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Menschenrechte in Katar
Ringen um Selbstverständlichkeiten

FIFA-Präsident Infantino möchte nicht über Menschenrechtsverletzungen in Katar sprechen. DFB-Präsident Neuendorf muss in der Debatte um Menschenrechte und Entschädigungen für Arbeiter selbst um kleinste Zugeständnisse der Fifa und des WM Gastgebers Katar kämpfen – womöglich ohne Erfolg.

Von Daniel Theweleit | 05.11.2022
Neuendorf sitzt mit weiteren Teilnehmern auf der Bühne im Fußballmuseum.
Diskussionsrunde im Deutschen Fussballmuseum in Dortmund. DFB-Präsident Bernd Neuendorf (links) hört viele Kritikpunkte zur WM in Katar. Weitere Gesprächspartner: Viola von Cramon, Sportpolitikerin und MdEP Bündnis 90 / Grüne, Katja Müller-Fahlbusch (Amnesty International Deutschland), Marco Bode, ehem. Nationalspieler u. Aufsichtsratsvorsitzender von Werder Bremen. (IMAGO / Cord / IMAGO / Anja Cord)
Der Protest gegen die WM war für DFB-Präsident Bernd Neuendorf nicht zu übersehen: „Boykott Qatar 22“ stand auf einem Banner, das während einer Diskussionsrunde im Deutschen Fußballmuseum in Dortmund aufgespannt war. Neuendorf ist gegen einen Boykott, das macht er auch nochmal klar.

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Und trotzdem weiß der ehemalige Politiker, dass er der Diskussion um die WM in Katar nicht ausweichen kann. Deswegen war Neuendorf auch gerade mit Bundesinnenministerin Nancy Faeser in Katar und hat sich dort unter anderem für die Einrichtung eines Fonds eingesetzt, mit dem die auf den WM-Baustellen ausgebeuteten Arbeiter und die Familien der dort Verstorbenen entschädigt werden sollen. Einen Tag nach Neuendorfs Rückkehr bezeichnet der katarische Arbeitsminister diesen Fonds als „Werbegag“. Ein Affront für die deutsche Delegation.

Neuendorf: Von katarischer Äußerung irritiert

“Also, da bin ich mir nicht sicher, wie man das interpretieren muss. Das hat mich überrascht, weil wir haben in Qatar in allen Gesprächen mit dem katarischen Fußballverband, mit dem OK-Chef, mit Gianni Infantino durchaus den Eindruck gewonnen und mitgenommen, dass man ernsthaft darüber nachdenkt, wie kann man so einen Fonds aufsetzen. Das war wirklich diese Botschaft, die wir mitgenommen haben, unisono. Diese Äußerung hat mich insofern auch irritiert. Und wir werden das jetzt auch nochmal zum Ansatz nehmen nochmal zu hören, wie man die einordnen muss“, sagt Neuendorf auf dem Podium.
Im Raum steht jetzt die Frage, was grundsätzlich von Vereinbarungen mit den Katarern zu halten ist. Denn Neuendorf ist noch mit einem anderen Versprechen aus dem Wüstenstaat zurückgekommen, auf das sich nicht zuletzt die Besucher aus Deutschland verlassen möchten, die bislang rund 35.000 Tickets für die Spiele erworben haben. Die Regierenden hätten zugesagt,
“dass Menschen, die zur Fußball-Weltmeisterschaft kommen, egal welchen Glaubens, egal welcher sexuellen Orientierung, egal welcher Hautfarbe sich sicher fühlen können in diesem Land. Das war nicht nur eine Aussage des OK-Chefs, sondern es kam jetzt von politischer Seite, und das ist ja auch wichtig, dass politisch sich auch Qatar dazu bekennt, und das ist mit dieser Reise sicherlich gelungen“, sagt Neuendorf.

Von Cramon (Grüne): "Eine Selbstverständlichkeit, dass Fans sicher sein sollten."

Neu sei außerdem die Information, dass überall dort, wo WM-Besucher erwartet werden, Volunteers für ein friedliches Miteinander der Katarer mit ihren Gästen sorgen sollen. Schließlich könnte es zu Konflikten kommen, wenn Zehntausende freizügig feiernde Südamerikaner oder Europäer auf eine konservative islamische Gesellschaft treffen. Neuendorf verkauft das als Erfolg, was Viola von Cramon, die für die Grünen im Europaparlament sitzt, erzürnt:
„Das ist natürlich im Grunde eine Selbstverständlichkeit, dass Fans sicher sein sollten. Also wenn ein Host-Country, ein Austragungsstandort, nicht in der Lage ist, die Sicherheit der Fans sicher zu stellen, ja was denn dann? Wie kann man sich um Weltmeisterschaften bewerben, wenn man ernsthaft eine Woche vorher noch Besuch von der Bundesinnenministerin braucht, um diesen Satz abzusondern. Sorry. Mir fehlten die Worte.“
Aber die WM wird unter diesen Umständen stattfinden, und wahrscheinlich werden viele schöne Bilder von fröhlichen Menschen und aufregenden Fußballspielen in die Welt versendet. In Deutschland und etlichen anderen Nationen wird jedoch auch das Gefühl bleiben, dass Weltmeisterschaften künftig nicht mehr an Staaten vergeben werden dürfen, in denen Grundrechte von Arbeitern und Menschenrechte zweitrangig sind. Längst steht die Frage im Raum, welche Lehren von dieser umstrittenen WM zurückbleiben werden. Denn ein Versehen war die Entscheidung für Katar keineswegs, sagt Katja Müller-Fahlbusch von Amnesty International auf dem Podium in Dortmund:
“Man wusste schon, in welches Land man vergibt, und die Fifa hat sich null darum geschert und sie hat sich im Übrigen auch lange danach nicht darum geschert. Die Fifa hat uns bis 2015 gesagt, dass sie der Meinung ist, dass die Situation der Arbeitsmigrant*innen in den Stadionbaustellen sozusagen not ihr Business wäre, sondern, dass das eine katarische Frage ist. Diese Vergabe hätte so nicht erfolgen dürfen. Unsere Forderung ist, dass zukünftige Vergaben anders passieren müssen, dass sie verbindlich gekoppelt sind an Menschenrechtsstandards und auch an Nachhaltigkeitsfragen.“

Saudi-Arabien als Bewerber für WM 2030

2024 wird über den Gastgeber für die Weltmeisterschaft 2030 abgestimmt, ein möglicher Bewerber ist dann Saudi-Arabien. Die gleichen Diskussionen drohen erneut, womöglich im Kontext einer noch komplizierteren Weltlage. Kritiker*innen wie von Cramon fordern daher eine viel klarere Positionierung des Deutschen Fußball-Bundes. Auch ein Boykott dürfe kein Tabu sein,
“weil wir den Sport schützen wollen vor der feindlichen Übernahme von Autokratien. Das Problem sind doch die strukturellen Probleme, die wir in der Fifa haben. Wir werden doch verarscht, Entschuldigung. Aber wenn sie in Deutschland sich umhören, ich finde keinen, der mit Leidenschaft sagt: Ja, ich freue mich auf diese Fußball-WM. Das heißt, der Sport wird entkernt, er wird ausgehöhlt, die Integrität ist weg. Und da wünschte ich mir, dass der DFB mit einem Konzept rauskommt, wie wir in Europa mit einer Gruppe von Fußballnationen diese strukturellen Probleme beheben wollen.“
Eine deutliche Aufforderung an Neuendorf, der sich die Vorschläge mit ziemlich müdem Gesicht anhört. Bei der nächsten EM in Deutschland 2024 werde vieles besser, verspricht er. Außerdem werde er sich weiterhin für Entschädigungszahlungen an die Familien der ausgebeuteten Arbeiter einsetzen. Aber die Widerstände gegen diesen Fonds sind ein gutes Beispiel für den Umgang der Fifa und des autokratischen Ausrichterstaates mit der Kritik: Niemand weiß, ob jemals auch nur ein Dollar fließt, um das Leid dieser Menschen zu lindern.