Der Begriff "Rasse", wie wir ihn heute verstehen, entwickelte sich in der Zeit, als Europäer die Erde "entdeckten", fremde Kontinente und Kulturen. Im 18. Jahrhundert, mit dem Entstehen der modernen Wissenschaften, begannen Philosophen und Naturforscher in ihrem Bestreben, die Welt zu ordnen und zu erklären, äußerlichen Unterschieden Wertungen beizumessen:
"Europäer - weiß, sanguinisch, muskulös
Amerikaner - rot, cholerisch, aufrecht
Asiaten - gelb, melancholisch, steif
Afrikaner - schwarz, phlegmatisch, schlaff
Carl von Linné, Systema Naturae, Zehnte Auflage, 1758"
Diese Auffassung von "Rasse", die in der Aufklärung entstand, bildete das geistige Fundament, auf dem sich der Kolonialismus entfalten konnte, der Imperialismus und später die völkischen Rassenideologien des 19. und 20. Jahrhunderts und der Holocaust.
"Naturmenschen stehen in psychologischer Hinsicht näher den Säugethiren - Affen, Hunden - , als dem hochcivilisierten Europäer. Daher ist auch ihr individueller Lebenswerth ganz verschieden zu beurtheilen.
Ernst Haeckel, 1903"
Keine "Rasse" nach DNA
Dabei verrät der Blick auf unsere DNA, dass es so etwas wie "Rasse" nicht gibt. Nachdem das menschliche Erbgut Anfang des Jahrtausends entschlüsselt worden war, erklärte einer der wichtigen Protagonisten dieser Zeit - der US-Genetiker Craig Venter:
"Es gibt mehr Unterschiede zwischen Menschen schwarzer Hautfarbe als zwischen Menschen schwarzer und heller Hautfarbe. Und es gibt mehr Unterschiede zwischen den sogenannten Kaukasiern als zwischen Kaukasiern und Nicht-Kaukasiern."
Der genetische Code bestimmt keine 'Rasse,'. Das ist ein rein gesellschaftliches Konstrukt. In der Geschichte der modernen Menschheit läuft alles vor 300.000 Jahren irgendwo in Afrika zusammen. Nicht bei einem einzelnen Paar: Ein Netzwerk verbindet alle Menschen, die jemals auf der Erde gelebt haben - und dieses Netzwerk ist in den Genen kodiert. Die Entzifferung dieser Gene hat gezeigt, dass sich zwei beliebige Menschen auf der Welt jeweils in einem Tausendstel ihres Genoms unterscheiden. Die Unterschiede sind also sehr gering.
"Wenn man sich heute den Stammbaum des Menschen vorstellt, dann sind die dicken Zweige des Stammbaums in Afrika, und ein kleiner Ast, den findet man außerhalb von Afrika, das sind die Nicht-Afrikaner. Wir sind häufig als Europäer oder Asiaten näher verwandt mit bestimmten Afrikanern als diese Afrikaner mit anderen Afrikanern sind."
Erklärt Johannes Krause, Direktor am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena. Es existieren keine definierten Grenzen:
"Man sieht jetzt nicht, hier fängt der Europäer an und da hört der Asiate auf, sondern es gibt Gradienten, die die Geographie widerspiegeln, was ja auch Sinn macht, dass jemand, der aus Westeuropa stammt, näher verwandt ist mit jemandem, der aus Westeuropa stammt als aus Ostasien. Natürlich waren die Population nicht immer an der gleichen Stelle, sondern es gab auch ganz viel Verschiebungen, ganz viel Migration"
Globale Migration der Gattung Homo
So haben sich im Lauf der Zeit immer wieder Angehörige der Gattung Homo aus Afrika auf den Weg in die Welt gemacht. Es war eine Ausbreitung von Generation zu Generation. Vor etwa 600.000 Jahren verließen die Vorfahren des Neandertalers Afrika. Dann bevölkerte Homo sapiens erfolgreich die Erde - und vermischten sich dabei mit anderen Menschenarten:
"Der Neandertaler war ja ein Europäer und Asiate. Der hat vor 500.000 Jahren bis vor ungefähr 40.000 Jahren in Eurasien gelebt."
Und offensichtlich zeugten Homo sapiens und Homo neanderthalensis fortpflanzungsfähige Nachkommen:
"Für die Neandertaler gilt erst einmal, dass wir heute wissen, dass alle Menschen außerhalb von Afrika so ein bisschen Neandertaler in sich tragen. In Europa ein bisschen weniger, in Asien ein bisschen mehr. Die größte Menge an dieser Neandertaler- oder Urmenschen-DNA finden wir in Ozeanien, in Neuguinea und in Australien. Innerhalb Afrikas finden wir so gut wie keine Vermischung mit Neandertalern."
Die genetische Geschichte der modernen Europäer erzählt gleich von mehreren großen Verschiebungen. Die erste kam mit der Einwanderung der Ackerbauern. Johannes Krause:
"Vor ungefähr 7-, 8.000 Jahren haben die Menschen in Europa begonnen, Ackerbau zu betreiben. Die genetischen Untersuchungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass die Menschen eingewandert sind nach Europa und haben den Ackerbau mitgebracht."
Europa ist ein genetischer Schmelztiegel
Diese Menschen stammten aus Anatolien, und sie verdrängten die Jäger und Sammler, die zuvor in Europa gelebt hatten. Von ihnen finden sich nur noch Spuren im Erbgut. Die "Neuen" brachten ihre domestizierten Tiere und Pflanzen mit, breiteten sich und ihre bäuerliche Lebensweise über Europa aus. Vor 4.800 Jahren kamen dann unter anderem Hirtenvölker, die Pferd, Wagen und die Bronzetechnologie mitbrachten. Deshalb finden sich auch von den frühen Bauern nur noch Spuren im Erbgut. Europa ist ein genetischer Schmelztiegel. Und doch haben Europäer eine Augenfälligkeit: ihre Hautfarbe:
"Wir kennen die Gene, die die helle Hautfarbe verursachen. Die meisten Europäer haben heute diese Mutationen. Wenn wir uns jetzt anschauen, wann diese Mutationen entstanden sind, dann ist die erste vor ungefähr 10.000 Jahren entstanden, mit dem Beginn des Ackerbaus und hat sie sich dann ausgebreitet. Und die zweite ist erst in der Bronzezeit dazugekommen. Das heißt eigentlich ist die helle Hautfarbe, die wir heute in Europa finden, erst so 4-5.000 Jahre alt, also das ist eine sehr kürzliche Entwicklung, diese Hellhäutigkeit."
Anpassung der Hautfarbe an UV-Strahlung
Dass sich die helle Haut in Europa ausbreitete, kann kein Zufall gewesen sein. Sie muss einen entscheidenden Vorteil geboten haben:
"Das hat einfach mit dem starken Selektionsdruck in der Evolution, die durch das Sonnenlicht verursacht wurde, zu tun."
Professor Markus Nöthen, Direktor des Instituts für Humangenetik an der Universität Bonn. Bei der Hautpigmentierung, erklärt er, spielt die UV-Strahlung der Sonne die entscheidende Rolle:
"Man möchte auf der einen Seite durch mehr Pigment in der Haut die Folsäure schützen, weil die wichtige Funktionen in den Zellen wahrnimmt. Auf der anderen Seite möchte man natürlich Sonneneinstrahlung in die Haut eindringen lassen, um Vitamin D zu produzieren. Man hat hier zwei so gegenläufige Effekte, und je nachdem, wieviel Sonnenexposition man hat, muss man den einen Mechanismus mehr schützen oder den andern befördern. Und von dieser Balance hängt es eigentlich ab, welche Pigmentierung meine Haut hat."
Dass sich die Anlagen für sehr helle Haut in Europa so augenfällig durchgesetzt haben, liegt wohl an der Landwirtschaft. Johannes Krause:
"Das war dann wahrscheinlich ausschlaggebend, dass die Menschen überhaupt Ackerbau betreiben konnten in Europa, weil: Zumindest die frühen Ackerbauern waren Vegetarier. Man kann Vitamin D auch über Fisch oder Fleisch zu sich nehmen. So haben das die Jäger und Sammler wahrscheinlich gemacht."
Die Ackerbauern lösten das Vitamin-D-Problem über die Hautfarbe: Je weiter im Norden sie Landwirtschaft betrieben, desto heller mussten sie werden. Nur mit heller Haut gelangt so viel ultraviolette Strahlung direkt in die Zellen, dass trotz vegetarischer Diät ausreichend Vitamin D entsteht. Dieser Selektionsdruck wirkt jedoch nur auf die Haut, Markus Nöthen:
"Man darf aber aus der Verschiedenheit der Hautfarbe nicht darauf schließen, dass die Menschen bezüglich anderer Eigenschaften auch unterschiedlich sind. Das wäre einfach völlig falsch."
Auf Intelligenz oder körperliche Leistungsfähigkeit wirkt sich das nicht aus. Die "Rassen", die im Lauf der Geschichte so viel Unglück gebracht haben, sie existieren überhaupt nicht.