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Menschen mit Behinderung
Kritik am Bundesteilhabegesetz

Schon lange wurde eine Reform des Teilhabegesetzes erwartet. Ein aktueller Gesetzesentwurf soll nun Sach- und Geldleistungen für Menschen mit Behinderung neu regeln und ihnen ein selbstbestimmteres Leben ermöglichen. Allerdings stoßen die Neuerungen auf Widerstand vonseiten der Verbände und von Menschen mit Behinderung.

Von Katrin Sanders |
    Kernarbeitszeit in den Bonner Werkstätten für Menschen mit Behinderung. 1.100 Menschen verbringen hier ihren Arbeitstag, zum Beispiel beim Tütchenpacken mit je zehn Einzelteilen. Keins zu viel und keins zu wenig - Dorothea Welsch kann das:
    "Jeder behinderte Mensch hat ein Recht auf Arbeit, und ich bin froh, dass es behinderte Menschen gibt und diese tolle Arbeit machen," kommentiert Werkstattrat Mario Assmann.
    Er ist Verpackungsspezialist für Medikamente im selben Werk. Im letzten Jahr hat er ausprobiert, ob er es auch draußen, außerhalb einer Werkstatt schafft. Mit Erfolg.
    "Auch lernbehinderte Menschen können draußen arbeiten."
    Ein neues Teilhaberecht ist überfällig
    Alternativen zur Werkstatt, selbst entscheiden, sich weiterentwickeln, raus aus der Gruppenversorgung auf der Arbeit oder beim Wohnen, mehr Individualität bei der Planung von Hilfen - das ist das große Versprechen des Gesetzentwurfs, der heute in erster Lesung im Bundestag beraten wurde. Die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen gibt die Richtung vor. Das neue Teilhaberecht, das gleiche Lebensbedingungen in allen Bundesländern sicherstellt, ist überfällig sagt Karl-Wilhelm Rößler, Jurist beim Kompetenzzentrum "Selbstbestimmt leben".

    "Man muss sich auch vor Augen halten, dass das jetzige System bereits aus den 60er Jahren stammt. Anfang der 60er Jahre - damals war eben ganz klar Fürsorge: Wir wissen, was gut für euch ist. Und wir wissen das vor allem besser als ihr selbst. Das ist überhaupt nicht mehr haltbar."
    "Raus aus dem alten Fürsorgegedanken"
    Jetzt sollen die Eingliederungshilfen reformiert werden: raus aus dem alten Fürsorgegedanken. Doch Fachleute aus der Selbsthilfe, den Sozialverbänden oder Gewerkschaften benennen vor allem zahlreiche Ungereimtheiten im Entwurf:
    "Wie passt das Wunsch- und Wahlrecht, das künftig bei der Hilfeplanung gelten soll zum Stichwort Zwangspoolen?", fragt Corinna Rüffer, behindertenpolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion.

    "Das ist ein Wort, das wir vorher gar nicht kannten. Im Gesetz steht, das Leistungen regelhaft gemeinschaftlich in Anspruch genommen werden."
    Also nicht mit einem Alltagsbegleiter allein einkaufen oder ins Kino gehen, sondern sich mit anderen abstimmen, in welchen Kinofilm oder in welches Geschäft man gemeinsam gebracht werden will. Unzumutbar ist das für Karl-Wilhelm Rößler, zumal er auch in Zukunft die bewilligten Hilfen für Mittel Dienst- und Pflegeleistungen aus eigener Tasche mitfinanzieren muss. Daran ändern auch die künftig höheren Grenzen für das Schonvermögen nichts, bislang durfte er nur 2.600 Euro besitzen, um überhaupt in den Genuss von Eingliederungshilfen zu kommen:

    "Das wird schrittweise erhöht auf 52.000 Euro. Das ist erwiesenermaßen durchaus ein Fortschritt."
    Bundesteilhabegesetz bläst Wind ins Gesicht
    Der ihn allerdings an anderer Stelle teuer zu stehen kommt, zum Beispiel, wenn mit dem Bundesteilhabegesetz künftig der Mietkostenzuschuss klar begrenzt wird und dann nur noch marktübliche Mieten übernommen werden, in Nordrhein-Westfahlen trifft diese Regelung mehr als die Hälfte der Menschen mit Behinderung hart, die jetzt selbstständig in eigener Wohnung leben. Sollen sie so gedrängt werden, in die Heime zurückzuziehen?

    "Der Gedanke des Sparens ist dem Gesetz in vielen Dingen anzumerken. Mann muss sich dabei vor Augen halten: Es nicht nur die Schaffung eines neuen Teilhaberechts, sondern die weitere Aufgabe war auch ganz klar vorgegeben: die Begrenzung der Kostendynamik im Bereich der Eingliederungshilfe."
    Und schließlich wird kritisch hinterfragt, wer in Zukunft überhaupt Zugang zu den Hilfen zur Teilhabe bekommen soll - im Entwurf unter dem Kürzel "fünf von neun" geregelt. Es besagt: "Nur Leute, die in fünf Lebensbereichen Unterstützung brauchen, um das vereinfacht zu sagen, werden zukünftig Eingliederungshilfe beziehen. Es wird einen Bestandsschutz geben, aber für Leute, die später Bedarfe haben, wird das dann gelten."
    Um welche Bereiche es da gehen soll: Essen, Werkstattbesuch, Alltagsbegleitung – und wie der Hilfebedarf gewichtet wird, ist noch vollkommen unklar. Kein Wunder, dass dem Bundesteilhabegesetz der Wind ins Gesicht bläst.