Feuchte Schwüle schlug den 68 Japan-Reisenden entgegen, als das Flugzeug in Osaka landete, und so blieb es die kommenden sechs Tage. 33 Grad, 81 Prozent Luftfeuchtigkeit, ständiger Wechsel zwischen Sauna und Kühlbox, zwischen Hitzesommer draußen und Klimaanlage drinnen - eine Belastung für Mensch und Instrument.
Das Symphonische Jugendblasorchester der Rheinischen Musikschule Köln - das sind 80 junge Menschen aus Köln und Umgebung zwischen 12 und 25 Jahren, im Schnitt sind sie 16. Sie spielen auf einem sehr hohen Niveau, haben schon einige Preise gewonnen, und seit sie beim renommierten "World Music Contest" in Kerkrade Gold geholt haben, bekommen sie viele Einladungen ins Ausland, nach Italien, Spanien und jetzt eben zum zweiten Mal auch nach Japan.
Musik als Brücke
Die Reise wurde finanziell unterstützt vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, um die Begegnung und den kulturellen Austausch zwischen den deutschen und japanischen Jugendlichen zu fördern - über die Brücke der Musik. Extrem viele Spenden von Privatpersonen, Unternehmen und Organisationen neben dem Eigenbeitrag machten das Vorhaben erst möglich.
Im Mittelpunkt der Reise standen Austausch und Konzerte mit drei japanischen Schulen:
Mit dem Super-Schnellzug Shinkansen ging es direkt am Morgen nach der Landung zur ersten, der Dai-ichi High School in Gifu 200 km nördlich von Osaka, ist eine Privatschule mit 600 Schülern, teilweise auch im Internat lebend.
Dort haben die deutschen und die japanischen Jugendlichen gemeinsam geprobt, in der Schulkantine gegessen; die deutschen Musiker konnten am Unterricht teilnehmen, die erfolgreiche Baseball-Mannschaft anfeuern und sie bekamen im Koto-Unterricht von den japanischen Schülerinnen Tipps, wie man mit den krallenartigen Plektren die 13 Seiten dieses uralten höfischen japanischen Instruments zupft - eine Art riesige Zither, die auf dem Boden kniend gespielt wird.
Großer Aufwand für die Gäste
Am kommenden Tag gab es ein gemeinsames Konzert in einer riesigen Halle vor über 600 Gästen. Das deutsche Orchester wurde empfangen wie Popstars – es wurden riesige Banner mit Willkommensgrüßen aufgehängt; für die Toiletten waren extra zu den Kanji-Schriftzeichen auch deutsche Schilder gemalt worden; es gab ein Spalier aus winkenden Kindern und Jugendlichen, überall hingen die Schülerinnen und Schüler winkend und rufend aus den Fenstern und wollten Selfies machen - vor allem mit den blonden Jugendlichen.
Und schon zuvor wurde ein unglaublicher Aufwand betrieben: weil man wie fast überall in Japan auch an manchen Schulen die Schuhe auszieht, wurden riesige Kartons mit 70 Kunststoffpantoffeln herangeschafft. Und weil nun zwischen dem provisorischen Probenraum und der Konzerthalle noch Schulhof lag, breitete die Schule etliche Meter roten Teppich für die deutschen Gäste aus. Da es nun ausgerechnet zum Konzert wie aus Eimern schüttete – mit Regen, der sofort Blasen auf dem Boden wirft – wurde jeder Einzelne der 68 Gäste von Schülern und Lehrern mit einem Regenschirm abgeholt und eskortiert. Und damit die teuren Instrumente nicht nass werden, wurde extra ein Transporter herangeschafft, der die wenigen Meter von Dach zu Dach pendelte. Für das Orchester war das alles sehr besonders – und Konzerte in schwarz und dazu türkisfarbene Plastikschlappen an den Füßen gibt man auch nicht alle Tage.
Deutsche Komponisten sehr beliebt
Eines der Stücke, das bei jedem der drei Konzerte gespielt wurde, war "Lied ohne Worte" vom deutschen, noch lebenden Komponisten Rolf Rudin, der international fast bekannter ist als in Deutschland selbst. Der Leiter des Symphonischen Jugendblasorchesters, Michael Rosinus, hatte dieses Stück ausgewählt, weil er sich unter anderem auf die Fahne geschrieben hat, mit seinem Orchester die rare deutsche Originalmusik sozusagen als Botschafter ins Ausland zu tragen. Offenbar mit großem Erfolg – gerade das "Lied ohne Worte" kam bei den Konzerten ganz besonders gut an. So wie bei den Japanern überhaupt die Deutschen und ihre Komponisten extrem beliebt sind. Absoluter Spitzenreiter ist nach wie vor Beethoven. Beethovens Neunte wird in Japan alle Jahre wie eine Art Weihnachtsoratorium immer in der Zeit vor Neujahr gespielt und jeden Dezember allein in Tokyo 80 Mal aufgeführt, teilweise auch mit Chören, die aus 10.000 Menschen bestehen, zum Beispiel in der großen Budo-Halle in Tokyo.
Warum das so ist, das erklärte den deutschen Jugendlichen und jungen Erwachsenen der deutsche Generalkonsul in Osaka, Dr. Werner Köhler, der das Symphonische Jugendblasorchester zum Empfang in seine Räume im 35. Stock des herausragenden Umeda Sky Buildings geladen hatte. Die Beethoven-Tradition geht zurück auf Bando, ein Lager für deutsche Kriegsgefangene im ersten Weltkrieg auf der Insel Shikoku in Japan, das sehr bekannt wurde, weil dort eine vergleichsweise sehr liberale Lagerleitung ein recht kreatives Gefangenenleben erlaubte: es gab dort eine deutsche Bäckerei, eine Zeitung und ein eigenes Orchester und dort wurde am 1.Juni 1918 also vor 101 Jahren, das erste Mal auf japanischem Boden Beethovens Neunte aufgeführt.
Was auf dieser Reise wieder sehr deutlich wurde: die Japaner haben eine sehr enge Verbindung zur Musik, fast jeder spielt ein Instrument – und viele auf sehr hohem Niveau. Es gibt in Japan über 14.000 Klassik-Hobby-Orchester. Und, das hat die deutschen jungen Musiker sehr beeindruckt: Die Schüler, die sie getroffen haben, proben drei bis vier Stunden – jeden Tag, sechs Tage die Woche. Und das beginnt in Japan schon bei den Neunjährigen. Das alles findet in der Schule statt - die Instrumente werden nicht mit nach Hause genommen, weil zum Üben die Wohnungen viel zu klein und hellhörig sind.
Und auch das Publikum ist ein anderes in Japan als in Deutschland, betont der Leiter des Symphonischen Jugendblasorchesters Köln Michael Rosinus:
"Es ist vor allem der Umgang mit der Blasmusik, die große Offenheit, das fehlende Spartendenken, das offene, würdige Zugehen auf die Musik und die Musiker."
Das Publikum sei wesentlich stiller und aufmerksamer und auch der Applaus sei ruhiger, aber sehr herzlich.
Intensiver Austausch zwischen den Jugendlichen
Vor und nach jedem Konzert fand ein intensiver Austausch statt zwischen den deutschen und den japanischen jungen Musikern über ihr Alltagsleben und die Bedeutung der Musik für sie. Schwer beeindruckt waren die rheinischen Jugendlichen von der Disziplin, die an japanischen Schulen herrscht. Die Schüler tragen wie fast überall in Japan eine Schuluniform und sie erzählten den deutschen Jugendlichen, dass jeder Tag komplett durchgetaktet ist, vor allem für die Internatsschüler: Vom Aufstehen um 6.20 Uhr mit Morgenappell, über den Unterricht, das Putzen der Klassenräume und vier Stunden Musikprobe bis 19 Uhr, bis hin zur Bettruhe um 21 Uhr - und natürlich muss vorher das Handy abgegeben werden. Das Schulgelände darf nicht verlassen werden, das jeweils andere Geschlecht ist komplett tabu, sonst wird man der Schule verwiesen – mit teils 17, 18 Jahren. Von dieser Konsequenz und Disziplin waren die meisten sehr fasziniert. Und wollten definitiv nicht tauschen mit den japanischen Schul-Kollegen.
Johanna Sauer ist mit 12 Jahren die Jüngste im Orchester. Für die Klarinettistin war es die allererste Reise nach Asien. Sie nimmt ganz unterschiedliche Eindrücke mit nach Hause von diesem Austausch:
Die Japaner seien alle sehr hilfsbereit gewesen, aber, was sie sehr beeindruckt und teilweise auch schockiert habe, sei die fehlende Flexibilität für die Schüler. Jeder müsse schon früh für seine Zukunft genau festlegen, was er macht. Zum Beispiel ob Sport oder Musik, und dann werde auch erwartet, dass genau das voller Disziplin gemacht würde. Beides auszuprobieren ginge nicht und ein Wechsel sei undenkbar.
Besondere Atmosphäre der Tempel berührt
Eines der schönsten Erlebnisse in Japan war aber für Johanna der Besuch im buddhistischen Tempel Kiyomizudera in Kyoto. Die besondere Atmosphäre; die Farben; die Stille; das Schlagen des Gongs; das Beten, das sie ausprobiert habe, obwohl sie nicht gläubig sei - all das habe sie sehr berührt. So wie auch die vielen Rituale: Das Waschen von Händen und Mund am Drachen-Brunnen, das Trinken aus dem heiligen Otowa-Wasserfall und der Umgang mit den buddhistischen und shintoistischen Horoskopen an den Schreinen und Tempeln:
"Es gibt beim Horoskop alle Stufen vom größten Unglück bis zum größten Glück. Ich hab’ leider das Unglücklichste gezogen, aber das wird dann in Japan ganz klasse gemacht: Man bindet den Horoskopzettel an einen Zaun, das wird dann verbrannt, und dann ist das Unglück auch wieder weg. Und ich hab mir ein Neues ziehen können. Da im Tempel hab ich mich sehr wohl gefühlt, obwohl ich eigentlich fremd war."
"Der letzte Samurai"
In der alten Kaiserstadt und japanischen Kulturhochburg Kyoto traf das Orchester auch auf Joe Okada, bekannt als "der letzte Samurai". Er ist der älteste und bekannteste Stadtführer in Kyoto und war schon in der David Letterman-Show. Er sieht nicht nur aus wie ein Samurai in seinem Kimono und mit seinem langen weißen Zopf auf dem Kopf und dem weißen Bart. Der 90-jährige praktiziert seit 40 Jahren die Katana-Schwertkunst und vermittelt sie internationalen Besuchern.
Er konnte den Jugendlichen viel erklären über das besondere Verhältnis der Deutschen und Japaner in den letzten 100 Jahren und hat, was für manche Jugendliche sehr beeindruckend war - selbst noch den letzten Welt-Krieg miterlebt. Joe Okada erzählte über Kyoto, die Geschichte der Samurai und ihrer Katana-Schwertkunst und er betonte, dass Samurai und Musiker eigentlich sehr Vieles gemeinsam haben, was sie beide ausmacht:
"Der unbedingte Wille, der klare Geist, Selbstdisziplin, das Streben nach Perfektion und das Überwinden der Zeit."
Viele Gemeinsamkeiten, viele Unterschiede
Viele Details haben die deutschen Jugendlichen im Verlauf ihrer Reise staunend beobachtet:
Den Respekt der Menschen voreinander; die pünktlichen Züge, die exakt an den Markierungen zum Einsteigen halten; das disziplinierte Schlangestehen statt Drängeln; die sprechenden Toiletten; die Regenschirm-"Garagen" vor den Geschäften und außerdem, wie preiswert und gut das Essen ist und wie gemütlich es sich auf Futons und duftenden Tatami-Matten schlafen lässt.
Aber es wurde auch wahrgenommen, wie stark die Leistungsgesellschaft ausgeprägt sei in Japan; wieviel Plastikmüll durch extreme Verpackungen produziert werde und dass fast alle Menschen allein unterwegs seien und man kaum Paare oder Familien oder Freunde zusammen auf der Straße sehe – letzteres, weil ja die Schule immer bis abends geht.
Was bleibt von einem solchen Jugendaustausch, was hat er auch bei den Japanern bewirkt?
Die Kulturen haben sich spürbar gegenseitig beflügelt. Die Begegnungen haben auf beiden Seiten viel Eindruck hinterlassen und ein tieferes Verständnis, was anders ist im Leben von Deutschen und Japanischen Jugendlichen und was beide auch vereint – nicht zuletzt auch über die Musik. Die Jugendlichen haben sich beim Umtrunk nach den Konzerten gegenseitig deutsche und japanische Lieder vorgespielt, haben miteinander gesungen, über ihre Interessen und ihr Leben auch jenseits von Orchester und Schule geredet. Und ein japanischer Schüler sagte beim Abschied:
"Deutschland, Köln, das war bisher nur ein weit entfernter, unbekannter Ort – jetzt hat er für uns durch Euch ein Gesicht bekommen."
Mit dem Stück "Takarajima", übersetzt "Schatz-Insel" vom berühmten japanischen Komponisten Toshio Mashima endete jedes der drei Konzerte, auch das letzte fulminante Abschlusskonzert in der riesigen Kulturhalle Neyagawa. Das Stück gehört zum festen Repertoire der japanischen Orchester, es wird auch in Japan oft als Zugabe gespielt – und hier war von japanischer Zurückhaltung nichts mehr zu spüren: Junge und Alte folgten mit ihren Instrumenten der Einladung auf die Bühne, es wurde geklatscht und getanzt, kleine Kinder begleiteten auf der Bühne mit Rasseln und Schellenringen. Ob deutsch oder japanisch spielte jetzt überhaupt keine Rolle mehr - alle waren vereint durch die Musik.