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Melancholische Klassiker

Das Deutsche Theater in Berlin hat in diesen Tagen gleich zwei Premieren mit klangvollen Namen zu feiern. Der Schweizer Regisseur Roger Vontobel hat Arthur Millers "Alle meine Söhne" inszeniert. Ebenfalls neu auf dem Spielplan ist Aki Kaurismäkis "Der Mann ohne Vergangenheit".

Von Eberhard Spreng |
    Das Leben ist eine Baustelle. Rollrasen liegt in Bündeln bereit, in einer gemeinsamen Familienaktion rollen die Kellers ihn aus und fangen an, in ihrem neuen Garten Football zu spielen. Kinder spielen, die heile amerikanische Welt ist noch in Ordnung. Aber dann fallen polternd Äpfel aus dem Schnürboden, ein Zeitsprung deutet sich an und mit ihm die Katastrophe für die Familie des Motorenbauers: Der hatte während des 2. Weltkriegs schadhafte Zylinderköpfe an die Luftwaffe geliefert und damit den Tod von 21 amerikanischen Piloten verursacht. Obwohl mitschuldig, hatte Joe Keller die ganze Verantwortung auf seinen Partner abgewälzt. Dessen nun erwachsene Kinder zerstören das System der Lebenslügen und Verdrängungen bei den Kellers.

    Roger Vontobelentwickelt Arthur Millers Stück mit schlichter realistischer Figurenführung. Der erfolgreiche Geschäftsgründer ist hier mit Jörg Pose ein eher unauffälliger, netter Kumpeltyp, bis seinem Sohn die Schuld des Vaters bewusst wird. Der entspannte Konversationsten vom Anfang ist vorbei, hysterische Ausbrüche vernichten den bröckeligen Familienzusammenhalt:

    "Was bist du denn für ein Mensch, das Leben der Piloten da oben hing von diesen Zylinderköpfen ab und das hast du gewusst." - "Chris, ich hab’s für dich getan. Für ..."- "Für mich." - "Für dein Geschäft." - "Für mich, wo lebst du denn, so kommst du denn her? Für mich?"
    Daniel Hoevels rechnet als Chris Keller ab mit dem Vater und dessen skrupellosem Geschäft, der auch den Tod des Bruders verursacht hatte. Der Kapitalismus der Väter frisst seine Kinder: Dies zu untermauern zitiert das Programmheft den Fall des Mark Madoff. Zwei Jahre, nachdem er den Betrug des väterlichen Madoff-Fonds offen gelegt hatte, brachte er sich vor wenigen Tagen um: Schuld in Familien greift über die Generationsgrenzen hinweg und bürdet den Kindern eine untragbare Last auf.

    Gerne hätte Roger Vontobel in diesem Zusammenhang antikes Tragödienpotential freigesetzt: Er hat das Publikum auf vier Arenatribühnen rings um den Schauplatz postiert, eine Anordnung, in dem Regisseure gerne die großen Schaukämpfe zwischen Göttern und Sterblichen arrangieren. Aber defekte Zylinderköpfe sind kein tragischer Götterfluch wie bei den Labdakiden, der Ödipusfamilie, die Vorhobel zuletzt in Bochum inszenierte. Der Geld-Gott Kapitalismus, der die Auslieferung schadhafter Flugantriebe, wie der Streitfall Quantas – Rolls Royce zeigt, bekanntermaßen bis in die Gegenwart wahrscheinlich macht, ist keine Tragödie nach antikem Vorbild. Für den gesellschaftskritischen Realismus Millers wäre die klassische Guckkastenbühne besser gewesen. Sie hätte verhindert, dass sich im weiten Raum die Spielbezüge zwischen den Figuren verlieren und sie hätte das Drama mit seinen Zeitbezügen besser verortet.

    Von der Schuld der Reichen zu den schnurrigen Hilfsleistungen der Armen führt die zweite Premiere am Deutschen Theater in Berlin. Dimiter Gotscheff hat einen vielfach ausgezeichneten Kaurismäki-Film in einige poetische Theatertableaus umgeformt. In den Proszeniumslogen sind Bass, Akkordeon, Gitarre und Perkussion installiert und begleiten das Geschehen mit melancholischen Sounds.

    Gotscheffs arbeitet mit seiner gewohnten brillanten Equipe: Allen voran Samuel Finzi, der einen Erzähler, eine Nutte und eine verhuschte Bankangestellte verkörpert, Almut Zilcher, die die scheu verliebte Heilsarmistin Kati spielt und Wolfram Koch, der den Protagonisten verkörpert. Er ist der "Mann ohne Vergangenheit", der nach einem Raubüberfall seine Erinnerung verloren hat und sich in einer fremden Umgebung zurechtfinden muss. Es fehlt nicht an netten schauspielerischen Miniaturen, auch nicht an atmosphärisch dichten Passagen, aber sie sind verstreut wie eine Nummernfolge, in der der Erzählfaden verloren geht. Gelegentlich verlassen die Figuren für Momente ihre Rolle und geben kurze philosophische Diskurse oder Bibelzitate von sich, aber auch die gehen in der losen Sammlung szenischer Momentaufnahmen verloren und verschaffen den Akteuren keine zusätzliche Tiefe. Eine Reise nach Helsinki und zu den verschrobenen immerfort rauchenden und oft trinkenden Kaurismäki-Originalen der finnischen Hauptstadt kommt so nicht zustande.