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Memoiren zu zweit

"Damals als ich Wunderlich hieß" - so betitelte Hermann Weber den ersten Band seiner Erinnerungen, der vor vier Jahren erschien. Der Titel spielte auf den Decknamen an, den der Mannheimer Historiker einst als Kursant der SED-Parteihochschule in Liebenwalde, später in Kleinmachnow 1947/49 oktroyiert bekam. Die Memoiren, die die ersten zwei Jahrzehnte seines Lebens umfassten, spiegelten den Wandel des Jungkommunisten Weber zum kritischen Sozialisten wider. Die folgenden fünf Jahrzehnte seines Lebens, die seinen Aufstieg zum Nestor der bundesdeutschen DDR-Forschung und Hochschullehrer an der Universität Mannheim zum Inhalt haben, füllen nun den zweiten Memoiren-Band. Hermann Weber hat ihn gemeinsam mit seiner Frau Gerda geschrieben. Der Titel: "Leben nach dem 'Prinzip links'". Eine Rezension von Karl Wilhelm Fricke.

Von Wilhelm Fricke |
    Die Berliner Mauer in Kreuzberg, 1962
    Die Berliner Mauer in Kreuzberg, 1962 (Deutschlandradio)
    Memoiren zu Zweit? Die gemeinsame Autorenschaft beruht auf der Gemeinsamkeit eines politischen Lebens. Hermann Weber, als Sohn einer kommunistischen Arbeiterfamilie in Mannheim geboren, war 1945 der KPD beigetreten - Gerda Röder, Tochter einer sozialdemokratischen Familie in Perleberg/ Mark Brandenburg, hatte sich im selben Jahr für die SPD entschieden. Im Zuge der Zwangsvereinigung von KPD und SPD kam sie zur SED. Das war 1946. Im Herbst des Folge-Jahres kreuzten sich ihre Lebenswege. Er, inzwischen Jungfunktionär der KPD, und sie, mittlerweile Neulehrerin, begegneten sich als Kursanten der SED-Parteihochschule. Es war der Anfang ihres politischen Lebens zu Zweit. Nach ihrem Polit-Studium schien beiden eine Parteikarriere sicher. Er wurde Redakteur einer Zeitschrift der westdeutschen FDJ, sie Erste Sekretärin des Demokratischen Frauenbundes in Westdeutschland, einer ebenfalls von der KPD/ SED gelenkten Tarn-Organisation. 1951 schlossen beide den Bund fürs Leben: Gerda Weber im Blick zurück:

    "Seit unserem Studium an der Parteihochschule stand für Hermann und mich fest, dass wir zusammengehörten und alles tun wollten, um in Zukunft miteinander zu leben, und zwar in Westdeutschland. Das konnte ich als Parteikader nur mit Genehmigung von SED und KPD, Nachdem der DFD für Westdeutschland im April 1950 in Essen gegründet worden war und politisch geschulte Funktionärinnen gebraucht wurden, sahen wir das als Chance, unser Ziel zu erreichen."

    Die Memoiren von Hermann und Gerda Weber beginnen mit der Geschichte ihrer gemeinsamen Verfolgung durch die bundesdeutsche Strafjustiz. In jeweils eigenen Abschnitten berichten sie, wie sie in der Hoch-Zeit des Kalten Krieges unter der Beschuldigung illegaler kommunistischer Aktivitäten in Untersuchungshaft genommen werden - er im März 1953 in Essen, sie vier Monate später in Heidelberg. Bittere Ironie des Schicksals: Beide kommen hinter Gitter, als sie ihren Bruch mit der stalinistisch verkommenen Partei innerlich schon vollzogen, aber noch nicht offiziell erklärt haben. Nun, politisch verfolgt, behalten sie ihre Abkehr vom organisierten Kommunismus vorläufig für sich. Als sie nach jeweils rund sechs Monaten wieder frei sind - die Strafverfahren werden in beiden Fällen später eingestellt -, sehen sie sich, heimatlose Linke, von der KPD als Parteifeinde verfemt und als Verräter gebrandmarkt. Trotz ihrer fatalen Erfahrungen haben sich die beiden Webers ein differenzierendes Urteil über ihre Haft bewahrt. Ausdrücklich verwahren sie sich gegen jede Gleichsetzung mit der Entrechtung politischer Gefangener in der DDR, unter denen ja nicht zuletzt eigene Genossen waren: Hermann Weber schreibt:

    "Die Zahl der deutschen Kommunisten, die ihr Leben lang für die Partei gekämpft hatten und die unter falschen Anschuldigungen nun von ihren eigenen Genossen gequält wurden, ist erschreckend hoch (...) Drastischer konnte der Gegensatz nicht sein zwischen der Behandlung von uns kommunistischen Häftlingen in der Bundesrepublik und den kommunistischen Gefangenen in der DDR. Daher ist es absurd, wenn 'Kalter-Krieg-Komitees' versuchen, alle Haftopfer gleichzusetzen. Wir sind bis heute jedenfalls heilfroh und ahnten das auch seinerzeit schon, 'nur' im Gefängnis in Essen oder Heidelberg inhaftiert gewesen zu sein und nicht im 'gelben Elend' in Bautzen."

    Es sind solche Erinnerungen und Erlebnisse, die das gemeinsame Buch zu einem Spiegel der Zeitgeschichte machen, der die Brüche und Konflikte in der kommunistischen Bewegung reflektiert. Ergänzt jeweils durch Aufzeichnungen seiner Frau, stellt Hermann Weber seinen keineswegs leichten Lebensweg dar, der ihn vom kommunistischen Nachwuchskader zum renommierten Hochschullehrer, maßgebenden DDR-Experten und international anerkanntem Kommunismusforscher führt. Die Zeit-Genossen, die er kennen lernt, sind schier unüberschaubar. Das akribisch erstellte Personenregister der Memoiren umfasst über neun Druckseiten. Der Bogen spannt sich von Gleichgesinnten wie dem Sowjetologen Wolfgang Leonhard und dem aus der DDR geflüchteten FDJ-Zentralratssekretär und Honecker-Stellvertreter Heinz Lippmann bis zu abtrünnigen Alt-Kommunisten wie Kurt Müller, Alfred Kantorowicz und Erich Wollenberg, bis hin zu prominenten Sozialdemokraten, zumal nach Webers Beitritt zur SPD. Ins Blickfeld treten ebenso bundesdeutsche KP-Kader - unter ihnen der weithin unbekannte Harry Schmitt alias Ralf Forster, den Weber als "rabiaten Prototyp des stalinistischen Funktionärs" charakterisiert, eine Schlüsselfigur im Parteiapparat, seit den 1970er Jahren Drahtzieher einer geheimen Militärorganisation der DKP - der so genannten "Gruppe Forster".

    "Das Ziel der 'Gruppe Forster' war es, die Bundesrepublik zu zersetzen und eventuell im Krisen- oder gar Kriegsfall mit den in der DDR ausgebildeten DKP-Kadern militärisch einzugreifen. Erst mit dem Zusammenbruch des DDR-Regimes endeten die teuren und gefährlichen Partisanenspiele und Schmitts Verschwörungs-Geheimapparat."

    In die späten fünfziger, frühen sechziger Jahre, als sich Hermann Weber durch Zeitungsartikel und Vorträge in der politischen Bildungsarbeit über Wasser hält, fällt seine Mitwirkung an einer oppositionellen Zeitschrift, die unter dem Titel "Der dritte Weg" von 1959 bis 1964 erschien und von Heinz Lippmann redigiert wurde. Der Name war Programm. "Der dritte Weg" wollte kritischen Funktionären der SED eine Alternative zum Stalinismus wie zum Kapitalismus aufzeigen. Zitat:

    "Lippmann verstand es, das Blatt auf allen möglichen Wegen in die DDR zu schmuggeln. Von ihren IMs wusste die Stasi, dass von der Auflage mit 1.000 Exemplaren 800 in die DDR verschickt, aber von jeder Nummer nur jeweils 300 sichergestellt wurden - also 500 Hefte bei den Adressaten ankamen. Vor allem deswegen wurde das 'Renegaten-Zentrum 'Der dritte Weg' jahrelang fieberhaft überwacht und unterwandert."

    Logischerweise zog Hermann Weber damit das operative Interesse der DDR-Staatssicherheit auf sich. Spitzel werden an ihn herangespielt - mindestens fünf -, über die er mit gelassener Offenheit berichtet, auch über Professor Dietrich Staritz, seinen Kollegen beim Arbeitsbereich Geschichte und Politik der DDR an der Universität Mannheim. Nach der friedlichen Revolution der DDR wurde er als IM "Erich" enttarnt.
    In der Zeit nach seiner publizistischen Tätigkeit hatte Weber nämlich zu seiner eigentlichen Profession gefunden, zur Geschichtswissenschaft. Hochbegabt, erwirbt er die Hochschulreife, absolviert ein Universitätsstudium und wird promoviert. Bald erregen seine Forschungen zum Kommunismus und zur Geschichte der SED auf akademischem Terrain Aufsehen, speziell sein Buch "Ulbricht fälscht Geschichte". Binnen weniger Jahre erwirbt er sich in der Zunft Anerkennung im Westen und Anfeindung im Osten. Rückblickend schreibt der heute fast 80-Jährige:

    "Natürlich war es wohltuend, als 'Nestor der DDR- und deutschen Kommunismusforschung' im Westen allgemein anerkannt zu sein, aber noch schien mir die Ehrung unangemessen, auch weil ich mich mit meinen 60 Jahren zu jung fühlte. Doch das Lob half, die ständigen Beschimpfungen von Seiten der SED leichter hinzunehmen. Denn die unqualifizierten Angriffe der DDR-Historiker, oft sogar Verbalinjurien gegen meine Person und wissenschaftliche Arbeit, unterblieben ja erst mit dem Untergang des SED-Regimes und der Auflösung seiner Institutionen."

    Das Buch von Hermann und Gerda Weber ist Autobiographie, Erinnerung, Zeitzeugenbericht und historische Analyse. Eine ehrliche Lebensbilanz, gewiss nicht frei von selbstgefälligen Zügen, wie sie Memoiren häufig aufweisen. Aber fraglos hat Hermann Weber auch Grund genug, auf seine Lebensleistung stolz zu sein. Sorgfältige Recherchen und Quellennachweise, Auszüge aus Stasi-Akten und anderen Dokumenten qualifizieren das Buch als validen Beitrag zur Zeitgeschichte und zur Historie des organisierten Kommunismus. Dabei blieben die beiden Webers ungeachtet allen Wandels ihrem Prinzip treu, dem "Prinzip links".

    "Für uns steht der Begriff 'links' in der Tradition der Aufklärung, mit den Zielen Freiheit, Demokratie und soziale Gerechtigkeit."

    Hermann und Gerda Weber schreiben in einer klaren, schnörkellosen, gut verständlichen Sprache, meinungsfreudig, eindeutig da, wo sie werten und urteilen. Ein opulentes Erinnerungsbuch, das vor Augen führt, wie Wort und Tat keinen Gegensatz bilden müssen. "Nur wer sich ändert, bleibt sich treu" - hat Wolf Biermann einmal formuliert. Es könnte das Lebensmotto der beiden Webers sein.

    Hermann und Gerda Weber: Leben nach dem "Prinzip Links". Erinnerungen aus fünf Jahrzehnten. Ch. Links Verlag Berlin 2006, 480 Seiten, Euro 19,90