Bei der Entstehung von philosophischen, religiösen und ethischen Vorstellungen über die Menschheit kann der Westen keine Monopolstellung für sich beanspruchen, sagte der Sozialphilosoph Hans Joas im Interview mit dem Deutschlandfunk. Diese gebe es beispielsweise auch im Buddhismus und Konfuzianismus. Joas protestiert dagegen, dass eine Linie gelegt wird von den ersten Vorstellungen von Menschheit in der Antike bis zu den internationalen Menschenrechtsabkommen im 20. Jahrhundert.
Zwar habe im 18. Jahrhundert in Europa und Nordamerika eine Transformation religiöser und philosophischer Ethiken in staatsbürgerliche Rechte und erste Menschenrechtserklärungen stattgefunden. Joas ist aber nicht einverstanden mit der Erklärung, dass diese Prozesse das späte Resultat einer kulturellen Tradition seien, die bereits in der griechischen Antike oder im Judentum angelegt gewesen seien. Im westlichen Verständnis im 18. Jahrhundert sei die Verankerung von Menschenrechten vielmehr ohne Weiteres mit der Institution der Sklaverei vereinbar gewesen. Gleichzeitig habe die Erklärung von einer westlichen Menschenrechtstradition großen Einfluss auf das Selbstverständnis des Westens, so Joas.
Bei der Formulierung der UN-Menschenrechtscharta von 1948 hätten die Autoren, darunter ein konfuzianischer Chinese und ein christlicher Araber aus dem Libanon, laut Joas nicht versucht, Versatzstücke aus ihren religiösen oder kulturellen Traditionen unterzubringen. Sondern sie hätten darauf geachtet, dass die Erklärung nicht so formuliert ist, dass in ihr jüdische oder christliche oder aufklärerische Elemente überwiegen. "Sie wollten eine Möglichkeit herstellen, dass die verschiedensten kulturellen und religiösen Traditionen an diese Erklärung anknüpfen", sagte Joas im DLF. Heute erschrecke er darüber, wie viele Menschen zu Abstrichen bei den Menschenrechten bereit seien, wenn es zu Konflikten etwa mit der nationalen Sicherheit komme.
Das vollständige Interview können Sie noch bis mindestens 5. September 2015 in unserem Audio-Archiv anhören.