"Die einzigen Menschen, über die ich mir so viele Gedanken mache, sind die Männer, in die ich verliebt bin und die Frauen, in die sie verliebt sind."
Sophia Fritz stellt schon im ersten Satz ihrer Kurzgeschichte Fallhöhe her und schafft Raum - für vergebliches Begehren, für Erinnerungen, für das Unwiederbringliche. Damit hat Sophia Fritz auch gewonnen. Den Menantes-Literaturpreis für erotische Dichtung. Der wird alle zwei Jahre vergeben von der evangelischen Kirchgemeinde Wandersleben in Thüringen. Deren Pfarrer Bernd Kramer ist es, der den Wettbewerb 2006 mitinitiiert hat. Die Frage, was Erotik in der Kirche zu suchen habe, ist er gewöhnt.
"Ich höre immer die eine oder andere Stimme: 'Was hat das mit christlicher Verkündigung zu tun?' Aber da muss ich mittlerweile schon lächeln, denn vor zwei Jahren war das Hohelied Salomo Bestandteil der deutschlandweiten Bibelwoche. Und wenn da nicht der Groschen gefallen ist bei meinen Kollegen und Amtsbrüdern und -schwestern, dann tun die mir auch ein bisschen leid. Erotik und Liebe und Sexualität kommen in der Bibel überall vor."
"Wir wollten das Andenken lebendig erhalten"
Christian Friedrich Hunold, der unter dem Pseudonym Menantes schrieb, ist der Namensgeber des Literaturpreises. Der barocke Dichter und Librettist - und anderem auch für Kantaten von Johann Sebastian Bach - wurde 1680 in Wandersleben geboren und hat auch hocherotische Texte verfaßt. Cornelia Hobohm sagt:
"Wir wollten gern das Andenken dieses Autors lebendig erhalten. Wir haben ja eine Gedenkstätte hier, das ist die eine Seite. Also, man kann einen Dichter ehren, indem man Vitrinen hinstellt, da Bücher reinlegt, ein Portrait an die Wand hängt; da droht aber ein Autor zu verstauben, konserviert zu werden. Und ich finde, man kann nur dann sich einem Dichter, der auch schon lange wieder vergessen war, nähern, wenn man den am Leben erhält. Und so kam uns die Idee eines Wettbewerbs."
"Für die Erotik ging's offenbar"
"Der Körper folgt noch den gleichen Bewegungen wie damals, du wiegst deine Hüften, schiebst die Gitarre vor und zurück. Deine Stimme ist besser geworden und deine Lyrics, wie Salz in meine Wunde. Mein Mann applaudiert und geht, er hat noch zu tun, ich bin erleichtert. Bin panisch, weil auch du verschwunden bist. Bis du endlich von hinten die Hand mir auf den Rücken legst, die Hand eines Gitarristen, und ich weiß, du kennst den Weg von meinen Brüsten über den Bauchnabel weiter in mich hinein, du kennst mein Innerstes, du kratzt mich von innen so lange, bis ich blute."
Barbara Rieger aus Wien hat den Publikumspreis des Menantes-Literaturwettbewerbs gewonnen. Für ihren Text "Ich hätte dich, hätte dich so sehr" über ein Paar und einen Mann aus der Vergangenheit und die Versuchung.
"Wenn ich ganz ehrlich bin: Ich hatte diesen Text zu einer Ausschreibung zum Thema 'Liebe' geschrieben eigentlich. Da wurde er nicht genommen (lacht). Aber für die Erotik ging's offenbar."
Zwischen Pornografie und Liebeslyrik
Das Problem sieht auch die Jury: Anspruchsvolle Erotik in der Literatur bewegt sich auf einem schmalen Grat. Cornelia Hobohm hat in den vergangenen Jahren Tausende Einsendungen gelesen.
"Das Spannungsfeld bewegt sich schon zwischen Pornografie und hoher Liebeslyrik. Aber was ich festgestellt habe als Resümee in den sieben Wettbewerben: Es ist eher wenig Porno - was wir am Anfang befürchtet haben -, eher das Gegenteil. Wir haben schon eine Menge sehr, sehr schöne Liebeslyrik gelesen, sehr schöne Kurzprosa gelesen, haben dann aber als Jury oftmals zusammengesessen und uns gefragt: Wo bleibt die Erotik?"
Bernd Kramer hat überhaupt kein Problem damit, dass auch Pornografisches eingereicht wird:
"Auch Pornographisches gehört zum Menschsein dazu. Es geht ja eher darum: Mach ich da ein Geschäft damit? Und Sie wissen: Jeder Minderjährige kann auf seinem Smartphone die härtesten Sachen konsumieren. Und das ist das Gegenstück zu dem, was wir wollen. Das ist aber ein Kontrastprogramm, was vorhanden ist in unserer Gesellschaft! Trotzdem gibt es auch einen engen und merkwürdigen Umgang mit Sexualität – auch aus religiöser Sicht."
Kirche und Sexulität - ein großer Fettnapf
"Ich glaube, man kann alles erotisieren. Und je ferner die Gegenstände sind … Ich glaube, ich könnte das auch mit einem Stift machen. Und dann ist es vielleicht feinsinniger. Also je abstrakter man das macht, umso schöner finde ich es."
Das hat auch die Regie so gesehen, als sie der 22-jährigen Sophia Fritz den Menantes-Preis zuerkannte. Dass sich die Kirche mit erotischer Literatur beschäftigt, findet sie großartig.
"Ich bin sehr begeistert von dem ganzen Ambiente, auch weil ich mich letztes Jahr auch sehr mit Religion auseinandergesetzt habe, mit der Kirche, und ich lange auch Ministrantin war als Kind. Und ich finde es sehr gut, wenn die Kirche sich mit dem Leben beschäftigt: Kirche macht das, ist neugierig auf das Leben. Und das finde ich schön."
Den Einwand, dass die protestantische Kirche als weniger sinnesfreudig gilt denn die katholische, will sie nicht kommentieren.
"Ich weiß nicht, ob man die katholische … Also, ich will über die katholische Kirche nichts Sexuelles sagen wollen. So viele Fettnäpfchen, oder? Ein großer Fettnapf, eine Fritteuse!"
"Mit Erotik kann man wunderbar Theologie betreiben"
Auch Roland Bärwinkel, einer der fünf Finalisten, kann kein Problem mit dem Thema Erotik in der Kirche erkennen.
"Gleichwohl glaube ich, dass das nichts zu tun hat mit dem, was an Vorstellungskraft in den Köpfen läuft. Und das können Sie mir glauben: Es ist egal, ob man Christ ist oder nicht. Das verbindet uns."
Bernd Kramer, der so einige Probleme beim Umgang der Kirchen mit Sexualität und Erotik erkennt, ist optimistisch für die Zukunft.
"Ich denke, wir sind auf einem guten Weg; wir helfen mit! (lacht) Also, ich kann nur sagen, dass man mit Erotik wunderbar Theologie betreiben kann. Da gibt's so viele biblische Geschichten, wo das vorkommt! Und wenn man das als Einstieg für Menschen auch nimmt, die ins Fragen gekommen sind zum christlichen Glauben, kann man wunderbar auch Menschen etwas erklären. Das ist für mich immer eine Art Dreieck: Liebe – Erotik/Sexualität und Nächstenliebe. Und dass man bei alldem die Verantwortung für die Mitmenschen nicht vergisst, auch im sexuellen Begehren nicht."