Dieser sprechende Wecker auf dem Nachttisch läutet für Jürgen Haack den Tag ein:
"Der Wecker wird um 7:03 Uhr klingeln."
Der 69-Jährige ist so gut wie blind:
"Man nennt das hochgradig sehbehindert, das ist ein Sehvermögen noch von zwei Prozent. Ich kann also nicht geradeaus gucken, dann erkenne ich gar nichts."
Und was er am Rande noch erkenne, gleiche einer Nebelwand. Vor fünf Jahren bekam Jürgen Haack die Diagnose: Makuladegeneration. Eine unheilbar fortschreitende Augenerkrankung. Mit der Ansage vom Augenarzt fühlte sich der ehemalige Büroangestellte zunächst ziemlich allein gelassen - ohne jede Hilfestellung. Erst von anderen Augenärzten erfuhr er von der amtlichen Beratungsstelle für Sehbehinderte, in der er dann auch nützliche Ratschläge bekam.
Etwa dass er einen Antrag auf Schwerbehinderung stellen kann. Doch ihm zustehende Hilfen wirklich zu bekommen, war trotzdem mühsam:
"Ich musste mir das doch mehr oder weniger selber erarbeiten, wo ich hin muss, was ich beantragen muss, wie ich das machen muss, man muss ja dann auch zum Gutachter, man muss das einreichen."
Versorgungsamt und Krankenkasse waren wichtige Adressen, wo er zahlreiche Anträge und Formulare einreichen musste. Erst als er die Anerkennung als 100-Prozent-Schwerbeschädigter hatte, wurde es einfacher für ihn.
Denn nun darf Jürgen Haack öffentliche Verkehrsmittel kostenlos benutzen - sogar mit Begleitperson - und bekommt ein Blindengeld, das bei seiner Schwere der Erkrankung in Berlin rund 500 Euro im Monat beträgt. Außerdem bezahlt die Krankenkasse jetzt viele Hilfsmittel.
Eigenständigkeit kostet
Doch der Rentner greift auch selbst tief in die Tasche, um sich möglichst viel Eigenständigkeit zu wahren. Etwa für die orangen Brillengläser, die er beim Interview trägt.
"Das ist mit Kantenfilter, dass ich die Konturen besser sehe, aber diese Brille zum Beispiel kostet 800 Euro, da hat sich die Krankenkasse nicht dran beteiligt. Da habe ich lediglich 36 Euro bekommen, das was jeder andere Patient, der sich Gläser verschreiben lässt, auch bekommt."
Haack hat sich inzwischen ein ganzes Arsenal von Spezialbrillen und Okularen zugelegt, mit deren Hilfe und viel Geduld er mühsam Texte entziffern kann oder Bilder im Fernsehen erahnen. Dazu kommen sprechende Geräte wie der Wecker: eine Taschenuhr, die die Zeit ansagt, ein spezieller CD-Player für Audio-CDs, durch unterschiedlich geformte Tasten für Blinde einfach zu bedienen, und ein Dokumentenscanner, der die eingescannten Texte vorliest. Kostprobe mit einem Brief:
"Sehr geehrter Herr Haack, wir freuen uns, Ihnen heute Ihre DBSV-Karte überreichen zu dürfen."
Sein Lieblingsgerät ist derzeit aber ein neuer Tablet-PC, dem man Texte diktieren kann und der ebenfalls vorliest. Damit kann der Rentner jetzt auch E-Mails empfangen und schreiben und im Internet surfen. Die Kommandos dafür lernt er auf eigene Kosten im Blindenhilfswerk.
Besonders schwierig wird es für Jürgen Haack, wenn er die eigene Wohnung verlässt. Lange tat er das nur mit dem Blindenabzeichen am Revers - einem Anstecker mit drei schwarzen Punkten auf gelbem Grund.
"Ich bin im Sommer zweimal angefahren worden. Von Radfahrern. Weil die Radfahrer dieses kleine Blindenzeichen nicht erkennen."
Lange Wartelisten für Mobilitätskurse
Daher hat er sich durchgerungen, einen weißen Taststock vor sich herzuschieben. Seither erlebt er Rad- und Autofahrer rücksichtsvoller. Doch den Stock benutzt er als Autodidakt, orientiert sich an der Pflasterriffelung und Bordsteinkanten. Es gibt spezielle Mobilitätskurse, wie man Blindenstöcke benutzt, die werden auch von der Krankenkasse finanziert, haben aber lange Wartelisten. Da steht Jürgen Haack auch drauf, nachdem er durch Leidensgenossen informiert wurde, dass es solche Angebote gibt.
"Das habe ich erfahren vor drei Jahren, als ich in den ABSV ging, in den Allgemeinen Blinden- und Sehbehinderten-Verein, ein Selbsthilfeverein, der ausschließlich für Blinde und Sehbehinderte gedacht ist."
Als Erleichterung im Alltag wünscht er sich mehr abgesenkte Bordsteine an Kreuzungen und Ampelanlagen, die durch Pieptöne und Vibration signalisieren, wenn sie auf Grün für Fußgänger umschalten. Außerdem:
"Es wäre schön, wenn wir endlich Busse bekommen würden, wo einem angesagt wird, welcher Bus das ist, zum Beispiel der M 46. Das wäre super."
Vom geplanten Bundesteilhabegesetz hat Jürgen Haack noch nichts gehört. Er nimmt seine Augenerkrankung tapfer als persönliche Herausforderung. Die gesellschaftliche Teilhabe liege auch an einem selbst, findet Jürgen Haack. Er geht beispielsweise auch ins Theater und alleine einkaufen. Er nennt nur zwei Dinge, auf die er nun gänzlich verzichtet: ein Auto steuern. Und: seiner Frau das Fensterputzen abnehmen.