Archiv

Wechseljahrsbeschwerden
Zeit, die Menopause abzuschaffen?

Die Wechseljahre sind für viele Frauen eine persönliche Katastrophe und ein globales Gesundheitsproblem obendrein. Man sollte sie abschaffen, fordert die Neurowissenschaftlerin Jennifer Garrison. Dafür will sie an der biologischen Uhr drehen.

Von Christine Westerhaus |
Portrait (Auschnitt) einer schwarzen Frau in drei unterschiedlichen Lebensaltern, von jung (links) nach älter (rechts) (Symbolbild)
Die Attraktivität von Frauen schwindet nicht zwangsläufig mit dem Alter - wohl aber die Fruchtbarkeit und die Hormonproduktion. Ein archaisches, korrekturbedürftiges Relikt der Evolution? (imago/Panthermedia)
Klimakterium, Wechseljahre, Stufenjahre. Für den Umbruch, der die Menopause begleitet, gibt es zwar viele Bezeichnungen, verstanden sind die Vorgänge aber immer noch nicht. Evolutionsbiologisch ist es paradox, dass Organismen weiterleben, obwohl sie sich nicht mehr fortpflanzen können. Und sie ist nahezu ein Alleinstellungsmerkmal des Menschen: Außer uns gibt es nur ein paar Walspezies, die ihre Fortpflanzung lange vor dem Tod einstellen. Ist die Menopause also eine Sackgasse der Evolution und sollte abgeschafft werden, wie die Neurowissenschaftlerin Jennifer Garrison vorschlägt? Und wie soll das überhaupt gehen? 
„Ich habe das in einer Zeitung gelesen, in der 'Brigitte' war das glaube ich. Dass das die Zeit ist, wo wir uns unsere Spitzenunterwäsche versauen. Durch diese ständigen Schmierblutungen, die unvorhergesehenen... Und das ist ja eine Zeit, auf die man wirklich verzichten kann.“

Das sagt meine Freundin Annett über die Wechseljahre. Wir sind fast gleich alt, beide Anfang 50. Versaute Spitzenhöschen sind jetzt nicht so mein Problem. Aber irgendwie hat sie recht – wer braucht schon nervige Zwischenblutungen. Oder regelrechte Sturzblutungen, so wie meine Mutter sie oft hatte, kurz vor der Menopause:

„Ich bin ja jetzt schon 74. Das ist ja nun schon eine ganze Weile her, aber ich kann mich an bestimmte Dinge noch ganz gut erinnern. Ich hatte total ja mit Schlafstörungen zu tun, Stimmungsschwankungen, trockene Haut und Augen und alles Mögliche, das war wirklich nicht angenehm.“

Ein bisschen dauert es bei mir hoffentlich noch mit den Wechseljahren. Trotzdem frage ich mich: Warum bin ich meinem Körper so ausgeliefert? Und was hat das eigentlich alles für einen Sinn? Haben wir im 21. Jahrhundert keine anderen Optionen?

Ende der Eizellen-Produktion gleich Ende der Hormon-Produktion

Mitten im Leben stellen die Eierstöcke ihre Funktion ein. Wir Frauen bezahlen dafür einen hohen Preis. Nicht nur, dass wir keine Kinder mehr bekommen können. Wir kämpfen mit Hitzewallungen und Schlafmangel, trockener Vagina und Gedächtnisstörungen. Jenseits der Menopause steigt zudem das Risiko für Herzkreislauferkrankungen und Knochenschwund.

Stefan Schlatt, Reproduktionsbiologe am Universitätsklinikum Münster: „Ich meine, das ist ja eigentlich totaler Quatsch. Jetzt passiert da mitten im Leben plötzlich das Ende der Follikelreifung bei der Frau, was natürlich gleichzeitig bedeutet, dass sie auch keine Hormone mehr produziert, was sie ja eigentlich hinfällig macht. Also der krumme Rücken, die trockene Haut, das nicht gut schlafen. All die Steroidmangelsymptome treten dann plötzlich auf, was ja eigentlich völliger Unsinn ist. Und wirklich, das macht jetzt keinen Sinn.“

Schuld an diesem Unsinn sind die Eierstöcke, sagt Stefan Schlatt. Denn sie stoppen nicht nur die Produktion von Eizellen. Auch Steroidhormone wie das Östrogen werden dort nach der Menopause nicht mehr gebildet.

„Bei der Frau ist Gameten-Reifung und Steroid-Freisetzung gekoppelt. Also ihre Follikel produzieren das Östrogen. Das ist bei mir anders. Bei mir findet in den Hoden-Tubuli, da findet die Spermatogenese und im Interstitium die Steroidogenese statt. Ich kann also unabhängig diese beiden Prozesse regeln. Das kann die Frau nicht. Ist ein bisschen ungerecht für die Frau. Aber so ist es eben.“

Neurowissenschaftlerin mit radikaler Mission

So ist es eben – Generationen wechseljahrsgeplagter Frauen haben sich so ihre Bewältigungsstrategie gebaut. Durchhalten, hinnehmen, Kräutertee trinken. Neuerdings immerhin gibt es Hormone, samt Risiko und Nebenwirkung. Aber muss es wirklich so bleiben? Am Buck Institut für Altersforschung im kalifornischen Novato forscht eine Neurowissenschaftlerin, die genau das nicht mehr akzeptieren will.

Ich erreiche sie bei einer Konferenz in Kopenhagen. Sie heißt Jennifer Garrison, tingelt viel durch die Weltgeschichte, tritt in Fernsehsendungen auf. Ihre Mission: Die Menopause abschaffen.

„Ich denke, wir sind so weit, dass wir diese Dinge, die mit uns passieren, nicht mehr einfach so hinnehmen müssen ohne wenigstens zu versuchen, etwas dagegen zu tun. Ich meine, wir sprechen hier über einen Aspekt der Gleichberechtigung, richtig? Dass Frauen das Ende ihrer Fruchtbarkeit in der Mitte des Lebens trifft, ist etwas, das alle Aspekte ihres erwachsenen Lebens beeinflusst. Die Menopause tritt genau in dem Moment ein, in dem die meisten Frauen auf dem Höhepunkt ihrer Karriere stehen. Und Männer müssen sich nicht damit herumschlagen. Es gibt diese eine Studie, die gezeigt hat: Mehr als 40 Prozent aller Frauen haben wegen Wechseljahrsbeschwerden schon darüber nachgedacht, ihren Job hinzuschmeißen. Es hat also wirklich einen tiefen Einfluss auf Frauen.“

Garrison will einen Weg finden, die Wechseljahre auszubremsen. Nicht nur mit Hormonpflastern. Sie will viel grundsätzlicher an der biologischen Uhr drehen. „Das ist eine sehr große Forschungsfrage. Und deshalb versuchen wir, auf der ganzen Welt so viele Wissenschaftler wie möglich zu rekrutieren. Ich verbringe gerade viel Zeit damit, Spendengelder für Forschungsprojekte zu sammeln. Denn je mehr Geld wir sammeln, umso mehr Stipendien können wir an Wissenschaftler vergeben.“

Persönliches Desaster für Frauen - und globales Gesundheitsproblem

Die Investition könnte sich lohnen. „Ich kann Ihnen ein paar Daten schicken. Weltweit werden 2025 schätzungsweise eine Milliarde Frauen in der Menopause sein. Eine Milliarde! Und ihre Behandlung wird die Gesundheitssysteme etwa 600 Milliarden Dollar pro Jahr kosten. Dazu kommt noch die verminderte Leistungsfähigkeit. Die Kosten dafür werden auf 150 Milliarden Dollar pro Jahr geschätzt.“
Im Jahr 2021 gab es in der deutschsprachigen Bevölkerung ab 14 Jahre rund 31,88 Millionen Frauen, die nie Schmerzmittel gegen Beschwerden in den Wechseljahren verwendeten
Garrisons Botschaft: Die Wechseljahre sind ein globales Gesundheitsproblem und für Frauen ein persönliches Desaster. Wir sollten gegensteuern – wenn wir es können. Die Weichen werden schon im Mutterleib gestellt. Denn der Zeitpunkt der Menopause hängt unter anderem an der Zahl der Eizellen. Stefan Schlatt:

„Wir haben ja im Prinzip bei der Frau einen Schatz, der gebildet worden ist, sehr früh in der Entwicklung. Der besteht zunächst mal aus einigen Millionen Eizellen, die sich aus primären Keimzellen entwickelt haben. Und von dem Zeitpunkt, an, wo sie gebildet sind, sterben diese Zellen auch wieder. Das heißt jede Frau hat im frühen Embryonalstadium die allermeisten Follikel. Und von da an bis zur Geburt sind schon mal die Hälfte nicht mehr da. Und dann geht es so weiter. Und wenn dieser Pool dann endgültig erschöpft ist, also so weit erschöpft ist, dass keine normale Rekrutierung von Follikeln mehr stattfinden kann, dann setzt die Menopause ein.“

Wann das passiert, kann sehr unterschiedlich sein. Bei manchen Frauen beginnen die Wechseljahre schon mit Ende 30. Andere haben noch mit Ende 50 ihre Periode. Die Gründe sind noch nicht in allen Einzelheiten geklärt. Doch Studien belegen: Es gibt Faktoren, die vor frühen Wechseljahren schützen: Häufige Schwangerschaften und langes Stillen zögern die Menopause statistisch gesehen hinaus. Ebenso wie regelmäßiger Sex. Ganz grundsätzlich gilt: Je länger Eizellen überleben, umso später setzen die Wechseljahre ein.

Alterungsprozess der Eierstöcke aufhalten

Hier möchte Jennifer Garrison mit ihrer Forschung ansetzen: „Unser erstes Ziel ist, die Eizellen in einem makellosen Zustand zu erhalten. Die Frage ist: Wie können wir verhindern, dass die Qualität der Zellen abnimmt? Wie schaffen wir es, dass die Eizellen, die eine Frau noch übrighat, wenn sie 40 wird, alle in einer guten Qualität sind?“

Der Verfall des Eierstockgewebes lässt sich womöglich lokal durch die Gabe von Medikamenten stoppen: Ein Kandidat ist der Anti-Aging-Wirkstoff Rapamycin. Laborversuche haben gezeigt. Dieses Immunsuppressivum kann die Eierstöcke von Mäusen vor Schädigungen schützen, die durch eine Chemotherapie hervorgerufen werden. Ob Rapamycin beim Menschen genauso wirkt, ist unklar. Und will man tatsächlich die Nebenwirkungen eines Immunsuppressivums in Kauf nehmen?
Doch es wäre theoretisch eine Möglichkeit, den Alterungsprozess der Eierstöcke aufzuhalten. Damit wäre die Hormonproduktion weiterhin gesichert - in einer viel präziseren Dosis, als Hormonpflaster sie heute liefern. Es ist nur ein Ansatz von vielen, den die Forschung verfolgt. Eigentlich will Garrison tiefer ansetzen, an den Wurzeln.

„Eierstöcke sind das erste Organ, das altert und es verfällt Jahrzehnte früher und zweieinhalb mal schneller als andere Gewebe im Körper. Für mich ist die wichtigste Frage, die ich beantworten will: Was setzt diese Alterungsprozesse in Gang? Wir müssen verstehen, welcher biologische Hinweis oder welches Signal dem weiblichen Reproduktionssystem mitteilt, dass es mit dem Abbau beginnen soll, wenn eine Frau in ihren Zwanzigern ist.“

Die tickende Uhr im Kopf

Die Neurowissenschaftlerin vermutet, dass die Menopause über eine Art Zeitschaltuhr gesteuert wird. Eine Art Kontrollzentrum im Gehirn, in dem viele Fäden zusammenlaufen. Es erhält Signale aus dem ganzen Körper und kann auch auf die Eierstöcke Einfluss nehmen. Ist eine Frau etwa krank, überlastet, hungert sie, dann setzt der Organismus die Regelblutung aus.

„Wenn ich von Schaltkreisen spreche, meine ich Gruppen von Neuronen verbunden über unterschiedliche Hirnregionen, die zusammen einen bestimmten Aspekt der Physiologie oder des Verhaltens steuern. Wir wissen schon etwas darüber, wie solche Schaltkreise bei jungen Tieren aussehen. Und die Frage ist jetzt: Wie verändert sich die Aktivität, wie die Art der Neuronen miteinander zu sprechen mit dem Alter? Wenn wir das verstehen, können wir vielleicht eingreifen, um zu sehen, ob das zum Niedergang der Eierstöcke beiträgt.“
Diese Statistik zeigt das Ergebnis einer Umfrage unter Frauen in Österreich zum Sexualleben in/nach den Wechseljahren. Im Jahr 2019 gaben rund 41 Prozent der Befragten an, dass die Wechseljahre ihr Sexualleben verändert haben.
Im Jahr 2019 gaben rund 41 Prozent der Befragten an, dass die Wechseljahre ihr Sexualleben verändert haben. (Gynial)
Denn womöglich senden diese neuronalen Netzwerke den Eierstöcken den Befehl zum Rückzug schon viel früher als anderen Organen. Auch die Gene bestimmen über den Zeitpunkt der Menopause. Und das erklärt vermutlich einen weiteren Zusammenhang: Frauen, die spät in die Menopause kommen, leben statistisch gesehen länger.

„Ich zeige oft in meinen Vorträgen eine Folie. Sie demonstriert, wie die reproduktive Phase von Frauen mit ihrer Lebenserwartung korreliert. Und als nächstes zeige ich dann eine Textbox, die erklärt: Auch die Brüder der Frauen, die spät in die Menopause kommen, leben länger. Das ist dann meistens der Moment, in dem auch die Männer im Publikum aufschauen und aufmerksam werden. Und dann fangen sie an, ihren Schwestern SMS zu schicken.“

Es sind Indizien. Kleine Puzzleteile, die Jennifer Garrison und ihre Mitstreiterinnen zu einem Gesamtbild zusammenfügen möchte. Noch stehen sie mit ihrer Suche nach der tickenden Uhr ganz am Anfang – denn die Besonderheiten des weiblichen Körpers wurden lange vernachlässigt in einer männlich dominierten Forschung.
Eine Schwertwal-Gruppe mit Jungtieren schwimmt an der Meeresoberfläche
Orca-Weibchen werden bis zu 90 Jahre alt - auch sie leben noch lange nach ihren Wechseljahren (imago/Joe McDonald)

Gleiche Evolutionsstrategie sonst nur bei Walen

Doch mal angenommen, es gelingt, die Zeit anzuhalten: Was wäre der Preis, den Frauen dafür bezahlen müssten? Was, wenn das Eingreifen nicht nur medizinisch riskant ist, sondern die Menopause einen Nutzen hat, der sich in unserer heutigen Lebenswelt nicht mehr erschließt?

Der Mensch steht fast allein auf weiter Flur. Unter den Säugetieren finden sich nur ein paar Walarten, die wie wir über die Wechseljahre hinaus noch viele Jahre weiterleben. Der Meeresbiologe Michael Weiss: „Ich finde die Menopause faszinierend. Denn sie ist ein Beispiel dafür, wie in der Evolution eine sehr interessante und seltene Lebensstrategie entsteht, die sich aufgrund von sozialen Beschränkungen und Vorteilen entwickelt hat.“

Am Center for Whale Research in Friday Habor studiert Michael Weiss das Verhalten von Orcas, auch Killerwale genannt. Die Männchen sterben meist schon mit 50. Die Weibchen hingegen werden bis zu 90 Jahre alt. Doch schon mit etwa 40 stoppen sie ihre Fortpflanzung. Orcas sind eine von vier Walarten, die wie wir Menschen die Produktion ihrer Eizellen frühzeitig einstellen.

„Ich denke, das große Mysterium der Menopause ist: Wir Evolutionsbiologen haben ja dieses Konzept der Fitness-Optimierung. Verhaltensweisen und Merkmale entstehen, weil sie deine Fitness maximieren. Und das bemisst sich vor allem in der Zahl der Nachkommen, die ein Individuum produziert, und wieviele die Nachkommen der Nachkommen. Wie groß also der Beitrag zum Genpool der Population ausfällt.“

Nach der Menopause können Weibchen ihre Gene nicht mehr weitergeben. Doch was, wenn ihre Töchter es tun? Evolutionsbiologen kennen viele Beispiele in der Natur, wo diese so genannte Verwandtenselektion Vorteile bringt. Bei Orcas scheint dieses Prinzip besonders gut zu funktionieren. Denn sie leben in kleinen Gruppen zusammen.

„Das hat etwas mit der Verwandtschafts-Dynamik zu tun. Denn die Nachkommen der Orcas bleiben ja meist in der Familie. Wenn ein Weibchen 40 ist, sind wahrscheinlich die meisten anderen Wale in der Herde ihre Kinder.“

"Großmutter-Hypothese" könnte Menopause erklären

Jede Investition in das Überleben anderer Gruppenmitglieder zahlt sich also aus. Denn die Kinder und Enkel sorgen dafür, dass die eigenen Gene erhalten bleiben. Eine Rechnung, die womöglich auch bei uns Menschen aufgegangen ist und dazu geführt hat, dass ältere Frauen ihre Fortpflanzung zugunsten jüngerer aufgegeben haben.

Was sich in der Vorzeit tatsächlich abgespielt hat, lässt sich heutzutage kaum nachvollziehen. Doch Kristen Hawkes von der Universität von Utah hat bei den Hazda Hinweise gefunden, dass diese „Großmutter-Hypothese“ auch beim Menschen die treibende Kraft war. Mitte der 90er Jahre untersuchte die Anthropologin die Lebensweise dieser in Nord-Tansania lebenden Naturvölker. Ihr besonderes Interesse galt der Ernährung der Hazda: Sie wollte wissen: Wer leistet welchen Beitrag zur Versorgung der Gruppe?

„Wir haben uns natürlich angesehen, wieviel durch die Jagd erbeutet wurde. Und wenn ein großes Tier erlegt wurde: Klar war das immer eine große Sache. Alle kamen und versammelten sich um den Kadaver."

Doch die Vorstellung von heldenhaften Jägern, die tagtäglich wertvolles Fleisch erbeuteten, um Frauen und Kinder zu versorgen, hatte nicht viel mit dem Lebensalltag der Hazda zu tun. „Obwohl die Jäger wirklich sehr effektiv waren, lag ihre Erfolgsquote unter fünf Prozent. Sie sind also jeden Tag auf die Jagd gegangen, haben aber im Schnitt in 96,5 Prozent aller Fälle nichts erbeutet. Aber Menschen müssen jeden Tag etwas essen, vor allem die kleinen Kinder.“

Um die täglichen Mahlzeiten kümmerten sich vor allem die Frauen. Sie sammelten essbare Pflanzen, Früchte und nahrhafte Knollen, die mühsam aus dem harten Boden herausgeholt werden mussten. „Ich wundere mich immer noch darüber, wie lange es gedauert hat, bis bei mir der Groschen gefallen ist. Ich hatte all diese Stunden in der glühenden Sonne verbracht und diesen alten Damen dabei zugesehen, wie sie diese tief vergrabenen Wurzeln herausholten. Obwohl schon weit in ihren Sechzigern waren sie genauso effektiv bei der Nahrungsbeschaffung wie Frauen im gebärfähigen Alter.“
Eine Hütte der indigenen Hazda in Tansania, an einem Baum davor ein aufgespanntes Fell
Die indigenen Hazda sind Jäger und Sammler - für das tägliche Überleben sorgen vor allem die Frauen (imago/PantherMedia/Davide Guidolin)

Evolutionäres Muster spielt heute keine Rolle mehr...

Hawkes und ihr Team konnten zeigen, dass das Schicksal kleiner Kinder sehr eng an den Sammelerfolg ihrer Großmütter geknüpft war. „Wir haben gesehen, dass das Körpergewicht abgestillter Kinder mit der Menge an Nahrung korrelierte, die ihre Mütter sammelten. Bis diese ein neues Baby bekamen. Ab diesem Zeitpunkt korrelierte das Gewicht der Kinder mit der Nahrungsmenge, die ihre Großmütter sammelten.“

Die alten Frauen versorgten die kleinen Kinder also mit Nahrung und entlasteten damit ihre Töchter und Söhne. Dadurch konnten diese erneut Nachwuchs bekommen und sich um das neue Baby kümmern.

Womöglich hat sich diese Aufteilung in der Vorzeit als vorteilhaft erwiesen. Denkbar ist aber auch ein anderes Szenario: Vielleicht mussten ältere Frauen ihre eigene Fortpflanzung aufgeben, weil ihre Kinder schlechtere Überlebenschancen hatten, als die Babys jüngerer Frauen. Für ein solches Szenario spricht ein Phänomen, das Michael Weiss bei den Orcas beobachtet hat.

„Wenn bei den Killerwalen die Mütter und Töchter gleichzeitig Junge haben, ist die Sterblichkeit der Nachkommen des älteren Weibchens viel größer. Die Jungen verenden, weil die Mütter um Ressourcen konkurrieren. Wir denken, das ist der Grund, warum Orcas dann aufhören, sich fortzupflanzen. Und wahrscheinlich ist es beim Menschen genauso: Sie vermeiden die kostspielige Konkurrenz um Ressourcen mit ihren Töchtern.“

Die Großmutter-Hypothese erscheint plausibel. Überprüfen lässt sie sich in unserer heutigen westlichen Lebenswelt jedoch kaum. Denn selbst wenn Großmütter für das Überleben der Enkelkinder einst so wichtig waren: Heutzutage ist es ihre Unterstützung nicht mehr - zumindest nicht im globalen Norden.

...und vielleicht stimmt die ganze Hypothese auch gar nicht

Und die Theorie ist auch nicht unumstritten. Stefan Schlatt: „Also jetzt müssen wir ja darüber reden, was die Biologie bei uns vorgesehen hat an longevity, also an Lebenserwartung. Das stimmt ja mit dem modernen Menschen überhaupt nicht mehr mit dem überein, was eigentlich in so einem Primatenleben gedacht war. Also mit 40 sind wir eigentlich alt, die maximale Leistungsbereitschaft schon mit 25. Die maximale Fertilität ist mit 25 da. Eigentlich sind wir mit 40 alt. Das ist nur in der modernen Gesellschaft der Fall, dass wir sehr, sehr viel länger leben, als biologisch vorgesehen.“

Das wichtigste Argument der Kritiker der Großmütter-Hypothese: Falls es in der Steinzeit Frauen über 50 gab, war das die große Ausnahme. Womöglich standen Frauen jenseits der Menopause also nie auf dem Plan der Evolution, sagt Stefan Schlatt. Und vielleicht ist das der Grund, warum menschliche Eizellen schon mit Mitte vierzig ihr maximales Haltbarkeitsdatum erreichen: „Die Menopause ist ein komischer Seitenzweig, bei dem wir riskieren, ein Organ ausfallen zu lassen, weil die Gefahr zu groß ist, mit den alten Eizellen Unsinn zu produzieren. Dann sagt irgendwann die Evolution: Jetzt wird es zu gefährlich, diese alten Eizellen, die sollte man lieber nicht verwenden und machen zu.“

Aber wenn wir die Eizellen im Alter gar nicht zur Fortpflanzung nutzen, sondern den Körper nur länger mit Hormonen versorgen wollen – dann spricht doch eigentlich nichts dagegen, die Eierstöcke länger jung zu halten? Stefan Schlatt: „Wir haben ja so viel abgeschafft, was wir als Menschen nicht mehr so doll finden. Die Biologie bei uns, die tut uns ja manchmal weh. Also ich glaube, natürlich kann man das überlegen, wir Menschen reproduzieren uns noch sehr archaisch Und wenn man das vernünftig aussetzen könnte, wäre es kein Problem.“

Viele Frauen sehen Eingriff in den natürlichen Ablauf skeptisch

Wir ersetzen abgenutzte Hüftgelenke und undichte Herzklappen. Reparieren Zähne, die nicht mehr zubeißen können, und verhüten mit der Pille. Warum nicht auch den Eierstöcken auf die Sprünge helfen? Für Stefan Schlatt durchaus eine Option. Aber wie sehen das seine Patientinnen?

„Ist eine interessante Frage, weil immer, wenn ich Frauen danach frage: ‚Stellen Sie sich vor, es gäbe eine Pille, mit der sie 20 Jahre lang ihre Regel aussetzen können. Und danach geht es ganz normal weiter.‘ Dann ist die Reaktion immer: „Nö, nö.“ Jetzt wird zwar immer gemeckert, wenn man seine Mensis hat oder gemeckert, wenn man Schweißausbrüche hat, wenn man etwas älter ist als Frau. Aber das gehört dann irgendwie doch wieder zum Normalen. Alles andere ist irgendwie unnormal.“

Das hätte ich nicht erwartet. Ich höre mich im Freundes- und Familienkreis um. Bei Annett, sie ist selbst Ärztin: „Ich halte es für Machbarkeitswahn. Also ich finde auch, wie lange soll man denn - sollen diese ganzen biologischen Funktionen bis zum Tod dann irgendwie funktionieren? Oder wann hört man denn dann auf?“

Und meiner Mutter Anne, die mit ihren 74 Jahren schon längst durch ist mit dem Thema: „Ja also, mit solchen Dingen bin ich immer sehr skeptisch. Ich bin ja ein Fan von der Natur, und das werde ich immer mehr, umso älter ich werde. Und ich möchte da nicht eingreifen.“

Ich starte auch eine kleine Anfrage in einer Facebook-Gruppe. Auch da viel Skepsis: „Nein, ich würde sicher kein Versuchskarnickel machen, um womöglich danach wesentlich schlimmere Probleme zu haben.“ „Meine Eierstöcke dürfen ruhig altern. Wieso nicht, mein ganzer Körper wird älter.“ „Kein Eingriff in die Natur kann gesund sein, meine Meinung!“

Garrison: "Es geht nicht um längere Fruchtbarkeit"

Die meisten können sich nicht vorstellen, dass sowas gut gehen kann. Aber vielleicht können sie sich bloß nicht vorstellen, wie viel besser das Alter ohne die Wechseljahre sein könnte. Einige jedenfalls sind offen für Garrisons Projekt: „Ich war an einem Punkt, da hätte ich alles ausprobiert.“

Wer weiß, was unseren Enkelinnen irgendwann zur Verfügung stehen wird? Dann sagen die rückblickend auf uns: „die armen Frauen früher“. „Für mich klingt das interessant. Ich habe mit 39 Jahren versucht, mit dem zweiten Kind schwanger zu werden. Aber mein Körper hatte andere Pläne. Stattdessen hatte ich mit beginnenden Wechseljahren zu kämpfen. Ich fühle mich noch viel zu jung für diesen Sch...“

Jennifer Garrison ist sich ihrer Sache sicher: „Diese Idee, dass die Menopause etwas Natürliches ist und wir deshalb nicht damit herumexperimentieren sollten – ich finde das irreführend. Denn es gibt nur sehr wenige Spezies, die eine Menopause durchlaufen. Sie ist also kein biologischer Imperativ. Nichts, was notwendig ist.“

Und es gibt noch etwas, das Jennifer Garrison gerne betonen möchte: Sie will Frauen nicht zu ewiger Fruchtbarkeit verhelfen. „Um das klar zu machen: Wir reden nicht davon, Frauen Schwangerschaften zu ermöglichen, wenn sie schon 70 sind. Dazu braucht es viel mehr als nur funktionierende Eierstöcke. Denn eine Schwangerschaft ist ein sehr gravierendes Ereignis für den Körper und verändert den Organismus dramatisch. Worum es hier geht ist: Frauen gesund zu halten, wenn sie älter werden. Wir wollen, dass ihre Knochen stark bleiben, ihre Gehirne klar denken können und ihre Herzen ordentlich funktionieren. Ergibt das Sinn?"

Ist die Zeit reif?

Wir verhindern Schwangerschaften und helfen mit künstlicher Befruchtung nach, wenn sie ausbleiben. Noch 1978 galt die Geburt von Louise Brown als moralische Grenzüberschreitung. Sie war das erste Baby, das im Reagenzglas gezeugt wurde. Inzwischen gibt es weltweit rund 10 Millionen Kinder, die durch künstliche Befruchtungen entstanden sind. Widerstand regt sich kaum noch gegen diese Eingriffe in die Natur.
Jetzt auch noch die Menopause unter die Kontrolle der Medizin zu bringen, sei kein Hexenwerk, sagt Stefan Schlatt. Für ihn ist die Frage eher, ob die Zeit reif ist dafür: „Es ist das gleiche Argument, was wir auch in der Reproduktionsmedizin sehr oft hören, dass das eben die Reproduktion irgendwie immer als etwas Natürliches angesehen wird, was ganz wichtig ist, was ganz nahe ist, was ganz individuell ist und die Reproduktionsfunktionen auch. Und die Frau sich sehr stark mit dieser Dysfunktion - würde ich mal fast sagen - abgefunden hat und damit lebt. Sich darüber ein gutes Stück auch identifiziert. Man müsste da einen kompletten Wechsel machen, in der inneren Einstellung.“

Ich frage mich: Wie steht es um meine eigene innere Einstellung? Alt werden ohne das Chaos der Wechseljahre, und ohne die Folgen des Hormonmangels? Mit starken Knochen und fit im Kopf! Aber auch ich habe kein gutes Gefühl bei dem Gedanken, so stark in meine Biologie einzugreifen. Was, wenn es doch einen Preis gibt? Für meine Mutter hat sich erst auf den zweiten Blick erschlossen, dass es nach der Menopause auch etwas zu gewinnen gibt.

„Das heißt nicht umsonst Wechsel-Jahre. Es ist einfach jetzt, Zeit, sich um sich selber zu kümmern. Neue Wege auszuprobieren, zu sich selbst zu kommen. Ja. Und man kann auch mit mit den Enkelkindern entspannter umgehen. Und die Dinge alle nicht mehr so eng nehmen.“