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Memorial
Russische Menschenrechtler vor Gericht

Für die russische Menschenrechtsorganisation Memorial geht es ab heute vor Gericht um ihre Zukunft. Das Moskauer Verwaltungsgericht prüft einen Antrag des Justizministeriums, die Organisation aufzulösen. Das Ministerium hatte das mit der Organisationsstruktur von Memorial begründet. Die Menschenrechtler haben schon reagiert.

Von Markus Sambale |
    Politiker legen an einer Stalin-Büste Blumen nieder.
    Die Menschenrechtler von Memorial wenden sich auch gegen Gedenkfeiern für Stalin wie diese im Mai 2013 in Moskau. (picture alliance / dpa / Vladimir Fedorenko)
    Die Menschenrechtler von Memorial gehören zu den bekanntesten und unbequemsten in Russland: Seit 25 Jahren setzen sie sich dafür ein, an die Verbrechen und die Millionen Opfer des Stalinismus zu erinnern.
    Memorial hat sich aber auch bei aktuellen Ereignissen eingeschaltet, während der Tschetschenien-Kriege und auch im Krieg in der Ost-Ukraine. Politikern im Kreml sind die Aktivisten deshalb ein Dorn im Auge. Die Menschenrechtler beklagen wie auch andere Nichtregierungsorganisationen Schikane der russischen Behörden.
    Offiziell entscheidet das Oberste Gericht in Moskau nun nicht über eine konkrete Aktion von Memorial, sondern über eine rein formale Frage. Hintergrund ist die Organisationsstruktur von Memorial. Es gibt ein kompliziertes Geflecht aus zahlreichen Unterorganisationen und Dachverbänden - für den Laien kaum zu durchschauen. Elena Schemkowa von Memorial erklärt:
    "Das Koordinierungszentrum von Memorial befindet sich in Moskau. Ich bin sehr stolz darauf, dass in unserem Gremium nicht nur Moskauer sind, sondern Vertreter aus verschiedenen Teilen Russlands. Dem Justizministerium gefällt das nicht, weil das ein Zeichen von Unabhängigkeit ist. Heutzutage mag die Staatsmacht Unabhängigkeit nicht besonders."
    Memorial-Vertreter bleiben zuversichtlich
    Das Justizministerium hat konkret den russischen Dachverband "Memorial Russland" im Visier. Dessen Satzung entspreche nicht den aktuellen Gesetzen, hieß es. Das Ministerium verlangte, der Dachverband müsse deshalb aufgelöst werden.
    Zwar haben die Menschenrechtler ihre Satzung inzwischen verändert, das Verfahren lief aber weiter. Die Vertreterin von Memorial gibt sich dennoch zuversichtlich:
    "Ich kann noch nicht sagen, wie der Prozess ausgeht. Ich hoffe, dass das Gericht unsere Argumente akzeptiert, wegen der Veränderungen, die wir vor Kurzem in der Satzung vorgenommen haben. Das Justizministerium hat uns leider nicht angehört. Aber wir hoffen, dass das Gericht das tun wird. Wir hoffen auf einen Sieg."
    Wenn dieser Sieg ausbleibt, dann wird es unangenehm für die Menschenrechtler von Memorial in Russland. Eine Auflösung der russischen Dach-Organisation brächte Dutzende regionale Gruppen in Schwierigkeiten.
    Erinnerungen an Stalin-Zeit verblassen
    Doch die Existenz von Memorial insgesamt ist nicht bedroht. Das versichern die Betroffenen. Trotz juristischer Hürden werde die Arbeit weitergehen. Die Heinrich-Böll-Stiftung, die mit Memorial zusammenarbeitet, äußerte sich kürzlich besorgt wegen des wachsenden staatlichen Drucks, wies aber ebenfalls darauf hin: Es gebe im Moment keinen Grund zur Panik, was die Zukunft von Memorial angehe.
    Die Arbeit der Menschenrechtler dürfte ohnehin mühsamer werden: Mit wachsendem Patriotismus und Nationalismus in Russland verblasst die Erinnerung an die Verbrechen der Stalin-Zeit. Nach einer aktuellen Umfrage sehen die Russen Diktator Josef Stalin zunehmend in einem positiven Licht – inzwischen mehr als 50 Prozent der Bevölkerung.