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Mendelssohns "Elias"
Temperamentvolle Inszenierung

Der Komponist Felix Mendelssohn-Bartholdy hat elf Jahre an seinem Oratorium "Elias" gearbeitet: Er dialogisierte das Libretto und verzichtete auf einen Erzähler. So kann man der Handlung mit ihren überraschenden Wendungen unmittelbarer folgen. Dirigent Thomas Engelbrock inszeniert den "Elias" mit der entsprechenden Emphase.

Von Christoph Vratz |
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    Dirigent Thomas Hengelbrock inszeniert Mendelsohns "Elias" voller Verve, aber nicht überakzentuiert. (picture-alliance / dpa / Malte Christians)
    Heute würde man wohl von einem Event sprechen: 2.000 Menschen im Saal, knapp 300 Sänger und über 120 Orchestermusiker auf der Bühne – dazu ein neuer Star als Dirigent.
    Es ist August 1846. Felix Mendelssohn wird in England als der neue Händel gefeiert, nachdem er die Uraufführung seines neuen Oratoriums "Elias" dirigiert hat – ein großer Triumph für den 36-jährigen Deutschen!
    Jetzt ist eine neue Aufnahme des "Elias" bei ‚deutsche harmonia mundi‘/Sony Music erschienen, mit Thomas Hengelbrock und seinem Balthasar-Neumann-Ensemble.
    Musik: Felix Mendelssohn-Bartholdy
    "So wahr der Herr", aus: Elias
    Am Anfang stehen choralartig lange, düstere Bläserakkorde, die zwischendurch an Schärfe gewinnen. Dazu erklingen, mit gebieterischer Strenge, die Worte des Propheten Elias, der den Israeliten eine lange Dürre verkündet. Erst am Ende, beim "Ich sage es denn", schleicht sich erstmals eine gewisse Milde ein.
    Dass Felix Mendelssohn Bartholdy seinen "Elias" – nach dem "Paulus" sein zweites großes Oratorium – direkt mit der Handlung eröffnet, hat er sich möglicherweise bei Händels "Israel in Egypt" abgeschaut – ein Werk, das er 1833, also dreizehn Jahre vor der Uraufführung seines "Elias", in Düsseldorf dirigiert hatte. Denn erst nach diesem prophetischen Fluchwort folgt die Ouvertüre des Orchesters.
    Musik: Felix Mendelssohn-Bartholdy
    Ouvertüre, aus: Elias
    Mendelssohn hat seine Ouvertüre durchgängig als große Steigerungsfuge angelegt, beginnend mit den tiefen Streichern, kulminierend in einem großen Tutti, an dessen Ende die markanten, geradezu fanfarenartigen Bläser herausragen. Dann setzt der Chor ein – und liefert eine Antwort, die sich unmittelbar auf die düsteren Worte des Propheten vom Beginn bezieht: "Hilf, Herr! Hilf, Herr! willst du uns denn gar vertilgen?"
    Musik: Felix Mendelssohn-Bartholdy
    Hilf, Herr, aus: Elias
    Am 29. Januar 2016 haben Thomas Hengelbrock und der von ihm 1991 gegründete Chor sowie das ebenfalls das nach Balthasar Neumann benannte Orchester, das auf historischen Instrumenten spielt, Felix Mendelssohn Bartholdys "Elias" im Konzerthaus Dortmund aufgeführt. Nun ist der Mitschnitt auf einer Doppel-CD erschienen.
    Orchestrale Farben
    Bereits zu Beginn dieser Aufnahme kommt die ganze Wucht und existenzialistische Unmittelbarkeit des Oratoriums wunderbar zur Geltung: Der daktylische Rhythmus am Beginn von Elias‘ Prophezeiung klingt bei Hengelbrock archaisch und todesnah. In der Ouvertüre gelingt es ihm, die Strenge der Fugenform sehr transparent, und, im weiteren Verlauf, den sinfonischen Gestus mit vielen orchestralen Farben abzubilden. Beim Einsatz des Chors schließlich ergibt sich eine ausgezeichnete Balance zwischen den homophon geführten Stimmen der Sänger und den schmerzensreich wirkenden Harmonien im Orchester.
    Mit diesem Ansatz, die einzelnen Episoden zu einem dramatischen Ganzen zu verbinden, versucht Hengelbrock, den Intentionen des Komponisten zu entsprechen. Denn Mendelssohn-Bartholdy, der – von der Suche nach einem geeigneten Stoff bis zur Revision kurz nach der Uraufführung – rund elf Jahre an seinem "Elias" gearbeitet hat, verzichtet in diesem Oratorium auf einen Erzähler. Anders gesagt: Das Libretto ist so dialogisiert, dass die Handlung dem Hörer nicht als Tatsachenbericht vermittelt wird, sondern als ein unmittelbar sich vollziehendes Geschehen. Alle diese Momente der Spannung und die vielen überraschenden Wendungen hat Mendelssohn-Bartholdy mit der entsprechenden Emphase auskomponiert. Etwa in der Szene, wenn nach drei quälenden Jahren das Ende der Dürre bevorsteht. Dreimal verhallt der Ruf der Baals-Anhänger, denen Elias seine Aufforderung "Rufet lauter" entgegenstellt. Die Wechsel zwischen den fast höhnischen Rufen (in den Rezitativen des Elias) und der immer erregter agierenden Volkes-Stimme fangen die Musiker unter Thomas Hengelbrocks Leitung ungemein plastisch ein – bis hin zu den hohen, fast gellenden Flötentönen und den abschließenden, schroffen Akkorden des Orchesters, die am Ende mit den Rufen des Chores abwechseln, bevor eine gespenstische wirkende Pause einsetzt.
    Musik: Felix Mendelssohn-Bartholdy
    Rufet lauter, aus: Elias
    Erst im vergangenen März erschien der Mittschnitt einer "Elias"-Aufführung mit der Akademie für Alte Musik Berlin unter Hans-Christoph Rademann. Anders als die Einspielungen unter Frieder Bernius oder Herbert Blomstedt (um nur die wichtigsten Vergleichsaufnahmen der letzten rund zehn Jahre zu nennen) spielen die Berliner auf historischen Instrumenten – und nun bietet Hengelbrock mit seinem Balthasar-Neumann-Ensemble eine mindestens gleichwertige Alternative – auch dank der vergleichsweise schlanken instrumentalen Besetzung, während der Chor mit rund 50 Sängern keineswegs schmal besetzt ist.
    Bohrend Intensiv
    Bei Hengelbrock treten die einzelnen Details der Instrumentierung deutlich hervor. Farben und Klang der alten Instrumente bewirken, dass dieser "Elias" einerseits etwas Kammermusikalisches hat – in den vielen Details, die hörbar werden – andererseits wirken die Tutti-Stellen bohrend intensiv, kraftvoll, unmittelbar. Für ein stimmiges Gesamtbild braucht es aber auch einen entsprechenden Darsteller des Elias. Michael Nagy gelingt eine ungemein plastische Darstellung; zum einen weil er, liedgeschult, sehr textverständlich singt; zum anderen weil er in den aufbrausenden Passagen über die nötige bassreiche Grundierung verfügt, um die Autorität seiner prophetischen Rolle auszufüllen; und schließlich, weil ihm in den Arien eine subtile Innenschau in die Seele des Elias gelingt, etwa in der Arie "Es ist genug" im zweiten Teil des Oratoriums.
    Mendelssohn Bartholdys zeichnet seinen Elias als einen Menschen voller schwankender Gefühlsregungen, resolut, resignierend, hoffend, leidend. Nagy singt all das sehr glaubwürdig. Übrigens hat Mendelssohn sich hier an Bachs "Es ist vollbracht" aus der Johannes-Passion orientiert, zu Beginn bei der Violoncello-Begleitung.
    Musik: Felix Mendelssohn-Bartholdy
    Es ist genug, aus: Elias
    Neben Michael Nagy singen die Sopranistin Genia Kühmeier, Ann Hallenberg (Alt) und der Tenor Lothar Odinius. Sie alle bilden ein auffallend homogenes Ensemble, mit fein aufeinander abgestimmten Stimmen – und vor allem: mit perfekter Kongruenz zum Orchester. Das nun ist auch Thomas Hengelbrocks Verdienst. Er formt Chor, Solisten und Instrumentalisten zu einer Einheit, auch im zweiten Teil des Oratoriums, wo sich Elias permanent am Rande seiner persönlichen Niederlage bewegt. Das zeigt sich besonders im dialogischen Rezitativ "Steh du auf": Auf die sanft mahnenden Worte des Engels, mit den behutsam, fast zärtlich begleitenden Streichern, antwortet Elias entschlossen, ja verbittert und wird dabei vom ganzen Orchester begleitet: Die Vorzüge historischer Instrumente kommen hier uneingeschränkt zur Geltung, mit scharfen Akzenten und einem eher schroffen Klang – doch ohne dass Michael Nagy dabei zugedeckt wird.
    Musik: Felix Mendelssohn-Bartholdy
    Steh du auf, Elias, aus: Elias
    Die eigentliche Handlung des "Elias" endet mit dessen Himmelfahrt und einem Chor-Satz. Hier wollte Mendelssohn sein Werk ursprünglich beschließen, doch sein theologischer Berater und Text-Bearbeiter Julius Schubring drängte ihn zu einer abschließenden Deutung der Elias-Figur im Lichte des Neuen Testaments. Doch für die heutige CD-Präsentation soll der Chor "Und der Prophet Elias brach hervor wie ein Feuer" den Schlusspunkt bilden; denn hier sind alle Vorzüge dieser Aufnahme noch einmal exemplarisch versammelt: Die sehr genaue und gleichzeitig emphatische Lesart von Mendelssohn Bartholdys Partitur, voller Verve und Eindringlichkeit, rhythmisch pointiert, aber nicht überakzentuiert.
    Vorgestellte CD:

    Felix Mendelssohn-Bartholdy: "Elias"

    Genia Kühmeier (Sopran), Ann Hallenberg (Alt), Lothar Odinius (Tenor), Michael Nagy (Bariton´), Balthasar-Neumann-Chor, Balthasar-Neumann-Ensemble, Thomas Hengelbrock (Ltg.)

    deutsche harmonia mundi CD 88985364562; 889853645628