Was geht da vor sich im Land am Amazonas? Brasilien ist ein Paradies für die Verbreitung der Überträgermücken. Es ist sehr warm, feucht, und viele Menschen leben auf engem Raum beieinander. Dazu herrscht vielerorts eine prekäre Wasser- und Abwasserversorgung. Das sind gute Voraussetzungen für die Verbreitung und Ausdifferenzierung von Mücken und ihren Viren.
Eine wichtige Frage ist, wo die Viren überdauern. Nur in den Mücken? In den Urwäldern? In anderen Tieren? Bei Gelbfieber ist inzwischen klar, dass verschiedene Affenarten von Mücken im Wald infiziert werden. Bei intakten Ökosystemen mit hoher Biodiversität blieben Viren und ihre "Reservoirs", die Mücken und Affen im Wald, so lautet eine These. Kommen die Menschen mit ihren Städten den Wäldern zu nahe? Hat die Ausbreitung von Mücken und ihren Viren mit der Abholzung zu tun? Oder mit ganz anderen ökologischen Faktoren?
Hörtipp: Menschen, Viren und der Wald: Brasilien im ökologischen Ungleichgewicht
"Ich bin Tiermediziner und trotzdem arbeite ich zur menschlichen Gesundheit. Die menschliche, die tierische und die Gesundheit der Umwelt gehören zusammen. Zum Beispiel Dengue und Chikungunya: Das waren ursprünglich Krankheiten bei Affen. Auch das Zika Virus wurde erstmals in Affen entdeckt."
Zika: Vor drei Jahren kamen in Brasilien tausende Babys mit zu kleinem Kopf auf die Welt. Die Mütter dieser Kinder hatten sich während der Schwangerschaft mit dem Zika Virus infiziert. Einige beobachteten einen Hautausschlag, aber viele merkten davon nichts. Ein paar Jahre zuvor wütete in Brasilien Dengue, das "Knochenbrecherfieber". Nun grassiert das tödliche Gelbfieber. Jedes Jahr ein neues Virus, das Millionen Menschen befällt? Was ist nur los in Brasilien?
Wenn jemand einen Ausflug in den Wald unternimmt und einen toten Affen sichtet - dann will die Zoologin Marcia Chame davon erfahren. Sie senkt ihren Kopf über ein Handy. Auf dem Bildschirm poppt das "Programm zur Überwachung der Waldgesundheit" auf. Marcia Chame hat diese Handy-App entwickelt. Sie sitzt mit ihrer Assistentin im epidemiologischen Institut Oswaldo Cruz in Rio de Janeiro. Wer ein Tier in der Natur beobachtet, das verletzt oder tot ist, kann es über die App sofort melden.
Etwa 3.000 Menschen haben sich seit 2014 für die App registriert und geben regelmäßig ihre Tierbeobachtungen durch. Oft sind es Leute, die in Nationalparks arbeiten. Oder sie führen Exkursionsgruppen durch Naturparks. Die App überträgt auch den GPS-Standort, sagt Marcia Chame.
"Du wirst von einer Frage zur nächsten geleitet. Beispielsweise sollst Du angeben, ob dem Tier Speichel aus dem Maul rinnt. Und ob Du sicher bist, um was für ein Tier es sich handelt - einen Affen, ein Wildschwein, oder was auch immer. Du wirst gebeten, den Fundort zu beschreiben. Ob Du draußen in freier Natur bist, ob Gebäude in der Nähe stehen, ob Du in einer Stadt bist, oder auf dem Lande. Wir wollen wissen, ob Du an einem Fluss stehst, ob dort beispielsweise eine Naturkatastrophe stattgefunden hat. Oder ob Du Dich womöglich in einem abgeholzten Urwald befindest. All diese Informationen zeigen uns, was dort los ist."
Unzugänglich und dünn besiedelt
Auf dem Bildschirm öffnet sich eine Brasilienkarte. Die meisten Meldungen kommen aus den südlichen Bundesstaaten Brasiliens. Der Norden mit seinem Amazonasgebiet ist unzugänglich und dünn besiedelt, sagt Marcia Chame. Trotz illegaler Abholzung ist Brasilien immer noch das Land mit der größten geschlossenen Urwaldfläche der Welt. Eines der Großökosysteme ist der atlantische Regenwald, der sich an der Küste entlang zieht. Hier finden sich die meisten toten Affen.
"Auf der Landkarte verfolgen wir in Jetzt-Zeit alle neuen Meldungen. Wir können jede Meldung einzeln anklicken. Dann erscheint das Foto des Tieres. Sobald wir ein totes Tier gemeldet bekommen, erhalten wir eine Art Alarm e-mail. Wir wollen augenblicklich reagieren", sagt Marcia Chame.
Tote Affen werden von den Gesundheitsbehörden der Bundesstaaten seziert. Gerade jetzt, wo in Brasilien die Gelbfieberepidemie wütet, werden alle Tier-Totfunde aus den Urwäldern beurteilt. Zwar ist das Gelbfieber seit Jahrhunderten in Brasilien bekannt und es gibt eine Impfung dagegen. Doch in Südbrasilien, wo ein Großteil der Bevölkerung nicht geimpft ist, sind in den letzten 24 Monaten über 600 Menschen gestorben. Tote Affen gelten als Warnsignal für die sich ausbreitende Gelbfieber-Epidemie, die von Mücken übertragen wird.
"Inzwischen haben wir etwa 300 Affen gemeldet bekommen. Das ist nicht viel, aber es ist nicht einfach, Affen zu sichten. Allerdings sehen wir zur Zeit viele, da viele sterben."
Die Wissenschaftlerin spricht von 10.000 Affen, die in Brasilien in den letzten zwei Jahren Opfer von Gelbfieber wurden.
Mitte Januar ist es brütend heiß und feucht in Rio. Wir haben Hochsommer, Regenzeit - und Mückenzeit. An einem Gesundheitsposten im Stadtteil Copacabana stehen Menschen in langen Schlangen und warten auf ihre Impfung. Manche kommen zu spät, ihnen wird mitgeteilt, dass sie am nächsten Tag wiederkommen sollen. Es gibt einfach nicht genug Impfstoff. An manchen Tagen bricht Panik aus.
Beschränkung auf den silvatischen Zyklus
Seit Anfang des Jahres breitet sich Gelbfieber im Staat Rio de Janeiro rapide aus. Schon im letzten Jahr gab es im Bundesstaat vereinzelt Fälle. Was, wenn die Epidemie auf die 10-Millionen Stadt Rio de Janeiro übergreift, oder gar auf die 20-Millionen Metropole São Paulo? Experten befürchten dann Tausende Tote.
Zum Glück beschränkt sich das Gelbfieber-Virus in Brasilien noch immer auf den sogenannten silvatischen Zyklus, den Zyklus im Wald. Betroffen sind nur Menschen, die in der Nähe von Wäldern leben. Alle hoffen auf die kühlere Jahreszeit zwischen Juni und August. Da fliegen weniger Mücken und auch den Viren ist es dann zu kalt. Unterdessen versucht die Regierung mit großangelegten Impfkampagnen die Menschen in Südbrasilien flächendeckend zu impfen.
Das Gelbfieber-Virus ist ein sogenanntes Flavivirus, ein einfach gebautes Virus, das keine doppelsträngige DNA, sondern nur eine einzelsträngige RNA besitzt. Es ist seit den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts erforscht. Seitdem ist auch klar, dass das Virus von Mücken übertragen wird. In den Städten ist die ägyptische Tigermücke der Vektor für das Virus. Sie überträgt auch das Chikungunya Fieber. Außerdem das für schwangere Frauen gefährliche Zika-Virus und das zuweilen tödliche Dengue-Virus.
Der letzte urbane Gelbfieberzyklus trat vor 80 Jahren auf. Danach zog sich das Virus in die Wälder zurück, wo es von anderen Mücken übertragen wird und ein Refugium in Affen findet. Affen sind zur Zeit ein großes Thema in Brasilien. Viele Menschen haben Angst, dass sie ansteckend sind. Dabei übertragen Affen eine Infektion nie direkt. Für eine Infektion ist immer eine Mücke verantwortlich.
"Die ägyptische Tigermücke Aedes aegypti finden wir nur in Wohngegenden. Hier im botanischen Garten von Rio fehlt sie komplett. Regelmäßig hängen die Stadtverwaltung und das Oswaldo Cruz Institut Mückenfallen in die Bäume. Nicht einmal die typischen Waldmücken Sabethes und Haemagogus fangen sie hier. Denn das sind Mücken der Baumkronen. Unser Wäldchen im botanischen Garten beherbergt nur die typischen Mücken der Waldränder. Die echten Waldmücken leben in den Bergen, im Inneren des Urwalds."
Warnrufe, Fressrufe und Sammelrufe
Die Primatologin Cristiane Rangel steht unter einer Baumgruppe im Botanischen Garten. Sie erforscht das Verhalten der Affen. Gerade sucht sie mit den Augen die Äste nach Sagui-Affen ab, die hier in kleinen Gruppen die Bäume bevölkern. Vor allem lauscht Cristiane Rangel, denn sie erkennt die Affen-Gruppen und ihre Leittiere an den schrillen Tönen, die fast wie Grillenzirpen klingen. Es gibt Warnrufe, Fressrufe und Sammelrufe, erklärt sie.
In jedem Brasilien-Reisebuch wird ein Ausflug in den botanischen Garten von Rio de Janeiro empfohlen. Er ist eine kühle, grüne Oase mitten in der lauten Stadt. Morgens üben hier Leute Tai Chi, mittags spazieren Einheimische unter den schattigen alten Bäumen. Das Wäldchen am Ende des botanischen Gartens geht über in den riesigen Tijuca-Nationalpark, der sich über lange Bergketten duch Rio de Janeiro zieht.
"Hier in der Bundeshauptstadt haben wir nur noch den sogenannten 'gehaubten Kapuzineraffen' als heimische Affenart. Früher lebten auf diesem Gebiet sieben oder acht Affenarten. Aber sie sind im Lauf des Wachstums der Stadt ausgestorben. Unser Kapuzineraffe ist der klügste Affe des ganzen amerikanischen Kontinents. Er passte sich gut an die Menschen und die Stadt an. Neben dem Kapuzineraffen haben wir den eingeschleppten 'Sagui', auf Latein Callithrix, ein Krallenäffchen. Leider vermehrt es sich gut und bewegt sich durch die gesamte Stadt. Hier in der Nähe, im Naturreservat Tinguá, hatten wir schon Krallenäffchen, die an Gelbfieber gestorben sind."
Affen sind wie die Menschen Opfer von Mücken. Nur die weibliche Mücke sticht. Sie braucht das Blut, um danach ihre Eier abzulegen. Die legt sie in Baumhöhlen, Pfützen oder anderes stehendes Wasser, wo die Brut nach etwa sieben Tagen schlüpft. Das Virus macht der Mücke nichts aus.
"Am meisten leidet in anderen Regionen Brasiliens der Brüllaffe Alouatta unter dem Gelbfieber Virus. Der Brüllaffe aus dem extremen Süden Brasiliens zeigte keine Einbußen, aber der aus dem Südosten und dem Zentrum Brasiliens ist anfällig. In einigen Parks sind ganze Affengruppen an Gelbfieber gestorben."
Nach einer Woche sind infizierte Affen tot
Viele Affen wurden in den letzten Monaten von Menschen erschlagen oder vergiftet. Sie werden für das Reservoir der Gelbfieberviren gehalten. Doch das sei falsch, erklärt Cristiane Rangel zunehmend besorgt.
"Das wirkliche Reservoir für das Virus ist die Mücke. Affen sterben viel zu schnell an Gelbfieber. Sie tragen das Virus höchstens zwei oder drei Tage, nur während sie krank sind. Nach einer Woche sind infizierte Affen tot. Deswegen sind sie kein effizientes Virusreservoir. Die Mücke dagegen ist sehr effizient. Sie legt einige hundert Eier. Nach drei Generationen, das heißt, innerhalb von drei Monaten, hat eine einzelne Mücke drei Millionen Nachkommen. Die infizierte Mücke überträgt das Virus drei Generationen lang auf ihre Eier. Die irre hohe Zahl an Mücken ist viel signifikanter als die zwei oder drei Tage, während der ein Affe Viren in sich trägt. Die Mücken sind das Reservoir. Affen und Menschen sind Zwischenwirte."
Nicht nur in der Bevölkerung, auch im eigenen Institut beäugen einige die Affen kritisch. So wie der Impfforscher Marcos Freire. In den letzten Jahren wurden in Brasilien Korridore gezielt aufgeforstet, damit Tiere wieder größere Jagdgebiete nutzen können. Diese Waldstreifen führen auch zu Naturparks in den Städten. Marcos Freire nennt die Kleinstadt Casimiro de Abreu. Das war die erste Stadt im Bundesstaat Rio de Janeiro, in der ein Mensch an Gelbfieber starb.
"Casimiro de Abreu liegt etwa 110 Kilometer von Rio de Janeiro entfernt. Und zum Glück verbindet Casimiro de Abreu keine ökologischen Korridore mit uns hier in Rio. Deswegen ist die Chance, dass Affen von dort hierher wandern, gering. Aus Naturschutzsicht ist es vielleicht schade, dass es keine Urwaldstreifen gibt, der die Waldfragmente dort mit unseren Nationalparks hier verbinden. In Casimiro de Abreu besteht nur eine Verbindung zum nördlichen 'Drei Gipfel Nationalpark', einem großen Bergmassiv. Wahrscheinlich kam das Virus von dort."
Gelbfieber-Risikogebiete in Brasilien wachsen
Der Impfstoffforscher denkt, dass wandernde Affen das Virus in den Bundesstaat Rio de Janeiro eingeschleppt haben.
"Die Gelbfieber-Risikogebiete in Brasilien wachsen, das wissen wir alle, das ist evident. Das hängt mit dem verbesserten Urwaldschutz zusammen. Mit den neuen Waldschutzgesetzen, mit den Gesetzen zum Flussauenschutz, mit neuen Naturschutzgebieten. Es war zu erwarten, dass die Affen wandern würden, ich habe davor schon vor vielen Jahren gewarnt. Bald haben wir auf dem gesamten brasilianischen Staatsgebiet Gelbfieber. Verschont werden nur Regionen ohne Urwald. Sobald wir Wald aufforsten, sobald wir ökologische Korridore anlegen, wandern unsere Affen. Das ist riskant."
Ist der Naturschutz in Brasilien mitverantwortlich für die Ausbreitung von Viren? Die Zoologin Marcia Chame kann nur den Kopf schütteln, wenn sie solche Argumente hört.
"Wir tendieren dazu, linear zu denken. Wir wollen wissen, wer die Schuld trägt. Aber hier gibt es keine Schuldigen. Es ist ein natürlicher Zyklus. Wenn wir verschiedene Affenarten in einem Gebiet haben und sie verfügen dort über ein gutes Nahrungsangebot, dann kann problemlos ein Virus zirkulieren. Vielleicht sterben einige Affen, aber der Rest der Gruppe wird resistent. Aber wenn wir in einem schon gestörten Gebiet sind, wo es nur noch wenige Affenarten gibt, verpufft dieser Mechanismus. Dieser Abfederungsprozess wurde für Viren, die von Vektoren übertragen werden, ausführlich erforscht und bestätigt. Je mehr Biodiversität, je mehr Artenvielfalt, desto besser werden Epidemien abgefedert."
Anders als das Gelbfiebervirus, das schon vor 500 Jahren in Brasilien eingeschleppt wurde, nahm das Zika Virus und auch das Chikungunya Virus erst vor wenigen Jahren den Weg von Afrika über Asien nach Brasilien. Das Land kämpft gegen alte und neue Viren.
"Zika tauchte zuerst in Afrika auf, ging dann auf diverse Wirbeltiere über, inklusive den Menschen, und passte sich genetisch an. Diese Anpassungsfähigkeit macht der Wissenschafts-gemeinschaft überall auf der Welt Sorgen, und auch uns hier in Brasilien. Denn wir sind ein mega-diverses Land mit vielen verschiedenen Ökosystemen. Es ist eine große Herausforderung, die Gesundheit der Urwälder in einem so großen Land mit so großen Entfernungen zu über-wachen. Hier leben einige Urwaldgemeinschaften völlig isoliert. In anderen Regionen ist die Bevölkerungsdichte unglaublich hoch."
Ein Samba für die Bevölkerung
In Rio de Janeiro startet gerade eine neue Kampagne. Es wird die veränderte Tigermücke Aedes aegypti ausgesetzt, die immun gegen Viren gemacht wurde. Um die Bevölkerung dafür positiv zu stimmen, wurde sogar ein Samba komponiert. Und Ricardo Gomes ist bereit, bei dem Projekt zu helfen. Ehrenamtlich beaufsichtigt er Mückenfallen. Wir stehen im hinteren Flur seines Hauses. Ricardo Gomes öffnet vorsichtig die Tür eines Abstellraums. Sein Haus befindet sich im Stadtteil "Jardim Carioca" auf der künstlichen Insel "Ilha do Governador".
Die Insel ist eine Aufschüttung mitten in der großen Lagune von Rio de Janeiro. Hier wurde vor 90 Jahren auch der internationale Flughafen von Rio de Janeiro errichtet. Die Insel gilt als von Mücken verseucht. Neben vielen ärmlichen Stadtteilen entstanden auch einige noblere. Ricardo Gomes wohnt in einer mit einem Schlagbaum und Wachpersonal kontrollierten Sackgasse auf einem grünen Hügel.
"Eines Tages klopften zwei Angestellte des Oswaldo Cruz Instituts an meine Tür. Ob ich an einem Mückenüberwachungs-Projekt teilnehmen möchte und sie eine Mückenfalle in meinem Gebäude aufstellen dürften. Ich freute mich, ich hatte davon gelesen. Es geht um eine Bakterie, die in der Mücke lebt und sie unschädlich macht. Die Leute suchten nach einem guten Platz für die Mückenfalle und stellten sie in diesem Raum auf. Jeden Dienstag kommen sie vorbei und holen die gefangenen Mücken ab."
In der Mückenfalle von Ricardo Gomes verfängt sich auch die gemeine Stechmücke "Culex". Aber nur die ägyptische Tigermücke wird im Mückenprojekt untersucht. Trägt sie das Dengue-, Chikungunya-, Zika- oder Gelbfieber-Virus? Hält sich in ihrem Blut nach wie vor die Bakterie "Wolbachia"? Wolbachia schadet der Mücke nicht, heißt es. Sie verhindert nur, dass sie Viren überträgt. Millionen von Mücken wurden mit Wolbachia präpariert und vor Monaten freigesetzt. Jetzt wird überwacht, wie schnell die Bakterien die Mückenpopulationen im Viertel erobern.
"Ich habe hier ein Loch in die Wand gebohrt, damit der Ansaugstutzen nicht aus dem Fenster ragen muss. Dieses Gerät soll ungestört 24 Stunden am Tag die Luft einsaugen."
Weder Dengue, noch Zika, Gelbfieber oder Chicungunya
Wie die Lüftung eines Computers säuselt es aus dem schwarzen Kasten. An einer Seite der Mückenfalle ist ein Loch, dahinter liegt ein Gazesack. Da hinein werden die Mücken gesaugt, die zufällig über ein offenes Fenster in den Abstellraum fliegen. Im Labor wird bestimmt, welcher Anteil der gefangenen Mücken die Wolbachia Bakterie tragen. Es gilt als erwiesen, dass diese Mücken weder Dengue, noch Zika, Gelbfieber oder Chicungunya übertragen. Glória Gladembeck, die Pressesprecherin des Wolbachia Projekts:
"Wir setzten 2016 zunächst in einem Pilotprojekt im Stadtteil Jurujuba Mücken aus. Heute überwachen wir dort immer noch die Mückenpopulationen und fast 100 Prozent tragen die Wolbachia-Bakterie. Das Piltoprojekt beweist, dass Wolbachia sich in der Mückenpopulation ausbreitet und dass es an die Mückennachkommen vererbt wird."
Einer der Entdecker dieser "Immunisierung" der Tigermücke ist der Agraringenieur und Insektenforscher Luciano Moreira. Der Brasilianer ging im Jahr 2005 für einen Forschungsaufenthalt an die Universität Queensland in Brisbane, Australien. Dort extrahierte er die Wolbachia-Bakterie aus der Fruchtfliege und übertrug sie in die ägyptische Tigermücke.
"Wir fütterten danach die Mücken mit Blut, das mit dem Dengue-Virus versetzt war. Nach ein paar Tagen froren wir die Mücken ein und untersuchten mit Hilfe molekularbiologischer Methoden, ob sie sich infiziert hatten. Wir konnten zeigen, dass nur die Mücken, die Wolbachia in sich trugen, frei von Viren waren. Sie blockieren das Virus. Uns ging es damals um das Dengue-Virus. Die Bakterie lebt intrazellulär, also innerhalb der Zellen der Mücken und Fliegen."
Die Wolbachia-Bakterie wird vom Weibchen an alle Nachkommen übertragen, sagt Luciano Moreira, der 2012 nach Brasilien zurück kehrte.
"Seit 2016 setzen wir zu Forschungszwecken Tigermücken mit Wolbachia in mehreren Stadtteilen von Rio de Janeiro frei. Dadurch, dass die Zika-Epidemie so viel Aufsehen erregte, bekamen wir zeitnah eine Finanzierung. Es kam Geld aus dem Ausland und vom Gesundheitsministerium. Jetzt arbeiten wir mit allen Gesundheitsposten der Projekt-Stadtteile zusammen. Viele, die da arbeiten, leben auch in den Favelas, den ärmeren Stadtvierteln von Rio. Sie besuchen die Leute zu Hause und klären über unser Porjekt auf."
Umstrittene Versuche mit genveränderten Mücken
Seit ein paar Monaten läuft die großflächige Überschüttung der Stadt mit den Wolbachia-Mücken. Wolbachia sei eine natürliche Bakterie, betont Luciano Moreira. Die Leute hießen das gut. Kommerzielle Versuche mit gentechnisch veränderten Mücken laufen in zwei Städten Südbrasiliens und sind umstritten. Die Wolbachia-Bakterie ist noch nie in einem Wirbeltier gefunden worden und wird nicht auf Menschen übertragen. Wolbachien leben in sehr vielen Insekten, zum Teil schon Millionen von Jahren.
"Wir sind keine Firma, wir streben nicht nach Gewinn, sondern sind ein staatliches Forschunsinstitut. Die Mücken, die wir hier seit 2012 freisetzen, müssen irgendwann nicht mehr nachgeliefert werden. Unser Projekt läuft irgendwann selbstständig weiter. Ich habe damals meine Ergebnisse in der prominenten Fachzeitschrift "Cell" veröffentlicht und meine Publikation zeigte große Wirkung."
Während des Interviews mit Luciano Moreira im achten Stock des Oswaldo Cruz Instituts schallt von der mehrspurigen Stadtautobahn Avenida Brasil Sirenengeheul herauf. Eine Kollegin betritt aufgeregt den Raum und bittet uns, das Interview abzubrechen. Das Gebäude werde geräumt. In den Armenvierteln der Umgebung hat es Schießereien gegeben, ein kleiner Junge ist an einem Querschläger gestorben. Die Anwohnerinnen und Anwohner sind aufgebracht und haben Barrikaden errichtet. Hoffentlich sind die Wolbachia-Mücken in Sicherheit, denke ich.
Nach der Räumung des Gebäudes im Oswaldo Cruz Institut frage ich mich, warum die Menschen in den verarmten Stadtteilen nicht auch gegen die Mückenverseuchung protestieren. In ihren Stadtteilen wird der Müll nur unregelmäßig abgeholt, und manchmal kommt kein Wasser aus dem Wasserhahn. Das Abwasser fließt in offenen Rinnen die Hügel herab. Statt öffentlicher Daseinsvorsorge stürmt Militärpolizei die ärmeren Viertel, sucht nach Drogenkurieren und schießt um sich.
Bei der Zika Epidemie von vor drei Jahren lag der Gedanke nahe, dass Zika eine Armutskrankheit ist. Es waren viel mehr arme und schwarze Frauen, die ein Baby mit zu kleinem Kopf auf die Welt brachten.
Hunderte Babys mit Mikrozephalie
Ich fliege nach Recife, eine zwei-Millionenstadt im Nordosten Brasiliens. Dort war die Zika-Epidemie besonders verheerend. Hunderte von Babys kamen mit Mikrozephalie auf die Welt. Warum gerade in Recife?
Das brasilianische epidemiologische Oswaldo Cruz Institut hat auch in Recife eine Forschungsstelle. Das Gebäude mit seinem portalartigen Eingang liegt auf dem Campus der staatlichen Universität und ist von Bäumen umgeben. Frösche quaken, ein kleiner Kanal durchzieht das Gelände. In Recife ist es noch heißer und feuchter als in Rio de Janeiro. Ich bin von der Hitze wie erschlagen. Im Institut arbeiten alle unter künstlicher Kühlung. Ich treffe den Veterinärmediziner und Virenforscher Lindomar Pena. Er war einer der ersten, der die RNA des Zika Virus im Jahr 2015 sequenzierte. Seine Arbeit erschien in der auf vernachlässigte Krankheiten spezialisierten Zeitschrift "Plos neglected tropical deseases" .
"Wir beschreiben in diesem Artikel auch, wie das Virus die Immunabwehr des Menschen zerstört. Das patogene Virus versucht, einen Schutzmechanismus des Wirts zu brechen. Das Zika-Virus hat einen RNA-Abschnitt, der das Interferon behindert. Interferon schütten wir gegen virale Infektionen aus."
Lindomar Pena forscht zur Zeit an einem Medikament gegen Zika. Ich frage ihn, was seiner Meinung nach in Brasilien los ist. Warum diese vielen Viren und Infektionen?
"Wir haben viele unterschiedliche Klimazonen, viele Ökosysteme und die größte Biodiversität der Welt. Wir haben viel Tourismus. Unsere Bevölkerung wächst, und da ist die größere globale Mobilität der Menschen. Außerdem wandern immer noch die Menschen vom Land in die Städte, sie bringen Viren in überbevölkerte Stadtteile. Das alles erleichtert die Ansteckungen mit Infektionen, die von Mücken, weitergegeben werden. Die Menschen leben in großer Enge zusammen, sehr oft in völlig chaotischen Siedlungen."
Zur Zeit laufen in Recife mehrer Kohortenstudien zu Zika, an denen Tausende Mütter und ihre Kinder teilnehmen. Noch sind die Ergebnisse nicht publik. Aber Demócrito Miranda kann jetzt schon sagen: Die Auswertung beweist die soziale Komponente der Zika-Infektion. Demócrito Miranda arbeitet neben seiner Forschung zu Zika als Arzt am Oswaldo Cruz Krankenhaus im Stadtzentrum von Recife.
"Mein Krankenhaus betreut hier die größte Zahl an Kindern mit Mikrozephalie. Wir unterscheiden zwischen Mikrozephalie und Zika-Syndrom. Wir betreuen 160 Kinder mit eindeutiger Mikrozephalie, also zu kleinem Kopf. Und nochmal 300 Kinder, deren Mütter während der Schwangerschaft eine Infektion mit Hautausschlag hatten, vermutlich Zika. Auch diese Kinder sind wahrscheinlich vorgeburtlich geschädigt."
Wanderung durch die Plazenta bis ins Gehirn des Fötus
Die vom Zika Virus geschädigten Kinder sind inzwischen aus dem Säuglingsalter heraus. Sie sitzen im Rollstuhl, tragen Brillen und Hörgeräte und können zum Teil kaum schlucken. Das Zika Virus, weiß man inzwischen, dringt durch die Plazenta der schwangeren Frau und wandert im Fötus bis ins Gehirn. Dort verursacht es neuronale Schäden, zum Teil wird Kalk eingelagert. Viele Kinder, die Demócrito Miranda betreut, leiden unter Epilepsien. Ich frage den Arzt, warum die Mücke eher ärmere Frauen trifft.
"Natürlich unterscheidet eine Mücke nicht zwischen Arm und Reich. Aber die Mückendichte in ärmeren Vierteln ist höher. Die Frauen sind arm, sie leben dort, wo es eng ist, wo es nur wenig Wohnraum für viele Leute gibt, wo die Wasserversorgung prekär ist. Da legen die Leute in irgendwelchen Gefäßen Wasserreserven an. Und das zieht Mücken an. Frauen der Mittelschicht leben in Apartments mit Air Condition und zuverlässiger Wasserversorgung."
Demócrito Miranda warnt: "Gelbfieber lasse ich jetzt mal beiseite. Aber bei Zika, Chikungunya und Dengue ist auch die größere Mobilität der Menschen weltweit beteiligt. Da tauchen Viren auf, die früher nur in einer begrenzten Region lebten. Das läuft so: Ein Virus reist in einer infizierten Person. Am Ziel der Reise wird die Person von einer landestypischen Mücke gestochen. Wenn die Mücke ein guter Vektor ist, dann gibt die Mücke das Virus an andere Menschen weiter und das Virus etabliert sich in der Mückenpopulation vor Ort. Dann braucht das Virus nur noch eine Bevölkerung, die für dieses Virus extrem empfänglich ist. So war das mit Zika und dem Chikungunya-Virus."
Kreuzreaktion mit einer Impfung?
Seit über zwei Jahren suche ich nach Erklärungen, warum die Zika Epidemie besonders den Nordosten Brasiliens traf. Etwa doppelt so viele kranke Babys wie in Rio wurden aus Recife gemeldet. Ich weiß, dass die Bedingungen für die Tigermücken in dieser heißen, feuchten Stadt gut sind. Recife wächst unkontrolliert, der atlantische Urwald in der Umgebung ist fast komplett abgeholzt. Ich kennen einige Theorien über Co-Faktoren, doch Demócrito Miranda wirft alle über den Haufen.
"Natürlich fragten wir uns zunächst, ob es eine Kreuzreaktion mit einer Impfung gegeben haben könnte, die erst vor kurzem in Brasilien eingeführt worden ist. Es geht um die Dreifachimpfung gegen Keuchhusten, Tetanus und Diphterie. Aber das konnten wir nach den Berichten der Mütter ausschließen. Ausgeschlossen wurde auch die Beteiligung eines Larvizids oder eines Pestizids. Larvizide werden in Armenvierteln für die Abtötung von Mückenlarven in Wasserreservoirs eingesetzt."
Doch das Larvizid, das im Verdacht stand, wird gerade in Recife nicht verwendet, sagt Demócrito Miranda. Trotzdem bleibt die Frage, warum es in anderen Regionen Brasiliens weniger Fälle von Mikrozephalie, von Babys mit vorgeburtlichen Schäden gab. Warum kamen zum Beispiel in Kolumbien nur wenige kranke Kinder auf die Welt, wo doch dort ähnliche klimatische und soziale Bedingungen herrschen? Recife und der Nordosten Brasiliens hatten gewissermaßen das Pech, die Eintrittspforte für das Zika-Virus zu sein, sagt der Arzt Demócrito Miranda. Wahrscheinlich schleppten Sportler während einer Meisterschaft das Virus nach Brasilien. Sie kamen aus der Region um Mikronesien, wo Zika 2014 zu einer Epidemie geführt hatte. Demócrito Miranda vermutet, dass schwangere Frauen in anderen Regionen Südamerikas nach den schockierenden Medienberichten über Babys mit zu kleinem Kopf gewarnt waren. Sie konnten Mückenschutz auftragen, sie konnten Abtreibungen vornehmen lassen.
Zurück zur aktuellen Gelbfieber-Epidemie in Rio de Janeiro. Auch da zeigen sich regionale Auffälligkeiten, sagt Cristiane Rangel vom botanischen Garten. Aber positive:
"Wenn wir die Infektionszahlen ansehen, dann sieht es so aus als hätte Gelbfieber Rio de Janeiro und auch den Bundesstaat Rio fast übersprungen. Ich gebe zu, wir hatten Tote. Menschen und Affen. Aber lang nicht so viele wie anderswo in Brasilien. Vielleicht weil wir hier in Rio de Janeiro viele Naturparks haben? Weil unser Ökosystem besser im Gleichgewicht ist? Bei uns haben die Mücken noch ihre Konkurrenten. Es fliegen viele andere Mücken, es gibt Frösche und Fische, die die Mückenlarven fressen. Wir haben mit dem Tijuca- und dem Pedra Branca-Nationalpark die größten städtischen Naturparks der Welt. Der Kontrast dazu ist die vielspurige Avenida Brasil, gesäumt von Armenvierteln mit vielen Problemen."
Das Gleichgewicht stimmt auf vielen Ebenen nicht mehr
Ist also ein wichtiger Aspekt der Zustand eines Waldes? In Brasilien liegen Ökosysteme dicht an dicht, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Die wachsenden Lebensräume der Menschen und die schrumpfenden Ökosysteme der Natur. Das Gleichgewicht stimmt auf vielen Ebenen nicht mehr, sagt Zoologin Marcia Chame.
"Unserer Parks müssen groß genug sein, um ihr inneres Gleichgewicht zu halten. Beim silvatischen Gelbfieberzyklus leben die Mücken in den Wipfeln zusammen mit den Affen. Der Zyklus bleibt dort oben. Wir beobachteten in den kleineren Waldfragmenten in trockenen Jahren abgemagerte Affen. Da haben die Mücken nicht genug zu fressen und sie holen sich woanders ihre Opfer, so denken wir. Das ist das menschliche Blut aus der Waldumgebung. Kein einziges totes Tier wurde bisher aus unserem Tijuca Nationalpark in der Stadt Rio de Janeiro gemeldet. Das ist ausgezeichnet! In den Urwäldern bildet sich also ein Gleichgewicht, das die Affen dort hält. Unsere Daten und Modellierungen zeigen das. Die Epidemien geschehen dort, wo wir nur Waldfragmente haben und wo es Störungen gibt."
Vielleicht bleibt die Stadt Rio de Janeiro dank ihrer Parks noch lange von Gelbfieber verschont. Gegen die anderen Viren hilft auch kein intakter Wald, weil sie von der Stadtmücke Aedes aegypti übertragen werden,. Dengue, Chikungunya und auch Zika haben in den beengten Wohnvierteln Rios viele Opfer gefunden. Es scheint als würde diese Mega-Stadt neben intakten Wäldern, noch viel zu viele ungesunde Biotope für Menschen stellen.
Menschen, Viren und der Wald:
Brasilien im ökologischen Ungleichgewicht
Von Gudrun Fischer
Es sprachen: Claudia Matschulla, Dominik Freiberger, Marion Mainka und Agnes Pollner
Ton und Technik: Bruno Zöllner
Produktion: Claudia Kattanek
Redaktion: Christiane Knoll
Eine Produktion des Deutschlandfunk 2018
Brasilien im ökologischen Ungleichgewicht
Von Gudrun Fischer
Es sprachen: Claudia Matschulla, Dominik Freiberger, Marion Mainka und Agnes Pollner
Ton und Technik: Bruno Zöllner
Produktion: Claudia Kattanek
Redaktion: Christiane Knoll
Eine Produktion des Deutschlandfunk 2018