglichen Leben. Wir sind ja alle getrieben in irgendwelchen Zwecken, wir müssen das und das erreichen. Und da erst mal zu sagen: Stopp, das muss nicht so sein. Das ist vielleicht gar nicht das Richtige. Und wenn ich so weiter mache, verfehle ich genau das Richtige."
Ja, wie das geschehen soll, da gibt uns Meister Eckhart leider nicht so richtig gute Hinweise. Also er wiederholt das tatsächlich immer wieder, dieses "lass-dich" und er sagt oft, wie es nicht geht. Ja, er sagt: Leute kommen zu mir und fragen mich, wie kann ich denn in diesen Zustand der Freiheit und Gelassenheit usw. kommen? Muss ich da vielleicht öfter in die Kirche gehen und meditieren? Und da sagt er: Nein, das musst du nicht. Du kannst genauso gut auf den Marktplatz gehen. Oder ein anderer fragt ihn: Der soundso, der ist schon ziemlich weit und der betreibt Askese usw. und Christus-Nachfolge, ich wünschte, ich könnte das auch so. Aber ich kann es nicht. Und dann sagt Meister Eckhart: "Ja, dann musst du das auch nicht, dann entspricht es dir nicht. Du musst 'deine eigene Weise' finden" – das ist ein Wort, dass er immer wieder verwendet." Bei Eckhart gibt es keinen Stillstand des einmal erreichten, sondern immer eine Dynamik: auch der Glaube hat etwas Prozesshaftes in der Annäherung an Gott, sagt Christine Büchner. Eckharts Programm ist nicht Erbauung. Schon gar nicht geht es darum, dass der Glaube die Vernunft lassen muss. Es geht Eckhart um eine Durchlässigkeit für den Willen Gottes und um eine Praxis des Einübens in der Welt.
Dietmar Mieth: "Er sagt, ich weiß, was ich zu tun habe im Grunde, wenn ich durchlässig bin. Nur wenn ich nicht durchlässig bin, weiß ich es nicht. Und wenn ich durchlässig bin, bin ich frei. Und wenn ich nicht durchlässig bin, verfolge ich meinen Eigenwillen in Konkurrenz zu dem, was ich eigentlich wollen müsste und das kann ich sehr gut erkennen, was das ist. Also ich helfe den Flüchtlingen beispielsweise nicht, weil ich Eigeninteressen habe. Daran kann ich doch wunderbar erkennen, dass diese Durchlässigkeit nicht da ist."
Aber wie soll man sich diese Einübung des Loslassens vorstellen? Ist es ein langer Kampf mit dem Intellekt, muss man sich selbst verleugnen, um das Loslassen einzuüben? Dietmar Mieth sieht darin kein Geheimnis, wenn Eckhart von einem Durchbruch des Denkens hin zu einem neuen Sein spricht.
"Ich würde das viel einfacher zu erläutern versuchen. Manche Menschen, die vom Alkohol loskommen wollen oder von der Zigarette, die erleben diesen Durchbruch, nämlich dann, wenn ihre Motivation stark genug geworden ist, um das durchzuhalten, was sie sich vorgenommen haben. Das ist so durchschlagskräftig, dass es zu einer zweiten Haltung wird. Diese Haltung ist so stark, dass man nicht mehr rauchen noch trinken kann. Also man verliert sozusagen das Können dazu. Und wenn man diese Erfahrung macht, die ist ganz ähnlich wie diese Verwandlung durch einen Durchbruch, indem man eigentlich nicht mehr anders sein kann, als sich ständig darauf zu prüfen, ob man durchlässig ist."
Meister Eckhart hinterfragt Dogmen
Eckhart ist nicht wegen dieser Überwindung des Eigenwillens von der Inquisition angeklagt worden. Ihm wurde zum Verhängnis, dass er ziemlich provozierende Thesen verkündet. So spricht er von der Göttlichkeit des Menschen, auch von der Einheit von Gott und Mensch durch Sohnschaft in bestimmten seelischen Prozessen. Oder Eckhart sagt, man Gott gewissermaßen zwingen kann zu wirken, wenn man seinen Willen zurücknimmt. Warum Meister Eckhart im 21. Jahrhundert viele Menschen für sich einnimmt, rührt sicher auch von seiner direkten Ansprache an die Hörer und Leser. Und er hinterfragt Dogmen und überrascht mit Aussagen, wie zum Beispiel dieser:
"Solange du deine Werke um des Himmelreiches oder Gottes oder eines ewigen Heiles Willen, also von außen her, wirkst, so lange ist es wahrlich nicht recht um dich bestellt. Du bist zwar in Ordnung, aber das ist noch nicht das Beste."
Aus den deutschen Predigten Nr. 53, Meister Eckhart: Vom Atmen der Seele.
Prof. Markus Vinzent, der am King's College in London Theologiegeschichte lehrt, sagt:
"Heute würde man sagen, dass sind die Menschen, die höchst bemüht sind, das Leben richtig zu leben. Darin würde er zunächst einmal den Verdacht erheben, dass das eigentliche Prinzip verdeckt ist, dass der Mensch eigentlich am stärksten an sich selbst interessiert ist, am gelingenden Leben. Und das hält er für problematisch.
Also er versucht, diese Impulse, die in uns sind, zunächst einmal zu spiegeln und zu begreifen, was eine Selbstreflexion zunächst einmal ist über uns selbst. Und dass wir erkennen, was da an uns selbst drin steckt, in dem, was wir wollen und was an möglichem Potential drin steckt dessen, womit wir zu etwas gebracht werden können, wofür wir wirklich gedacht sind."
Raum zur Selbstreflektion
Eckhart steht allen praktischen Vorgaben und Regelwerken kritisch gegenüber, seien es die in der Kirche, im Orden oder in der Stadt. Bei Eckhart findet man aber keine Listen, was gut oder was böse ist – das macht ihn anziehend für Menschen heute, glaubt Markus Vinzent.
Eckhart lässt Raum, dass Menschen sich selbst reflektierend erkennen und ihre eigenen Mechanismen aufdecken lernen. Seit einiger Zeit wird Eckhart auch als interreligiöser Denker wahrgenommen. Besonders in Asien gibt es eine neue Meister-Eckhart-Rezeption. Markus Vinzent nennt die Kyoto Schule in Japan, aber auch Korea und neuerdings sogar China. Das führt dort zu einer Entdeckung des östlichen Denkens in der westlichen Welt. Denn dass ein mittelalterlicher Theologe und Philosoph ganz ähnlich gedacht hat wie verschiedene Schulen im Osten, vor allem die Tradition des Zen-Buddhismus, das ist eine Überraschung. Zum Beispiel Eckharts Idee von der Einheit von allem in Gott, der Absichtslosigkeit oder dem Loslassen.
Prof. Markus Vinzent: "Wie ich was verfolge, das hängt – nach Eckhart jedenfalls – immer an dem Grundprinzip: wie ich die Welt auffasse. Denn das Loslassen als solches ist kein Selbstzweck. Wenn ich z.B. Zen-Übungen machen müsste, damit ich mich von mir selbst befreite, um leer zu werden. Das hielte Eckhart für sehr problematisch. Nicht anders problematisch als die Frage, muss ich 50 Vaterunser beten oder vielleicht auch Tausende, damit ich irgendwie innerlich leer werde. Es ist viel interessanter, wenn ich die richtige Verstehensweise entwickle, dann kann ich ganz einfach meinen Lebensweg gehen."
Deshalb sagt Eckhart: Ein einziges Werk, was auch immer, in der richtigen Intention getan, das ist besser als irgendeine Übung.
"Da ist er auch wieder sehr nahe bei Zen-Buddhisten bei aller Unterschiedlichkeit, die eben auch kein Rezept an die Hand gibt. Ein großes Missverständnis oft, wenn wir denken, wir gehen in eine Meditationsschule und lernen irgendetwas - das ist meist ein Entlernen des Lernenwollens."
Loslösung vom Meister
Im Zen gibt es Schüler und Meister und damit das große Problem, dass der Schüler sich dem Meister in irgendeiner Absicht nähert.
"Und die Kunst der nächsten Tage, Wochen und Jahre besteht darin, dass der Zen-Meister einmal diese Absicht demjenigen verdeutlicht und eben nicht konform auf diese Absicht eingeht. Und das allerwichtigste ist und das ist eine direkte Parallele mit Eckhart, dass der Zen-Master sich überflüssig macht und dass er erfahrbar, begreifbar macht, dass es den Meister nicht gibt. Dass man den Meister loswerden muss. Und den kann man nur loswerden, wenn man den Wunsch nach einem Meister loswird. Der Meister ist nur eine Reproduktion für den göttlichen Meister. Deshalb gibt es bei Eckhart auch diesen wunderbaren Satz, man muss nicht nur sich selbst lassen, sondern man muss Gott lassen."
Vielleicht wird die Dimension von Eckharts Denken deutlicher, wenn man seine kreativen Wortschöpfungen ansieht, die in der Germanistik schon länger behandelt werden. Zum Beispiel versuchte Eckhart, die lateinischen Begrifflichkeiten der Scholastik ins Mittelhochdeutsche zu übertragen. Dabei bildete er viele Abstrakta, die auf -heit und -keit endeten. Wesentlichkeit oder Eigenschaft sind solche Wortschöpfungen. Aber auch sein Umgang mit der Syntax war neu. Manche Dinge kann man mit der deutschen Sprache einfach besser ausdrücken, sagt Professor Freimut Löser. Der Germanist lehrt an der Universität Augsburg "Deutsche Sprache und Literatur des Mittelalters".
"Das Vaterunser hat die Bitte und die Frage, was kann man von Gott erbitten. Und dann sagen wir heute: "dein Wille geschehe". Auf Lateinisch heißt das: Fiat voluntas tua. Das wäre dann zu übersetzen mit: din wille werde - dein Wille werde. Und Eckhart übersetzt ganz scharf am Lateinischen: (Fiat voluntas tua) - werde wille dein. Wort für Wort. Und dann interpretiert er daraus, dass mein Wille dein Wille werde."
Globale soziale Verantwortung
Wie weit der Horizont des Dominikanermönches Meister Eckhart reichte, erklärt sich auch aus seiner Lektüre. Er studierte heidnische Meister wie Sokrates, Platon, Seneca ebenso wie christliche Kirchenväter. Unter den jüdischen Meistern zitiert er am häufigsten Moses Maimonides. Ihm waren auch islamische Denker vertraut. Aus all dem erwächst bei Eckhart ein Bild der Gleichberechtigung der Religionen und der Gruppen der Menschheit hin zu einer globalen sozialen Verantwortung. In einer seiner Predigten sagt er, was es heißt, wenn jemand den Gottesgrund geschaut hat.
"Dass er dem Menschen, der jenseits des Meeres wohnt (und) den er nie mit eigenen Augen gesehen hat, so viel Gutes gönnt, wie dem Menschen, der ihm nahe und sein vertrauter Freund ist."
Eckart wurde für seine Gedanken vom Papst verurteilt, heute redet ein Papst so ähnlich wie er. Sieben Jahrhunderte liegen dazwischen. Der Beweis, dass Religionen zu jener globalen Gelassenheit beitragen, von der Eckart spricht, steht noch aus. Eckhart wird heute noch nicht als Vordenker von einem friedlichen Miteinander der Religionsgemeinschaften rezipiert. Seine Wahrnehmung war sicher auch stärker auf den einzelnen gerichtet. Die Institutionen der Religionen wollte er nicht als letzte Instanz ansehen. Vermutlich war es ihm nicht entgangen, dass Menschen darin doch oft Eigeninteressen verfolgten. Das dürfte ihm auch bei seinem eigenen Prozess klar geworden sein, vermutlich kannte er die Verleumder aus seinem Orden persönlich.
Wie hat der Papst vor 7 Jahrhunderten abschließend über das Werk Eckharts geurteilt?
Papst Johannes XXII.: Seid gegrüßt mein lieber Sekretarius. Wie weit seid ihr mit der Bulle über den Bruder Eckhartus? – Gott hab ihn selig. Ach, bitte verwendet die üblichen Formulierungen, wie wir sie gegen Häretiker verwenden, aber bleibt milde mit dem Urteil an sich.
Sekretär des Papstes: Alles ist soweit vorbereitet, Ehrwürdiger Johannes. Die Bulle gegen Meister Eckhart wird noch heute dem Boten für den Erzbischof Heinrich nach Köln mitgegeben.
Papst Johannes XXII.: Ach dieser trunksüchtige, schwatzhafte Erzbischof von Köln. Ich glaube, für diesen Meister Eckhart war er die letzten Lebensjahre eine Plage. Nun denn, wir haben indes noch genug von dem heftigen Streit mit den Franziskanern. Jetzt wollen wir die Dominikaner, unsere treuen Freunde, nicht auch noch verunsichern. Mit unserer Verurteilung eines Teils von Eckharts Aussagen, ist es mit der Lehre dieses Meisters aus Deutschland sicher vorbei. Eckhart wird nun weder an den Universitäten gelesen, noch in seinem Orden oder im Kirchenvolk weiterleben. Einige seiner Gedanken waren doch allzu kühn.