In den letzten Monaten war die Kritik immer lauter geworden, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg würde seiner Aufgabe nicht nachkommen und zu wenig den Menschen beistehen, die seit dem gescheiterten Putschversuch im Juli 2016 in der Türkei im Gefängnis sitzen oder ihre Arbeit verloren haben.
So zum Beispiel der Präsident des Deutschen Anwaltvereins, Ulrich Schellenberg. Er findet fragwürdig, dass die Betroffenen, erst einmal den gesamten Instanzenzug in der Türkei durchlaufen müssen, bevor ihnen von europäischer Seite geholfen wird: "Wir sagen - auch mit der Kenntnis von vor Ort, die wir haben - diese Rechtsbehelfe sind oft nur pro forma."
Untere Instanzen folgten Verfassungsgericht nicht
Bei den beiden Journalisten, über die der Gerichtshof heute entschieden hat, war allerdings schon viel passiert. Sie hatten sogar schon eine positive Entscheidung des türkischen Verfassungsgerichts erstritten. Deswegen waren die Formalien erfüllt. Das europäische Menschenrechtsgericht musste sich also zum ersten Mal inhaltlich positionieren und hat nun auch zugunsten von Opfern der großen Verhaftungswelle entschieden.
21.500 Euro muss die türkische Regierung nach dem Richterspruch aus Straßburg an jeden der beiden Journalisten zahlen, die seit 2016 in türkischer Haft sitzen. Die beiden seien zu Unrecht inhaftiert worden.
Den Journalisten war vorgeworfen worden, sie hätten die Gülen-Bewegung unterstützt und sich damit an Umsturzversuchen beteiligt. Tatsächlich lag aber nichts Belastendes vor, so die Straßburger Richter. Das türkische Verfassungsgericht hatte das im Januar auch so gesehen und ihre Freilassung angeordnet. Nur sind die unteren Instanzen in Istanbul dem einfach nicht gefolgt: Die Freilassung würde gegen allgemeine Rechtsprinzipien verstoßen.
Noch nicht rechtskräftig
Zwar durfte einer der beiden am letzten Freitag, also kurz vor der heutigen Straßburger Entscheidung, das Gefängnis verlassen, wurde jedoch gleich unter Hausarrest gestellt. Für die Straßburger Richter eine klare Sache. Sie verlangen zwar nach wie vor, dass die Betroffenen in der Türkei erst mal vor das einheimische Verfassungsgericht ziehen. Auch wenn es da vielleicht länger dauert, weil das türkische Verfassungsgericht aktuell so viele Beschwerden abarbeiten muss.
Aber das Verfassungsgericht sage, gegen die Journalisten liegt zu wenig vor, dann müssten erstinstanzliche türkische Gerichte dem auch folgen und sie freilassen.
Die juristische Kritik an der Türkei ist damit allerdings noch nicht rechtskräftig. Die türkische Regierung kann in Straßburg noch eine zweite Instanz anrufen. Damit würde die Sache erst nach einer neuen Beratung endgültig entschieden - was sicherlich wieder einige Monate dauern würde.