Auf Bildern strahlt Stéphane Hessel in seinem Alter als hochgewachsene Person, schlank und zugleich elegant, mit seiner hohen Stirn und den grauen Schläfen, eine große Wirkung aus. Er spricht stets mit ruhiger Stimme, selbst wenn man ihm provokative Fragen stellt. Wie hat Manfred Flügge die zahlreichen Gespräche mit Stéphane Hessel empfunden?
"Wenn man ihn kritisiert, provoziert oder etwas Verfängliches fragt, dann tut er so, als würde er Einem zunächst erst mal Recht geben. Er fängt das, was man ihm entgegenhält, sehr geschmeidig auf und schlägt dann einen eleganten Bogen und sagt ziemlich das Gegenteil von dem, was man selber gesagt hat oder meinte, sorgt dann aber dafür, dass man ihm letzten Endes zustimmen wird. Das ist der geschulte Diplomat. Das sind Methoden der Suggestion und darin ist er große Klasse."
Manfred Flügge hat in den letzten 30 Jahren den Mahner Stéphane Hessel als Weggefährte begleitet und nun das Porträt über ihn geschrieben. Er hat ihn oft in Paris getroffen. Flügge leuchtet die geistige Dimension Hessels sowie auch seine politischen Aktivitäten aus. Dabei lässt er sich stellenweise beim Nennen von biografischen Daten, beim Zitieren von Freunden und Bekannten Hessels, also von Nebenfiguren, mitunter mehr aus, als es für die Konzentration auf die Person Hessels gut wäre. Das kann man aber nicht für die zweite Hälfte des Buches sagen. Flügge stellt Stéphane Hessel als Persönlichkeit der Zeitgeschichte und als Erfolgsautor vor. Wenn man Hessel bei einem Bühnenauftritt erlebt, gewinnt man den Eindruck, dass er allerdings in erster Linie ein Mann des gesprochenen Worts ist. Auf Französisch würde man ihn einen "bête de scène" nennen. Einen Theatermenschen, der es genießt, im Rampenlicht zu stehen.
Hessel war bei der Résistance bis 1944, dann Häftling im KZ Buchenwald, wo er durch glückliche Umstände überlebt hat, und setzte sich später in der UNO für die Menschenrechte ein. Im Oktober 2010 erschien in Frankreich das Büchlein "Empört euch!", von dem bis Ende 2011 dort über zwei Millionen Exemplare verkauft wurden. Seine Botschaft ist auf nur 20 Seiten untergebracht. Hessel schreibt davon, dass die Kluft zwischen Arm und Reich weiter aufreißt, von der Vorherrschaft der Finanzwirtschaft und vom Verlust des Vertrauens in die traditionelle Politik. Wörtlich heißt es bei ihm:
"Wir haben das Gefühl, dass die Regierung und die Wirtschaftsmächte in einem Komplott zusammensitzen. Die Regierungen wollen reich bleiben. Das bedeutet, sie müssen sich mit den Wirtschaftskooperationen verständigen. Die andere wichtige Gefahr ist, dass wir die Erde nicht mehr respektieren und die Erde, unser Planet, wird immer mehr verdorben."
Stephane Hessel hat sich nach dem Krieg stets für eine Welt ohne Totalitarismus, Konzentrationslager und Atombomben ausgesprochen. In den letzten Jahren hat er sich zunehmend mit dem Einfluss der Finanzkrise, die wir gerade durchmachen, befasst. Die "Diktatur der Finanzmärkte", wie er das nennt, ist für ihn der eigentliche Feind, und er sagt, dass dieser Gegner schwer zu fassen und schwer zu definieren sei.
"Der erste Schritt von Hessel war, zu sagen: Stopp! Lasst das euch nicht gefallen! Im Französischen Indignez-vous, das heißt, verteidigt eure Menschenwürde, eure Rechte, indem ihr zunächst erst einmal Nein sagt. Aber es ist ein positiver Impuls darin."
Eine darauf folgende Schrift nennt Hessel: Engagiert euch! Weil er zu der Meinung gelangt ist, dass Empörung allein nicht ausreichen würde. Manfred Flügge betont auch die Seite Stéphane Hessels, die mit der Poesie eng verbunden ist, sogar in Momenten tiefster Hoffnungslosigkeit.
Er hat selbst im Konzentrationslager seinen Peinigern oder Kameraden manches Mal, wenn er nicht weiterwusste, Verse von Goethe, Hofmannsthal oder Baudelaire aufgesagt. Wir können eine Art Verknüpfung von Poesie, Widerstand und Würde bei Hessel finden.
Dabei spielt seine Herkunft eine große Rolle.
Stéphane Hessel ist Sohn des deutschen Schriftstellerehepaars Helen Grund und Franz Hessel. Sie lebten in Paris in einer Art menage à trois mit dem Dichter Henri Pierre Roché. Diese Dreiecksgeschichte hat Francois Truffaut mit seinem Film "Jules und Jim" weltberühmt gemacht. Ideal besetzt mit Jeanne Moreau und Oscar Werner. Der Film erzählt von der Belle Époque bis zum Aufstieg Hitlers, mit Poesie und Leichtigkeit. Die Eltern Stephane Hessels hielten es für eine gute Gepflogenheit, zu Hause Gedichte auswendig zu lernen, und zwar in drei Sprachen: Französisch, Englisch und Deutsch.
"Im Konzentrationslager haben die Gedichte auch eine Rolle gespielt. Dass man seine eigene Würde verteidigt, indem man festhält an dem, was einen aufrecht erhält. Und das sind eben lange, schöne Gedichte. Wenn man jeden Tag gedemütigt wird, jeden Tag umgebracht werden kann."
Wenn man Gedichte auswendig spricht, ist das ja ein Beweis der eigenen ungebrochenen moralisch-geistigen Widerstandskraft. Man könnte sagen, wenn der vom Tode bedrohte Mensch mit einem geheimen Code der Poesie spricht, wendet er eine Hinhaltetaktik an. Er versucht sich einen Aufschub zu verschaffen vor drohenden neuen Qualen in der
Gefangenschaft.
"Vorausgesetzt, die andere Seite versteht überhaupt, was damit gemeint ist, dass es sich um einen Code handelt. Natürlich, Poesie ist immer ein Code. Das wissen wir ja alle, wenn wir mit Interpretationen in der Schule gequält wurden. Poesie kommt daher wie ein Code. Dabei ist sie eigentlich immer offen. Bei Stéphane Hessel handelt es sich auch um ein Vergnügen. Es macht ihm einfach Spaß, ein Gedicht aufzusagen. Es hält ihn auch wach und frisch und jung. Das muss man erlebt haben, wie er die Texte aus seinem Inneren herausholt."
Die stärksten Vorwürfe, die Hessel seit dem Jahre 2010 einstecken musste, beziehen sich auf seine Verurteilung der Politik Israels und sein Eintreten für eine gerechte Behandlung der Palästinenser, besonders im Gaza-Gebiet, um die Lebensbedingungen dort zu verbessern. Er ist oft in diese Gegend gereist, in die Palästinensergebiete und nach Israel, und weiß, wie es den Menschen vor Ort geht und was geschehen müsste. Flügge meint, dass Hessel mit seiner Kritik ein wenig übertreiben würde. Andererseits stimmt er ihm zu, dass die Lage der Palästinenser verbessert werden müsse und das auch im Interesse einer Friedenslösung sei.
Als im Jahre 1940 die Nazis in Frankreich einmarschierten, schloss sich Stéphane Hessel dem Widerstand gegen die deutsche Besatzung an. Auf seine Verhaftung und Folter durch die Gestapo im Juli 1944 folgte die Deportation nach Buchenwald.
"Überlebt hat er dank der Hilfe von Leuten im Konzentrationslager. Ohne den lagerinternen Widerstand wäre ihm das nicht gelungen. In einer Gruppe von 37 haben drei überlebt."
"Ein Überlebender bin ich", sagte er einmal. "Mehrere Male hätte ich den Tod erleiden sollen während des Krieges. Daher die Verantwortung, ich setze mich jetzt ein, wo auch immer Menschenrechte und die ursprünglichen Werte, mit denen ich groß geworden bin, verletzt sind."
Neu sind die Gedanken von Stéphane Hessel nicht, aber in Europa treffen sie auf eine große Resonanz, wenn sie ein alter Mann "in der allerletzten Etappe seines Lebens", wie er selber sagt, äußert. Für ihn hat jeder Einzelne sogar die Verantwortung, sich zu empören.
Manfred Flügge stellt Stéphane Hessel als Person dar, die mit ihrem Appell an das Gewissen uns ermutigen will, sich für humanistische Werte einzusetzen. Er zeigt Hessel aber nicht als ein moralisches Vorbild, sondern benennt auch dessen Schwächen, allem voran die Eitelkeit, die er niemals ganz wegstecken kann. Flügge hat ein Buch über den Film "Jules und Jim" geschrieben. Die Grundlage für den Film ist die Dreiecksbeziehung von Hessels Eltern mit dem Dichter Henri Pierre Roché. Deshalb war es naheliegend, auch einmal die wichtigsten Fakten und charakteristischen Taten Stéphane Hessels in einer Lebensgeschichte zusammenzufassen.
Das ist Flügge gelungen. Das Buch schildert in aller Ausführlichkeit die Lebensabschnitte und verweist auch auf die Glücksmomente, als Hessel zum Beispiel dann Anfang 1945 auf einem Evakuierungstransport doch noch die Flucht vor der Vernichtung gelingt.
Manfred Flügge: "Stéphane Hessel – Ein glücklicher Rebell”. Aufbau Verlag. 279 Seiten, Euro 22,99, Februar 2012
"Wenn man ihn kritisiert, provoziert oder etwas Verfängliches fragt, dann tut er so, als würde er Einem zunächst erst mal Recht geben. Er fängt das, was man ihm entgegenhält, sehr geschmeidig auf und schlägt dann einen eleganten Bogen und sagt ziemlich das Gegenteil von dem, was man selber gesagt hat oder meinte, sorgt dann aber dafür, dass man ihm letzten Endes zustimmen wird. Das ist der geschulte Diplomat. Das sind Methoden der Suggestion und darin ist er große Klasse."
Manfred Flügge hat in den letzten 30 Jahren den Mahner Stéphane Hessel als Weggefährte begleitet und nun das Porträt über ihn geschrieben. Er hat ihn oft in Paris getroffen. Flügge leuchtet die geistige Dimension Hessels sowie auch seine politischen Aktivitäten aus. Dabei lässt er sich stellenweise beim Nennen von biografischen Daten, beim Zitieren von Freunden und Bekannten Hessels, also von Nebenfiguren, mitunter mehr aus, als es für die Konzentration auf die Person Hessels gut wäre. Das kann man aber nicht für die zweite Hälfte des Buches sagen. Flügge stellt Stéphane Hessel als Persönlichkeit der Zeitgeschichte und als Erfolgsautor vor. Wenn man Hessel bei einem Bühnenauftritt erlebt, gewinnt man den Eindruck, dass er allerdings in erster Linie ein Mann des gesprochenen Worts ist. Auf Französisch würde man ihn einen "bête de scène" nennen. Einen Theatermenschen, der es genießt, im Rampenlicht zu stehen.
Hessel war bei der Résistance bis 1944, dann Häftling im KZ Buchenwald, wo er durch glückliche Umstände überlebt hat, und setzte sich später in der UNO für die Menschenrechte ein. Im Oktober 2010 erschien in Frankreich das Büchlein "Empört euch!", von dem bis Ende 2011 dort über zwei Millionen Exemplare verkauft wurden. Seine Botschaft ist auf nur 20 Seiten untergebracht. Hessel schreibt davon, dass die Kluft zwischen Arm und Reich weiter aufreißt, von der Vorherrschaft der Finanzwirtschaft und vom Verlust des Vertrauens in die traditionelle Politik. Wörtlich heißt es bei ihm:
"Wir haben das Gefühl, dass die Regierung und die Wirtschaftsmächte in einem Komplott zusammensitzen. Die Regierungen wollen reich bleiben. Das bedeutet, sie müssen sich mit den Wirtschaftskooperationen verständigen. Die andere wichtige Gefahr ist, dass wir die Erde nicht mehr respektieren und die Erde, unser Planet, wird immer mehr verdorben."
Stephane Hessel hat sich nach dem Krieg stets für eine Welt ohne Totalitarismus, Konzentrationslager und Atombomben ausgesprochen. In den letzten Jahren hat er sich zunehmend mit dem Einfluss der Finanzkrise, die wir gerade durchmachen, befasst. Die "Diktatur der Finanzmärkte", wie er das nennt, ist für ihn der eigentliche Feind, und er sagt, dass dieser Gegner schwer zu fassen und schwer zu definieren sei.
"Der erste Schritt von Hessel war, zu sagen: Stopp! Lasst das euch nicht gefallen! Im Französischen Indignez-vous, das heißt, verteidigt eure Menschenwürde, eure Rechte, indem ihr zunächst erst einmal Nein sagt. Aber es ist ein positiver Impuls darin."
Eine darauf folgende Schrift nennt Hessel: Engagiert euch! Weil er zu der Meinung gelangt ist, dass Empörung allein nicht ausreichen würde. Manfred Flügge betont auch die Seite Stéphane Hessels, die mit der Poesie eng verbunden ist, sogar in Momenten tiefster Hoffnungslosigkeit.
Er hat selbst im Konzentrationslager seinen Peinigern oder Kameraden manches Mal, wenn er nicht weiterwusste, Verse von Goethe, Hofmannsthal oder Baudelaire aufgesagt. Wir können eine Art Verknüpfung von Poesie, Widerstand und Würde bei Hessel finden.
Dabei spielt seine Herkunft eine große Rolle.
Stéphane Hessel ist Sohn des deutschen Schriftstellerehepaars Helen Grund und Franz Hessel. Sie lebten in Paris in einer Art menage à trois mit dem Dichter Henri Pierre Roché. Diese Dreiecksgeschichte hat Francois Truffaut mit seinem Film "Jules und Jim" weltberühmt gemacht. Ideal besetzt mit Jeanne Moreau und Oscar Werner. Der Film erzählt von der Belle Époque bis zum Aufstieg Hitlers, mit Poesie und Leichtigkeit. Die Eltern Stephane Hessels hielten es für eine gute Gepflogenheit, zu Hause Gedichte auswendig zu lernen, und zwar in drei Sprachen: Französisch, Englisch und Deutsch.
"Im Konzentrationslager haben die Gedichte auch eine Rolle gespielt. Dass man seine eigene Würde verteidigt, indem man festhält an dem, was einen aufrecht erhält. Und das sind eben lange, schöne Gedichte. Wenn man jeden Tag gedemütigt wird, jeden Tag umgebracht werden kann."
Wenn man Gedichte auswendig spricht, ist das ja ein Beweis der eigenen ungebrochenen moralisch-geistigen Widerstandskraft. Man könnte sagen, wenn der vom Tode bedrohte Mensch mit einem geheimen Code der Poesie spricht, wendet er eine Hinhaltetaktik an. Er versucht sich einen Aufschub zu verschaffen vor drohenden neuen Qualen in der
Gefangenschaft.
"Vorausgesetzt, die andere Seite versteht überhaupt, was damit gemeint ist, dass es sich um einen Code handelt. Natürlich, Poesie ist immer ein Code. Das wissen wir ja alle, wenn wir mit Interpretationen in der Schule gequält wurden. Poesie kommt daher wie ein Code. Dabei ist sie eigentlich immer offen. Bei Stéphane Hessel handelt es sich auch um ein Vergnügen. Es macht ihm einfach Spaß, ein Gedicht aufzusagen. Es hält ihn auch wach und frisch und jung. Das muss man erlebt haben, wie er die Texte aus seinem Inneren herausholt."
Die stärksten Vorwürfe, die Hessel seit dem Jahre 2010 einstecken musste, beziehen sich auf seine Verurteilung der Politik Israels und sein Eintreten für eine gerechte Behandlung der Palästinenser, besonders im Gaza-Gebiet, um die Lebensbedingungen dort zu verbessern. Er ist oft in diese Gegend gereist, in die Palästinensergebiete und nach Israel, und weiß, wie es den Menschen vor Ort geht und was geschehen müsste. Flügge meint, dass Hessel mit seiner Kritik ein wenig übertreiben würde. Andererseits stimmt er ihm zu, dass die Lage der Palästinenser verbessert werden müsse und das auch im Interesse einer Friedenslösung sei.
Als im Jahre 1940 die Nazis in Frankreich einmarschierten, schloss sich Stéphane Hessel dem Widerstand gegen die deutsche Besatzung an. Auf seine Verhaftung und Folter durch die Gestapo im Juli 1944 folgte die Deportation nach Buchenwald.
"Überlebt hat er dank der Hilfe von Leuten im Konzentrationslager. Ohne den lagerinternen Widerstand wäre ihm das nicht gelungen. In einer Gruppe von 37 haben drei überlebt."
"Ein Überlebender bin ich", sagte er einmal. "Mehrere Male hätte ich den Tod erleiden sollen während des Krieges. Daher die Verantwortung, ich setze mich jetzt ein, wo auch immer Menschenrechte und die ursprünglichen Werte, mit denen ich groß geworden bin, verletzt sind."
Neu sind die Gedanken von Stéphane Hessel nicht, aber in Europa treffen sie auf eine große Resonanz, wenn sie ein alter Mann "in der allerletzten Etappe seines Lebens", wie er selber sagt, äußert. Für ihn hat jeder Einzelne sogar die Verantwortung, sich zu empören.
Manfred Flügge stellt Stéphane Hessel als Person dar, die mit ihrem Appell an das Gewissen uns ermutigen will, sich für humanistische Werte einzusetzen. Er zeigt Hessel aber nicht als ein moralisches Vorbild, sondern benennt auch dessen Schwächen, allem voran die Eitelkeit, die er niemals ganz wegstecken kann. Flügge hat ein Buch über den Film "Jules und Jim" geschrieben. Die Grundlage für den Film ist die Dreiecksbeziehung von Hessels Eltern mit dem Dichter Henri Pierre Roché. Deshalb war es naheliegend, auch einmal die wichtigsten Fakten und charakteristischen Taten Stéphane Hessels in einer Lebensgeschichte zusammenzufassen.
Das ist Flügge gelungen. Das Buch schildert in aller Ausführlichkeit die Lebensabschnitte und verweist auch auf die Glücksmomente, als Hessel zum Beispiel dann Anfang 1945 auf einem Evakuierungstransport doch noch die Flucht vor der Vernichtung gelingt.
Manfred Flügge: "Stéphane Hessel – Ein glücklicher Rebell”. Aufbau Verlag. 279 Seiten, Euro 22,99, Februar 2012